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„Zweimal an mich herangetreten“

Mit Zeugenbefragungen ist am Freitag im Wiener Straflandesgericht der Prozess gegen den ehemaligen ÖVP-Innenminister und ÖVP-Europaabgeorndeten Ernst Strasser fortgesetzt worden. Der Schöffensenat (Vorsitz: Georg Olschak) hat auf Antrag des Verteidigers Thomas Kralik zu überprüfen, ob Strasser tatsächlich davon ausgehen konnte, dass ein Geheimdienst Agenten auf ihn angesetzt hatte.

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Der Unternehmens- und Steuerberater Thomas Havranek, der eigenen Angaben zufolge mit Strasser befreundet ist und diesen im Zeugenstand als „meinen Mentor“ bezeichnete, sagte, der Angeklagte sei zweimal mit der Frage an ihn herangetreten, „ob es möglich wäre, dass meine Büros abgehört werden“. Erstmals habe Strasser 2009 davon gesprochen, das überprüfen zu lassen, im Herbst 2010 sogar einen Kostenvoranschlag erstellen lassen.

Ernst Strasser im Gerichtssaal

ORF.at/Roland Winkler

Strasser vor der Weihnachtspause vor Gericht

„Keinen konkreten Geheimdienst genannt“

„Er hat gesagt, er befürchtet, dass er abgehört wird“, so Havranek. Strasser sei „offensichtlich davon ausgegangen, dass jemand an ihm interessiert ist“. Konkreten Verdacht bzw. einen Geheimdienst habe er aber nicht genannt. Auch die Agentur Bergman & Lynch hatte der Ex-Innenminister laut Havranek nicht in Verbindung mit einem womöglich auf ihn angesetzten Nachrichtendienst gebracht. Die vorgebliche, in Wahrheit nicht existente Lobbyingagentur hatten die beiden britischen Enthüllungsjournalisten, denen Strasser auf den Leim ging, diesem gegenüber als ihren Arbeitgeber deklariert.

Die Vorwürfe gegen Strasser

Ernst Strasser behauptet, er habe sich nur deshalb auf Gespräche mit zwei als Lobbyisten getarnten britischen Aufdeckungsjournalisten eingelassen, weil er diese für Geheimdienstleute gehalten habe und sie bzw. ihre Auftraggeber aufdecken wollte. Die Anklage legt ihm zur Last, den vermeintlichen Lobbyisten gegen ein jährliches Honorar von 100.000 Euro seine Einflussnahme auf die EU-Gesetzgebung angeboten zu haben.

Wie Havranek darlegte, habe ihn sein Freund um eine Recherche gebeten, was es mit Bergman & Lynch auf sich haben könne, nachdem die Agentur erstmals per E-Mail an Strassers Büro herangetreten war. Nach ersten Prüfungen habe er den Eindruck gewonnen, die Firma sei „nicht ganz koscher“, gab Havranek zu Protokoll. Er habe daraufhin eine Bekannte in London gebeten, sich näher für die Agentur zu interessieren. Ergebnis: „Man hat von der Firma nichts gehört. Ich habe ihm (Strasser, Anm.) gesagt, dass ich zu der Firma nichts gefunden habe.“

Auch Praktikant befragt

Ein junger Mann, der Anfang 2010 drei Monate lang in Strassers Brüsseler Büro als Praktikant gearbeitet hatte, sagte vor Gericht, dieser habe „in der zweiten März-Hälfte“ in einer Sitzung mit seinen Assistenten und Praktikanten vor einem Geheimdienst gewarnt. Die Information sei „sehr allgemein gehalten“ gewesen, Strasser habe ersucht, „dass Vorsichtigkeit gehalten werden soll“. Er habe sich „nicht weiter darüber Gedanken gemacht“, sagte der Zeuge. Ob Strasser einen konkreten Geheimdienst erwähnt hatte, wisse er nicht mehr: „Die Funktion des Praktikanten ist eher passiv.“

Richter Georg Olschak

ORF.at/Roland Winkler

Richter Georg Olschak hat den Vorsitz

Lebensgefährtin: Vor Geheimdienst gezittert

Die Lebensgefährtin des Ex-Innenministers, Elisabeth K. (45), schilderte bei ihrer Befragung in aufgeregten Worten, wie sie und „der Ernst“ vor einem Geheimdienst gezittert hätten, der sich ihrer Meinung nach an ihre Fersen geheftet habe. Strasser habe ihr im Juli 2010 „am Küchentisch“ von der vorgeblichen Londoner Lobbyingagentur Bergman & Lynch erzählt, die „mit einer Consultingtätigkeit“ an ihn herangetreten sei. Ihr Partner habe diese für „nicht koscher“ erklärt und ihr gesagt, dass es sich dabei um eine „Scheinfirma“ handle.

