Context-Hacking mit Eigenblunz’n
Das Künstlerkollektiv monochrom wird 20 Jahre alt und feiert mit der Ausstellung „Die waren früher auch mal besser“ im Wiener Museum auf Abruf (MUSA) ihr ebenso umfangreiches wie vielfältiges Werk zwischen Netzkultur, Bildender Kunst, Theaterproduktion und Happening.
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Context-Hacking nennt die aktuell neunköpfige Gruppe mit Wurzeln im niederösterreichischen Stockerau ihre transdisziplinäre Experimentierfreude. „Man sucht sich das perfekte Medium, um seine Botschaft zu versenden“, konkretisierte Gründer Johannes Grenzfurthner am Montag im Rahmen einer Presseführung.
Angefangen hat monochrom 1993 als Untergrundzeitschrift, die sich mit allem „im Dunstkreis von Verschwörungstheorie, Cyberpunk, Science-Fiction, Politik, Technik und Wissenschaft“ befasst habe, so Grenzfurthner. Bald sei allerdings klar gewesen, dass sich Botschaften so nur äußerst begrenzt unter die Leute bringen lassen - weshalb man mit Performances begonnen habe. Doch aller Anfang ist schwer: Die Präsentation eines Overhead-Comics im Wiener Ernst-Kirchweger-Haus endete abrupt, als Punks die jungen Künstler mit einem abgebrochenen Flaschenhals von der Bühne jagten.

monochrom
Context-Hacking im tiefsten Niederösterreich
Mit dem erfundenen Künstler zur Biennale
Die oft selbstironisch agierenden Künstler hinterfragen zudem immer wieder Mechanismen des Kunstmarktes bzw. Kulturbetriebs. Nicht bereit, die Einladung der damaligen schwarz-blauen Regierung anzunehmen, Österreich bei der Biennale 2002 zu repräsentieren, ersannen sie etwa kurzerhand den Fake-Artist Georg Paul Thomann und dessen höchst umfangreiches Werk, Rezeption und Theorieansatz gleich dazu. Zahlreiche Medien und selbst der Biennale-Chef seien auf die ausführliche fiktive Biografie hereingefallen, zeigte sich monochrom-Mitglied Günther Friesinger noch heute schadenfroh. Die Truppe selbst reiste übrigens auch an - als „technisches Aufbauteam“ der vorgeblich Thomann’schen Arbeiten.
Typischerweise scheren sich die Aktionen der (laut Eigendefinition) „leistungs- und marktorientierten Künstlergruppe“ wenig um Genregrenzen und bindet immer wieder ihr Publikum in die Aktionen ein. Etwa als sich im Rahmen der Aktion „Blutkreislauf“ eine Handvoll Menschen coram publico Blut abnehmen ließ, daraus „Eigenblunz’n“ fertigte und direkt verspeiste.
Namenssuchhilfe für Metal-Bands
Auf der Website des Projekts „Metallurgia“ sammelt monochrom bereits seit 2002 in der Fangemeinde nach Bandtiteln für Metalbands, um den „langsam eng werdenden Markt an Band- und -charakternamen“ zu retten. Dass die Angst um die Zukunft der Szene sich als vorschnell oder unbegründet herausgestellt hat, zeigen die zahlreichen Einsendungen, die von Skull Shocker bis Ministry of Industry wohl jeder namensuchenden Metal-Formation als Inspirationsquelle ausreichen sollte.

Jacob Appelbaum
„Free Bariumnitrate!“: 10.000 brennende Wunderkerzen
Das Problem im Zusammenhang mit Musealisierung: Viele monochrom-Projekte leben von ihrer Unmittelbarkeit, für die Nachwelt bleiben lediglich Dokumente oder Artefakte des eigentlichen Werks. Für ihren Rückblick auf die vergangenen zwei Dekaden begnügen sich Grenzfurthner und Co. nicht mit dem Zeigen von Filmmitschnitten, Fotos oder konzeptionellen Vorarbeiten, sondern haben insgesamt Dioramen - eine Art Schaukästen - angefertigt, die auf die diversen Produktionen referenzieren. „Das gibt uns die Chance, monochrom greifbar zu machen“, freute sich MUSA-Leiter Berthold Ecker.
Lebendig begraben in amerikanischen Hinterhöfen
So verweist etwa ein in einem Erdviereck eingelassener Holzsarg auf die Performance „Buried Alive“, die das Kollektiv 2005 in amerikanischen Hinterhöfen veranstaltet hat. Freiwillige konnten sich 15 Minuten lebendig begraben lassen - was im MUSA am 27. April ebenfalls möglich sein wird. Wie so oft verknüpft monochrom Happenings mit gewissermaßen volksbildnerischem Anspruch. So wird der Beerdigungsaktion eine „Lecture“ vorangestellt, die den kulturgeschichtlichen Hintergrund ausleuchten soll. „Die Angst vor dem Lebendig-begraben-Werden ist ein viktorianischer Mythos, eine Medienfantasie des 19. Jahrhunderts“, erläuterte Grenzfurthner.
Hinweis
„Die waren früher auch mal besser - monochrom (1993 - 2013)“ bis 27. April, MUSA - Museum auf Abruf Wien, mittwochs und freitags 11.00 bis 18.00 Uhr, donnerstags 11.00 bis 20.00 Uhr, samstags 11.00 bis 16.00 Uhr, sonntags und montags geschlossen.
Theater- und Filmproduktionen wie das Udo-Proksch-Musical „Udo 77“ im Rabenhof oder die improvisierte Sitcom „ISS“ über den Alltag in der Weltraumstation gehören ebenso zur 20-jährigen Geschichte wie die Massenverabreichung von Wodka Orange, der aus einem Zementmischer via Trichter direkt in die Münder der Proponenten gekippt wird, oder das Abfackeln von 10.000 Wunderkerzen zum Anfang des „Jahrs des Polytheismus“ (2007). „Man muss sich bewusst sein, wo und mit wem man agiert und was man eigentlich will“, fasste Grenzfurthner das Fazit aus 20 Jahren monochrom zusammen.
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