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Scharfe Kritik aus Ländern

Der Oberste Sanitätsrat (OSR) als unabhängiges Beratungsorgan des Gesundheitsministeriums spricht sich zur laufenden Debatte über die Drogensubstitutionstherapie vehement für diese Behandlungsform aus. Die Experten weisen damit den Vorstoß von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) gegen die Substitutionstherapie eindeutig zurück.

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Das sei die derzeit beste und international etablierte Behandlungsform für diese schwerkranken Patienten. „Die Erhaltungstherapie mit Opioiden (umgangssprachlich: ‚Substutionstherapie‘) ist die geeignetste und international etablierte Form der Behandlung von opiatabhängigen Patienten, um das chronische Erkrankungsbild zu stabilisieren und gesellschaftspolitischen Schaden abzuwenden.“

„Natürlich wäre eine Entwöhnung der Sucht (Heilung der Erkrankung, Anm.) das optimale Ergebnis, nur ist dies wie bei anderen chronischen Erkrankungen, z. B. Diabetes mellitus, kaum möglich.“ „Diese medikamentöse Behandlung gehört zweifelsohne in die Hände erfahrener Ärzte, um dieses schwere psychiatrische Erkrankungsbild professionell zu therapieren, denn es leiden diese Patienten auch zu mehr als 60 Prozent an Depressionen und Angsterkrankungen“, hieß es am Donnerstag in einer Stellungnahme.

Gängige Praxis in Europa

Mehr als 700.000 Patienten europaweit werden mittels Drogenersatztherapie behandelt - in Österreich sind es mit rund 17.000 fast die Hälfte der Opiatabhängigen. Laut Europäischer Drogenbeobachtungsstelle (EMCDDA) geht die Behandlung in der Regeln mit psychosozialer Betreuung einher.

Verweis auf Kostenersparnis

Zwar gebe es kriminelle Handlungen in Zusammenhang mit dieser Therapieform, „allerdings in einem signifikant geringeren Ausmaß im Vergleich zum unbehandelten Zustand“. Zudem verweist der Sanitätsrat auf den Kostenaspekt: Eine tägliche Therapie dieser Schwerkranken koste etwa acht Euro, ein Tag im Gefängnis mehr als hundert Euro.

„Es gibt überhaupt keine Grund dafür, die Drogensubstitutionstherapie zu reduzieren. Ganz im Gegenteil, man sollte sie in Österreich ausbauen“, so der Arzt und Drogenexperte Hans Haltmayer (Ambulatorium der Suchthilfe Wien), auch Referent für Substitution und Drogentherapie in der Wiener Ärztekammer. Haltmayer lobt die Vorteile der Drogenersatztherapie: „Patienten kommen vom kriminellen Drogenmarkt weg. Sie kommen in ein Betreuungsverhältnis. Man kann eine ganz normale Gesundenuntersuchung durchführen. Sie können wieder einen fixen Wohnplatz und soziale Hilfe bekommen. Sie können wieder ein Teil der Gesellschaft werden.“ Auch die Ärztekammer hatte zuvor Mikl-Leitner heftig kritisiert.

„Eine Notwendigkeit“

Das Justizministerium reagierte abwartend, man habe sich „noch keine abschließende Meinung“ gebildet, so Sven Pöllauer, Sprecher von Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP). Im Strafvollzug soll das bestehende Drogenersatzprogramm aber auf jeden Fall beibehalten werden. Vollzugsdirektor Peter Prechtl sieht darin ein „wesentliches Mittel für die spätere Resozialisierung. Ich halte das für eine Notwendigkeit“, betonte Prechtl.

„Süchtige gehören nicht zur Polizei“

Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) hat für die Aussagen seiner ÖVP-Kollegin nur harsche Worte übrig: „Süchtige gehören zum Arzt und nicht in die Polizeistation“, so Stöger. Er könne nicht nachvollziehen, was Mikl-Leitner geritten habe, so Stöger im Ö1-Interview - mehr dazu in oe1.ORF.at. Auch aus den Bundesländern kommt Kritik - einerseits von der SPÖ, andererseits von einem Parteikollegen Mikl-Leitners.

ÖVP-Landesrat verteidigt Methadontherapie

Wiens Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) hält Mikl-Leitners Vorstoß schlicht für „verantwortungslos“. Ein Aus für die Substituationstherapie heiße deutlich mehr Drogentote, so Wehsely - mehr dazu in wien.ORF.at. Auch der Kärntner SPÖ-Gesundheitsreferent Peter Kaiser wirft der Innenministerin den „populistischen Versuch, eine Schlagzeile zu ergattern“, vor. Indirekt übte auch der Vorarlberger ÖVP-Gesundheitslandesrat Christian Bernhard Kritik. Er betonte, er halte die Substitutionstherapie für „generell eine gute Sache“.

Zuvor hatte bereits ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger, der als Arzt auch Substitutionspatienten betreut, diese Therapieform verteidigt. Er betonte auch, dass es eindeutige Normen gebe, um den von Mikl-Leitner befürchteten Missbrauch hintanzuhalten. Die Grünen stießen in ein ähnliches Horn wie die SPÖ und warfen der Innenministerin vor, „vor den Wahlen billiges Kleingeld für ein konservatives Klientel“ zu machen, „und das auf Kosten der Betroffenen“, so der grüne Gesundheits- und Wissenschaftssprecher Kurt Grünewald.

Filzmaier: Wahlkampf-„Generalverdacht“

Wie der Politologe Peter Filzmaier gegenüber ORF.at betonte, besteht der „Generalverdacht“, dass Mikl-Leitner mit ihrem Vorstoß gegen die Drogensubstitutionstherapie Wahlkampf betreiben wolle. Sicherheitsthemen würden Mitte-rechts-Parteien begünstigen, während von Sozialthemen Mitte-links-Parteien profitieren würden. Eine verstärkte Platzierung des Sicherheitsthemas sei daher logisch. Die ÖVP helfe damit zwar auch der FPÖ, allerdings verliere die SPÖ stärker an die Freiheitlichen als die ÖVP, insofern sei diese Strategie „logisch“.

Filzmaier vermutet, dass es Mikl-Leitner, die aus der niederösterreichischen Landespolitik kommt, weniger um Schützenhilfe für Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) für dessen Landtagswahlkampf geht. Mikl-Leitner denke wohl vielmehr bundespolitisch, ist Filzmaier überzeugt. Denn in Niederösterreich kämpfe die ÖVP um den Erhalt der absoluten Mehrheit. Eine so dominante Partei müsse aber alle Themen abdecken.

Kernkompetenz der ÖVP

Auf Bundesebene, wo die ÖVP bekanntlich weitaus schwächer ist, ergebe die Konzentration auf Kernthemen dagegen wahlstrategisch Sinn. Alle Parteien, so Filzmaier, würden ihre Stärken und Schwächen systematisch abfragen lassen. Dabei sei klar, dass die Wähler der ÖVP neben der Wirtschaftspolitik vor allem beim Thema Sicherheit Kompetenz zuschreiben. Wenn die ÖVP mittels Agenda-Setting versuche, Wahlkampf zu treiben, würden aber vereinzelte Themen nicht ausreichen. Der Bereich Sicherheit müsse dann in regelmäßigen Abständen mit Gesetzesvorschlägen und Initiativen zu einzelnen Aspekten thematisiert werden, so Filzmaier.

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