Ihr und „dem Ernst“ sei klar gewesen, dass es sich dabei um einen Geheimdienst handeln musste, zumal an den vorangegangenen Monaten in ihr gemeinsames Büro eingebrochen und ein Laptop gestohlen worden sei und das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) an sie herangetreten sei und vor Spionen gewarnt habe.

„Zielobjekt“ vom BVT „schmählich im Stich gelassen“

„Was soll’s denn sonst sein außer a Dienst“, habe Strasser über Bergman & Lynch gemeint, so K. Bereits als Innenminister sei ihr Lebensgefährte „Zielobjekt“ eines Geheimdiensts gewesen und damals vom BVT „schmählich“ im Stich gelassen worden. Daher habe sie sich nicht gewundert, als er ihr nun mit den Worten: „Ich brauch’ hieb- und stichfeste Beweise, diese Schweine hol’ ich mir“ angekündigt habe, die vermeintlichen Agenten im Alleingang enttarnen zu wollen.

Sie habe sich gefürchtet, aber „der Ernst“ habe sie beruhigt („Ich hab’ einen Weg gefunden, gib mir noch a bissl Zeit“), schilderte die 45-Jährige: „Mein Partner ist der erste Polizist in diesem Land gewesen. Ich war der Meinung, er weiß schon, was er tut.“ Als sich herausstellte, dass es sich bei den vermuteten Agenten von Bergman & Lynch um Enthüllungsjournalisten handelte, sei Strasser „gelähmt“ gewesen, so K.

BVT-Beamte: Nichts Konkretes dabei

Laut BVT gab es aber „kein konkretes Bedrohungsszenario“. Im Unterschied zu ihren Angaben erläuterten die Zeugen vom BVT, Strassers Lebensgefährtin sei an sie herangetreten und habe um Hilfe gebeten: „Sie hat sich besorgt gezeigt über das strategische Umfeld von Doktor Strasser.“ Von einem russischen Nachrichtendienst und „Unregelmäßigkeiten“ sei zunächst die Rede gewesen.

Strasser wäre aufgrund seiner damaligen politischen Funktionen theoretisch womöglich von Interesse für einen Nachrichtendienst gewesen, es habe aber „kein konkretes Wissen, dass er eine Person ist, die im Fokus stehen könnte“, gegeben. Man habe bei Strasser und seiner Partnerin „eine Sensibilisierung durchgeführt“. Die Verfassungsschützer gingen aber offenbar nicht davon aus, dass der Ex-Innenminister von Spionen bedrängt wurde. „Für uns war damals nichts Konkretes dabei“, deponierten die BVT-Beamten.

Aufregung über Fax an Journalisten-Anwalt

Ein anonymer Briefschreiber versuchte die für Montag geplante Einvernahme der britischen Enthüllungsjournalisten Claire Newell und Jonathan Calvert zu verhindern, die Richter Olschak über eine Videokonferenz mit dem Westminster Magistrate Court in London vernehmen möchte. Das gab Olschak am Freitag bekannt.

In einem undatierten, an den englischen Anwalt der Journalisten gerichteten und mit „Dringend“ betitelten Fax behauptet der Absender fälschlicherweise, die österreichischen Ermittlungen gegen Newell und Calvert wegen Missbrauchs von Tonaufnahme- und Abhörgeräten wären nicht eingestellt, und Strasser, der die beiden angezeigt hatte, würde eine zweite Anzeige gegen die beiden vorbereiten.

Auf Basis von Strassers Anzeige hatte die Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen die Journalisten ermittelt, das Verfahren jedoch Ende des Vorjahrs eingestellt. Erst nachdem das klargestellt war und sie keine weitere behördliche Verfolgung befürchten mussten, erklärten sich Newell und Calvert zu einer Aussage im Strasser-Prozess bereit.

Strasser: Habe nichts damit zu tun

Woher die falsche Information an den englischen Anwalt stammt, ist völlig unklar. Strasser betonte, er habe mit der Angelegenheit nichts zu tun: „Offen gestanden: Mir ist es egal, ob die Journalisten aussagen.“ Strasser hatte in Bezug auf das eingestellte Verfahren gegen Calvert und Newell zwar einen Fortführungsantrag gestellt, doch liegt dieser noch gar nicht bei dem Richtersenat, der darüber entscheiden muss. Wie Strassers Anwalt Kralik auf APA-Anfrage erklärte, ist seines Wissens keine zweite Anzeige des Ex-Innenministers im Laufen.

Ob der Strasser-Prozess wie vorgesehen am Montag zu Ende gehen wird, steht nicht hundertprozentig fest. Kralik beantragte am Freitag die Verschriftlichung sämtlicher Telefonprotokolle, worüber der Senat erst am Montag entscheiden wird. Neben Newell und Calvert soll auf Wunsch Kraliks am Montag zusätzlich ein ranghoher heimischer Polizist als Zeuge aussagen. Für Strasser geht es bei einem Schuldspruch um bis zu zehn Jahre Haft.

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