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Als Geheimsprache eingesetzt

Wenn Volksschulkinder auf der kanarischen Insel La Gomera ihre Finger zum gemeinsamen lautstarken Pfeifen an die Lippen führen, begrüßen sie damit in der Früh ihren Lehrer. Seit 1999 steht auf La Gomera die Pfeifsprache als verpflichtendes Schulfach wieder auf dem Lehrplan, um sie vor dem Aussterben zu retten. Im Spanischen Bürgerkrieg war die Pfeifsprache noch im Einsatz.

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Nicht nur der kleine Droide „R2-D2“ aus der „Star Wars“-Trilogie und Vertreter des gefederten Tierreichs verständigen sich mittels Pfeiftönen. Mit „El Silbo“ („Der Pfiff“) ist eine alte Pfeifsprache der Guanchen - der Ureinwohner der Kanarischen Inseln - erhalten geblieben. Die Pfeifsprache besteht lediglich aus zwei Vokalen und vier Konsonanten, die in zahlreichen Varianten aus Tonhöhe und Lautstärke gepfiffen werden. Dabei wird der Zeige- oder Mittelfinger in den Mund gelegt. Die Töne entstehen mit Hilfe der Zunge, die zweite Hand wird zu einer Art Schalltrichter geformt und an die Wange gelegt. Trotz eines begrenzten Wortschatzes können ganze Unterhaltungen geführt werden.

Bergtal auf La Gomera

AP/Sarah Andrews

Pfeifende Kommunikation im hügeligen La Gomera

Ursprung liegt vermutlich in Afrika

Mit dieser Technik lässt sich über eine Entfernung von etwa drei Kilometern kommunizieren. In diesem Vorzug liegt auch ein Teil der Entstehungsgeschichte von „El Silbo“. Denn La Gomeras Landschaft ist unwegsam und von Schluchten und Vulkankratern geprägt. Wie lange die Pfeifsprache bereits existiert, ist unklar. Erstmals dokumentiert wurde sie, als die ersten spanischen Siedler im 15. Jahrhundert nach La Gomera kamen. Die aus Nordafrika stammenden Ureinwohner sollen sich damals der Pfeifsprache bedient haben, um einander vor Piraten oder Eroberern zu warnen, so die Überlieferung. Konkrete Informationen zur Entstehungsgeschichte der Sprache gibt es nicht.

Noch im Spanischen Bürgerkrieg (1936 bis 1939) sollen „Silbadores“ - Männer, die der Pfeifsprache mächtig waren - zur Nachrichtenübermittlung eingesetzt worden sein. Häufig diente das Pfeifen als Geheimsprache im Widerstand gegen Autoritäten, wie zu Zeiten der Franco-Diktatur.

Warnpfiffe vor Guardia Civil

Laut einem Bericht der BBC bestätigen einige Bewohner, dass noch in den 1940er und 1950er Jahren pfeifend kommuniziert wurde. „Wenn es damals in den Bergen brannte, was ziemlich häufig der Fall war, zog die spanische Guardia Civil los und suchte die Bauern“, erzählt Lino Rodriguez, ein alter „Pfeifer“ von früher: „Wir wurden mit Lkws zu den Bränden gefahren, um das Feuer zu löschen - ohne dafür bezahlt zu werden.“ Also warnten die „Silbadores“ einander mit Pfiffen vor der Guardia Civil, um sich vor den Polizeikräften zu verstecken.

Somit diente die Pfeifsprache damals nicht der Unterhaltung oder - wie heute - der Identitätspflege, sondern sie war eine Notwendigkeit. „Die Häuser lagen sehr weit voneinander entfernt, und es gab weder Telefone noch ausgebaute Straßen. Pfeifen war viel einfacher als gehen“, erzählt Rodriguez. In den späten 1950er Jahren verstummten die Pfiffe auf La Gomera zunehmend, da viele „Silbadores“ aus wirtschaftlichen Gründen auf die Insel Teneriffa oder nach Venezuela auswanderten.

Aufschwung in den 1990er Jahren

Nach einem Tiefpunkt in den 1970ern und 1980ern kehrte die Pfeifsprache wieder auf La Gomera zurück - dank einer Bildungsinitiative der Regierung. „Das kam zu einer Zeit, in der ein Großteil der Inselbewohner ‚El Silbo‘ als verstaubtes Vergangenheitsrelikt verschmähten“, sagte Juan Carlos Hernandez Marrero, ein Forscher des archäologischen Museums auf La Gomera gegenüber der BBC.

Wer der kanarischen Insel in der Nähe von Marokko einen Besuch abstattet und sich bei einem Ausflug nach Pfiffen umhört, wird wohl enttäuscht. Hauptsächlich ertönen die Pfeifarien an Schulen und in Restaurants, wo sie zur Unterhaltung von Touristen zum Besten gegeben werden.

Große Bedeutung für Tourismus

Für den gomerischen Tourismusminister Fernando Mendez trägt das Pfeifen bedeutend zur Tourismusindustrie der Insel bei. Ähnlich wie Englischkurse in Großbritannien oder Yoga-Workshops in Indien habe „El Silbo“ - 1982 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt - großes Potenzial für La Gomera. Auch für den Archäologen Hernandez Marrero ist die Wahrung solcher kulturellen Güter bedeutend, so der BBC-Bericht. Es bestehe aber die Gefahr, zu einem trivialen Klischee zu werden - ein Image, unter dem zum Beispiel hawaiianische Blumenketten leiden, die ursprünglich eine wichtige Funktion im Sozialleben der Inselbewohner hatten.

Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken, müsse man von jenen Menschen lernen, die viel über „El Silbo“ wissen und damit aufgewachsen sind, so Marrero. Notwendig sei ein genauer Blick auf die geschichtliche Entwicklung, von der man im Gegensatz zur Linguistik kaum etwas weiß. Ihm zufolge gibt „El Silbo“ auf linguistischer Ebene interessante Einblicke in den Aufbau einer Sprache, da die Pfeifsprache sehr einfach aufgebaut ist.

Etwa 60 Pfeifsprachen weltweit

La Gomera ist nicht der einzige Ort, wo Menschen das Pfeifen zur Verständigung nutzen. Auf der griechischen Insel Evia, im Osten der Türkei, in Mexiko, Thailand und in den französischen Pyrenäen existieren etwa noch Formen von Pfeifsprachen. Die größte „pfeifende Community“ lebt aber auf La Gomera. Dort existieren laut Medienberichten auch die einzigen Schulen, an denen eine Pfeifsprache Teil des Unterrichts ist.

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