Wo die Designerküche kalt bleibt
Mit Beginn der aktuellen Spielzeit hat das Theater an der Wien seinen Wirkungskreis auf die Kammeroper im ersten Bezirk ausgedehnt. Ab Montag ist dort Giacomo Puccinis Opernklassiker „La Boheme“ zu sehen - in einer völlig modernen Interpretation, DJ-Sounds inklusive.
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Regie führt die junge Niederländerin Lotte de Beer, die nach ihrem Studium und als Schülerin von Peter Konwitschny bereits internationale Erfahrung sammeln konnte und derzeit als nächster Opernregiestar gehandelt wird. Dass sie die „Boheme“ vom Fin de Siecle ins Heute verlegt, ist für De Beer alles andere als eine Anbiederung an ein jüngeres Publikum, wie sie im Gespräch mit ORF.at sagt. Auch wenn sie ein solches gerne mit ihrer Arbeit ansprechen möchte: „La Boheme ist eine Oper über junge Leute, und ich wollte eine Inszenierung für ein jüngeres Publikum schaffen.“

Jochem Jurgens
Die Niederländerin Lotte de Beer beendete 2009 ihr Studium und inszeniert seit dem an Opernhäusern in ganz Europa.
Doch während andere Regisseure es dabei belassen, mit modernen Kostümen und aktuellem Bühnenbild zu arbeiten, sucht De Beer die aktuellen Bezüge in der Handlung. Im Original sind die Protagonisten arme Künstler, die ihre Arbeit verbrennen müssen, um die Heizkosten bezahlen zu können. „Das wollte ich umdrehen. Bei mir sind das ganz reiche junge Menschen, Künstler mit sehr reichen Eltern. Sie frieren, weil sie bei weit geöffneten Fenstern und Türen durch ihr Penthouse laufen - ihre Armut ist der Überschuss.“
Angst vor Krankheit, Tod und Liebe
Die Clique rund um Rodolfo (Andrew Owens) und Marcello (Ben Connor) sei in ihrer Inszenierung von Nihilismus, Kapitalismus und Individualismus geprägt, erklärt De Beer. Doch „sie haben nie gelernt, mit den großen Themen des Lebens umzugehen: Krankheit, Tod - und Liebe“. Das äußert sich auch am Umgang Rodolfos mit der kranken Mimi (Cigdem Soyarslan).
„Er beendet die Beziehung und sagt, das sei, weil sein Haus zu kalt sei und sie dadurch noch kranker werden wird. Zwei Minuten später sagt er: ‚Es ist so traurig, sich im Winter zu trennen, lass uns warten, bis es Frühling wird.‘ Das macht sein ganzes Argument von der Kälte zunichte. Er hat schlicht und einfach Angst vor dem Tod.“
Keine Zeit für Gedanken über den Sinn des Lebens
Für De Beer ist das eine deutliche Parallele zur Gegenwart. Tod, Krankheit und alles, was mit Imperfektion zu tun habe, sei in unserer Gesellschaft noch viel prägnanter geworden. Mimi verkörpert für die junge Regisseurin den Gegenpol zu den jungen Künstlern. Sie könne sich über den Sinn des Lebens gar nicht so viele Gedanken machen, „sie hat genug damit zu tun, einfach zu leben“.

Armin Bardel
Die „Boheme“-Künstler als arme reiche Nihilisten
Eine Anpassung des Librettos sei gar nicht notwendig gewesen und auch gar nicht ihre Absicht gewesen, beschreibt De Beer ihre Herangehensweise. Aus ihrer Assistenzzeit bei Konwitschny war ihr der Text voll und ganz bekannt - „ich habe viel darüber nachgedacht und parallel zu seiner Inszenierung habe ich fantasiert“. Bei den jungen Leuten in der Kammeropernversion bleibt deshalb die (Designer-)Küche kalt - aber nicht aus Armut, sondern weil man sich das Essen nicht kocht, sondern kommen lässt. „Die Texte, die gesungen werden, sind original - und haben trotzdem auch eine Bedeutung.“
„Roher“, aber „zeitgenössischer“
Musikalisch waren Adaptionen natürlich unumgänglich - schon alleine wegen der Größe der Kammeroper, wo gar nicht die Originalinstrumentierung in den Orchestergraben passen würde. „Wir spielen eine Fassung von Jonathan Dove, die ich sehr toll adaptiert finde“, so De Beer. „Man vermisst gar nichts, die Version ist möglicherweise ein bisschen roher - das macht es aber auch zeitgenössischer.“
Hinweis
„La Boheme“ ist bis 24. Februar in der Wiener Kammeroper zu sehen.
Auf heutige Klangvorstellungen stößt man in der Produktion auch dank zusätzlicher Klangdekos, die Komponistin Sinem Altan und DJ Ipek Ipekciogla extra erarbeitet haben. Musikalische Bilder, wie sie auch Puccini immer wieder gezeichnet hat, werden jetzt zitiert. „Der Markt wird zum Einkaufszentrum, die Puccini-Motive zu Werbejingles“, die sich nahtlos in die Originalkomposition einfügen sollen. „So sieht man die Beziehung. Dass es da Parallelen sind“, erläutert De Beer.
„In Wien gehen die Menschen ins Theater“
Und das sei wieder ein Argument, mit dem jüngere Menschen angesprochen werden sollen. An Österreich, vor allem in Wien, bewundere sie die Theatertradition, sagt die Niederländerin. In den Niederlanden sei das anders: „Ich habe in Amsterdam ein großes Festival organisiert zum Jubiläum eines Opernhauses. Ich sollte neue Zuschauergruppen anlocken - aber das Merkwürdige war: Alle waren neu.“
So sei sie es gewohnt, auf Menschen zu reagieren, auf Kleinigkeiten zu achten, die man als Theatermacher, und speziell in der Oper, normalerweise gar nicht mehr wahrnehme. Auch in Wien, wo ihr Reaktionen von Schulklassen im Probenprozess ebenso wichtig gewesen seien, wie die Reaktionen aus dem Theater. „Ich glaube, man muss lernen, gut hinzuhören, damit wir erkennen, was das Publikum braucht, um unsere Sprache wieder zu verstehen.“
Sophia Felbermair, ORF.at
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