Auf der Bremse bei EU-Beitritt
Die isländische Regierung will bei den Beitrittsverhandlungen mit der EU bis zu den Wahlen Ende April kräftig auf die Bremse steigen. Außenminister Össur Skarphedinsson begründete eine entsprechende Kabinettsentscheidung Mitte Jänner in Reykjavik damit, dass eine möglicherweise neue Regierung nach der Wahl am 27. April „ihre eigenen Prioritäten zu wichtigen Themen setzen kann“.
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Eine klare Mehrheit der Isländer ist nach Umfragen gegen den von der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Johanna Sigurdarsdottir betriebenen EU-Beitritt. Als wichtigster Grund gilt die Befürchtung unter den 320.000 Bürgern, dass ihr Land die Einnahmen aus den bisherigen Fischereirechten rund um die Atlantikinsel verliert. Man werde vorerst nicht mehr zu diesem Thema Stellung beziehen, sagte Skarphedinsson zu einem möglichen EU-Beitritt.
Comeback der Konservativen erwartet
Favorit bei den Wahlen ist nach Umfragen die konservative Unabhängigkeitspartei. Sie war von vielen für den totalen Zusammenbruch der isländischen Banken 2008 verantwortlich gemacht worden und hatte im Gefolge der auf Island besonders schweren Finanzkrise 2009 die Regierungsmacht verloren. Die Partei ist gegen die EU-Mitgliedschaft. Im Fall eines Wahlsieges plant sie eine Volksabstimmung über die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen.
Laut dem isländischen Industrie- und Fischereiminister Steingrimur Sigfusson sind neben der offiziellen Diktion wegen der Wahl im April allerdings noch zwei weitere Themen für die Abkühlung der EU-Beitrittsbegeisterung maßgeblich: Neben der Schuldenkrise in der Euro-Zone ist das vor allem der seit Jahren eskalierende Fischereistreit zwischen dem kleinen Staat im Atlantik und der EU. Streit gibt es vor allem mit Frankreich, Spanien und Irland, deren Fischer auf der Jagd nach Makrelen sind.
Klimawandel lässt Fischbestände wandern
Zwar sind Fischereikonflikte mit Island nichts Neues. In den 1970er Jahren hatte es im „Kabeljau-Krieg“ sogar Schüsse der isländischen Küstenwache auf deutsche Fischtrawler gegeben. Aber der Auslöser des heutigen Streits ist der Klimawandel. Denn wegen der Erwärmung des Atlantiks wandern die Makrelen aus internationalen Gewässern, in denen sie vor allem von Fischern aus der EU, Russland oder Norwegen gejagt wurden, in die Sonderwirtschaftszone um Island und die Färöer.
Das bisherige starre Fangquotensystem funktioniert deshalb nicht mehr. Und weil die großen Staaten Island nicht in die Quotenabkommen auf hoher See einbezogen hatten, verweigert Island nun den Zugang zu seinen Gewässern.
Fischereikapitel bitte warten
In den seit 2010 laufenden EU-Beitrittsverhandlungen ist das Fischereikapitel wegen seiner Brisanz noch nicht einmal eröffnet worden. Und immer mehr Politiker auf der Insel haben klargemacht, dass sie keinem Beitritt zustimmen würden, wenn das Land dafür seine exklusiven Fischereirechte aufgeben müsste. „Die Oppositionsparteien fordern jetzt ein Referendum, bevor die Beitrittsverhandlungen fortgesetzt werden können“, sagte Sigfusson. In etlichen EU-Hauptstädten fürchtet man, dass die Unterbrechung der Gespräche deshalb letztlich das Aus für die EU-Aufnahme bedeuten könnte.
„Aber ich bin zuversichtlich, dass wir keine Kriegsschiffe vor Island sehen werden“, scherzte Sigfusson. Dennoch kritisierte er die Union scharf und warnte vor den angedrohten Sanktionen. „Die EU und Norwegen haben sich in den vergangenen Jahren mehr als 90 Prozent der Fangquoten für Makrelen genehmigt“, kritisierte er. „Das ist keine Basis für eine Verständigung.“ Für Island, die Färöer und die Hochseefischereination Russland blieben danach weniger als zehn Prozent.
Lösungsmöglichkeit angedeutet
Sigfusson deutete allerdings auch Kompromissbereitschaft an. „Wenn es eine Gesamtlösung gibt, sind wir auch bereit, über einen gegenseitigen Zugang zu reden“, betonte er. „Aber die Drohungen mit Sanktionen erschweren nur die Suche nach einer Lösung.“ Es sei in Ordnung, dass die EU isländische Makrelenfischer nicht in Häfen einlaufen lasse, solange es keine Einigung bei diesem Fisch gebe. „Aber wir werden energisch protestieren, wenn nun der Import unserer Produkte verboten werden sollte.“
Im Übrigen sei sein Land nicht nur Profiteur des Klimawandels: Während die Makrelen kämen, zögen etwa Garnelen und andere Fischsorten mittlerweile weiter nach Norden in kältere Gewässer, Richtung Arktis - aus der isländischen Sonderwirtschaftszone heraus. „Zudem sinkt der Heringsbestand um die Insel, weil im Sommer 1,5 Millionen Tonnen Makrelen einfallen und sich selbst mit den Seevögeln einen harten Kampf um Nahrung liefern.“
Strategische Bedeutung nimmt zu
Als Island die vorläufige Aussetzung der Gespräche angekündigt hatte, beeilte sich die EU-Kommission in Brüssel, ihr Interesse an einem Beitritt des Landes nochmals zu betonen. Auch Sigfusson weiß, welche strategische Bedeutung sein Land künftig bekommen wird. „Weil das Eis schmilzt, werden im Norden immer weitere Gebiete zugänglich, das eröffnet neue Handelsrouten und den Zugang zu großen Rohstofflagern. Grönland etwa hat von seltenen Erden über Öl und Gas bis Uran eigentlich alles.“
Der Grün-links-Politiker betonte aber, dass er das daraus erwachsende Interesse der internationalen Großmächte nicht nur positiv sieht. „Die Arktis ist nicht nur ein Rohstofflager. Es gibt dort nicht nur Eis, Öl und Gas. Dort leben vier Millionen Menschen, die ebenfalls ihre Vorstellungen haben, wie sie sich entwickeln wollen“, mahnte er. Deshalb müsse dringend nicht nur ein flexibles System für die Bewahrung und Nutzung der Fischbestände geschaffen werden, sondern auch ein internationales Regime für den Umgang mit der Arktis.
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