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Kulturkampf auf Österreichisch

Drei Romane von österreichischen Autoren erfreuen sich derzeit regen Interesses in den Feuilletons deutscher und heimischer Medien. Michael Köhlmeiers „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ sorgt für Debatten, Robert Schindel erntet für „Der Kalte“ Vorschusslorbeeren, Eva Menasse heimst großes Lob für „Quasikristalle“ ein.

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Schindel durchpflügt in seinem Roman ein dunkles Kapitel der österreichischen Geschichte. Er widmet sich in „Der Kalte“ der Ära Kurt Waldheim. Das Buch ist eine späte Fortsetzung von Schindels erstem großen Erfolg „Gebürtig“, der vor über 20 Jahren erschienen ist - schon damals bei Suhrkamp. Davor und auch danach wurde Schindel für seine Gedicht- und Essaybände stets hoch gelobt. Mit größter Spannung war jedoch vor allem sein zweiter Roman erwartet worden.

Cover des Buchs „Der Kalte" von Robert Schindel

Suhrkamp

Buchhinweis:

Robert Schindel: Der Kalte. Suhrkamp, 665 Seiten, 25,70 Euro.

Auf 665 Seiten lässt Schindel die Welt der 80er Jahre wieder auferstehen. Die Namen sind geändert, Details verschoben, aber die Akteure dennoch unverkennbar: Bundespräsident Kurt Waldheim wird zu Wais, Kanzler Fred Sinowatz zu Marits, Burgtheaterchef Claus Peymann zu Schönn und Thomas Bernhard zu Muthesius. Es war eine Zeit, in der das konservative Establishment noch zu Kulturkämpfen bereit war (und nicht nur der äußerst rechte Rand wie heute). Vor allem aber brach über Österreich - endlich - eine Debatte über seine NS-Zeit herein.

„1986 war das 1968 Österreichs“

Schindel verwebt seine Charaktere und ihre Schicksale gekonnt, wobei dem KZ-Überlebenden und beständigen Mahner Fraul eine zentrale Rolle zukommt. Im Interview mit dem „Profil“ sagt Schindel: „Erst mit jenem Urnengang, den Waldheim für sich entscheiden konnte, brach auch in Österreich paradoxerweise das Ende der Nachkriegszeit an, im Gegensatz zu den 1968er-Debatten in Deutschland. 1986 war das 1968 Österreichs.“ Es war eine Zeit des Umbruchs, Schindels literarische Aufarbeitung ist lohnend.

Bereits Wochen vor Erscheinen des Buches wurde es allerorten gelobt: Der „Standard“ etwa schrieb über „Gebürtig“ und „Der Kalte“: „Beide Bücher geben ein vielschichtiges, literarisch wie gesellschaftlich interessantes Bild jener Bruchjahre, die bis heute ‚unsere Gegenwart durchdringen‘“.

Cover des Buchs "Quasikristalle" von Eva Menasse

Kiepenheuer & Witsch

Buchhinweis:

Eva Menasse: Quasikristalle. Kiepenheuer & Witsch, 432 Seiten, 20,60 Euro.

Vom Erinnern abgestumpft

Die Zeit des Nationalsozialismus und ihre Aufarbeitung in Österreich spielt auch in Eva Menasses Buch „Quasikristalle“ eine Rolle. Eine der Figuren ist ein Historiker und Universitätslektor, der zuvor in der Gedenkstätte Auschwitz gearbeitet hatte und nun mit Studenten und anderen Interessierten zu einer Exkursion dorthin aufbricht. In der Sache seriös, ist er durch seinen vom Erinnern an das Unsagbare geprägten Alltag bereits so abgestumpft, dass er neben den Gaskammern vor allem an den offenbar knackigen Körper der Exkursionsteilnehmerin Xane denkt.

Xane ist die eigentliche Hauptfigur des Romans, auch wenn sie nicht immer im Mittelpunkt steht. In dreizehn Kapiteln wird ihr Leben erzählt, immer aus verschiedenen Perspektiven, immer unterschiedliche Aspekte des Lebens im Blick. Einmal ist sie Freundin einer Gleichaltrigen, pubertierend und erste Drogenerfahrungen sammelnd. Später ist sie Mutter, dann Geliebte, am Ende Großmutter - das Leben ist ein Rollenspiel.

Das Leben ein Stückwerk

Das Buch ist eine Biografie in Fragmenten und dadurch gleichzeitig realitätsnäher als jede chronologische Erzählung, die Stringenz insinuiert, wo es keine gibt. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt dazu: „Denn indem sie sich anschickt, dem komplizierten, sich widersprechenden, jedenfalls meist unergründlichen Lebensweg ihrer Heldin schreibend Stück für Stück nachzugehen, ohne dies am Ende je in eine höhere Ordnung zu führen, kommt Eva Menasse dem Rätsel des Daseins erstaunlich nah, das sich, wenn überhaupt, stets nur fragmentarisch offenbart (...).“

Ähnlich begeistert gibt sich auch „Die Zeit“: „Vom Glück der Lektüre: Eva Menasse schreibt kristallklare Prosa über die Vergeblichkeit des sehnsuchtsvollen Miteinanders – große Literatur!“

Lügen, Diebstahl und Mord

Während sich Schindel der Gellschaft und ihren Abgründen aus der Vogelperspektive widmet und Menasse sich mit Außenblicken der Innerlichkeit eines Menschen nähert, macht Köhlmeier in seinem neuen Buch „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ das, wofür er mittlerweile seit Jahrzehnten berühmt ist: Er fabuliert kunstvoll vor sich hin. Sein Spazierer ist ein Charmebolzen, den man einfach gern haben muss. Auf den ersten Blick - denn seine Biografie ist durchzogen von Lügen, Diebstahl und Mord.

Cover des Buchs „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ von Michael Köhlmeier

Hanser

Buchhinweis:

Michael Köhlmeier: „Die Abenteuer des Joel Spazierer“. Hanser, 656 Seiten, 25,60 Euro.

Auch als Hörbuch: Michael Köhlmeier liest „Die Abenteuer des Joel Spazierer“. Der Hörverlag, vier MP3-CDs, ca. 1.890 Minuten, 27,49 Euro.

An einer Stelle des Buches denkt Spazierer darüber nach, ob er eigentlich ein Mensch sei, nachdem ein Staatsanwalt das infrage gestellt hat. Aber ist Moral eine menschliche Conditio sine qua non? Zumal, wenn man so sympathisch und gutaussehend ist wie Spazierer? Köhlmeiers Buch wird als furioser Schelmenroman quer durch die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gelobt.

„Die Zeit“ schreibt gar: „Gäbe es eine literarische Gerechtigkeit, es müsste so viele Preise auf ihn hageln, wie Leichen den Weg seines schlimmen Helden pflastern.“ Und das sind einige. Aber nicht alle Rezensenten sind begeistert, wie ein Blick auf die Medienrundschau der Website „Perlentaucher“ zeigt. Die Literaturkritiker der „Frankfurter Rundschau“ und der „Neuen Zürcher Zeitung“ waren demnach eher genervt, weil sich Köhlmeier in Details verliere.

Wie auch immer: Fans von Köhlmeier - und derer gibt es noch aus Tagen, in denen er auf Ö1 Sagen des klassischen Altertums nacherzählte, gar nicht so wenige - werden sich freuen, dass auch ein von Köhlmeier selbst vorgelesenes Hörbuch aufliegt.

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