Themenüberblick

Keine Kehrtwende in Sicht

Mit einem weiteren Anstieg der geringfügig Beschäftigten nimmt der Trend zu „Minijobs“ in Österreich stetig zu. Durchschnittlich 316.510 „Minijobber“ wurden 2012 gezählt - ein Plus von fast 10.000 gegenüber dem Vorjahr. Das belegen aktuelle Zahlen des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger. Das Beschäftigungsmodell kann aber schnell zur Sackgasse werden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Zwischen 1987 und 2011 hat sich die Anzahl der gering Beschäftigten fast verdoppelt, wie eine umfassende Studie des Sozialministeriums im Vorjahr belegte. Ein „Minijob“ wird in Österreich offiziell als geringfügige Beschäftigung bezeichnet. Als „Minijobber“ zählt, wer maximal 376,26 Euro im Monat verdient. Solange Arbeitnehmer unter dieser Verdienstgrenze bleiben, müssen sie weder Sozialversicherung noch Einkommensteuer zahlen. Mitte Jänner 2013 wurde diese Grenze im Zuge der jährlichen Angleichung auf 386,80 Euro monatlich erhöht.

162.500 Personen gingen im dritten Quartal 2012 einer Zweitbeschäftigung nach, ergab eine Studie der Statistik Austria zur Arbeitskräfteerhebung 2012. Seit 2005 - da wurden 150.000 Personen mit Nebenjob gezählt - schwankt die Zahl je nach Quartal, sie ist aber relativ stabil geblieben. Wie viele davon geringfügig beschäftigt waren, ist unklar. 25 Prozent derjenigen, die einen Nebenberuf haben, sind Akademiker. Ebenfalls stark vertreten sind Nebenerwerbslandwirte, sie machen 20 Prozent der Zweitbeschäftigungen aus.

Viele kommen mit Einkommen nicht mehr aus

„In der Regel geht es bei den geringfügigen Nebenjobs um einen Zuverdienst, da die Menschen mit ihrem Einkommen nicht mehr auskommen“, sagt AK-Experte Gernot Mitter im Gespräch mit ORF.at. Verantwortlich für die Verschlechterung der Lebensumstände seien höhere Kosten für Lebensmittel, Wohnen, Energie und Sprit. Nicht klar ist hingegen, wie viele der geringfügig Beschäftigten freiwillig einen „Minijob“ wählen und ihn somit einer Vollzeittätigkeit vorziehen. Offizielle Zahlen gibt es nicht dazu.

„Die Zahl der geringfügig Beschäftigten hat zugelegt, wir haben allerdings keine Angaben über die Stundenanzahl der Minijobber“, sagt Dieter Holzweber, Pressesprecher im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, auf Anfrage von ORF.at. Eine Begrenzung auf beispielsweise 15 Wochenstunden, wie derzeit von der SPD in Deutschland gefordert, hätte laut Mitter in Österreich wenig Sinn, „da in Österreich 95 bis 98 Prozent der Beschäftigten durch Mindeststundenlöhne und Kollektivverträge abgesichert sind.“

Kritik: Keine Sozialversicherung und Dumpinglöhne

Der größte Kritikpunkt an „Minijobs“ ist, dass Arbeitnehmer häufig keine Sozialversicherung haben. Es gibt zwar die Möglichkeit, freiwillig einen Monatsbetrag von 53,10 Euro für Kranken- und Pensionsversicherung einzuzahlen. Das nutzen allerdings nur 15 Prozent der geringfügig Beschäftigten. Dies seien laut Mitter vor allem jene, die mehreren Tätigkeiten unter der Geringfügigkeitsgrenze nachgehen und sonst nirgends versichert sind. Viele seien durch den Bezug von Transferleistungen wie Pensionen und anderen Sozialleistungen versichert.

Prognose: Keine Wende in Sicht

Wenn Beschäftigte eine Sozialversicherung haben, liegt ein weiteres Problem in der Höhe der Abgaben. „Bei einem Einkommen von 400 oder 4.000 Euro werden 22 Prozent Sozialversicherungskosten abgezogen. Die Gestaltung muss hier reformiert werden“, sagt der AK-Experte. Die Prognose und künftige Entwicklung von „Minijobs“ sieht Mitter zufolge nicht rosig aus. „Ich glaube nicht, dass sich der jahrzehntelange Trend ändert. Seit den 1990er Jahren findet eine starke Segmentierung des Arbeitsmarktes statt“, so der AK-Experte.

Keine Brückenfunktion

„Die Zahl der Minijobber steigt an, weil das Instrument der Teilzeitarbeit von Arbeitgebern herangezogen wird, um mehrere Köpfe für die gleiche Arbeitszeit zu verkaufen“, sagt AK-Experte Gernot Mitter. Die geringfügige Beschäftigung erfülle keine Brückenfunktion und wird von Arbeitnehmerseite aus purer Not eingegangen. „Für die Arbeitgeber sind mehr Vorteile drin: Es ist eine Flexibilitätsreserve, sie müssen keine Lohnsteuer bezahlen und können niedrige Löhne auszahlen“, sagt Mitter.

Schwächung des Sozialsystems und Korruption

Arbeitsrechtlich stehe geringfügig Beschäftigten ein Anspruch auf Urlaubs- und Krankengeld sowie 13. und 14. Monatsgehalt zu. Da gibt es dem AK-Experten Mitter zufolge eigentlich keinen Unterschied zu voll versicherten Arbeitnehmern. In der Praxis sieht es aber leider anders aus. Geringfügig Beschäftigte erhalten kaum Sonderzahlungen und werden zum Beispiel im Falle eines längeren Krankenstandes sogar gekündigt.

Dass Beschäftigungen unter der Geringfügigkeitsgrenze die Sozialkassen und somit das Sozialsystem schwächen, bestätigt Mitter. Vor allem jene, die nur einen „Minijob“ haben, müssen mit einer niedrigen Pension rechnen. Ihnen droht im Alter eine Existenz unter der Armutsgrenze. „Zusätzlich ist es - auf beiden Seiten - eine Einladung zur Korruption und führt zu inoffiziellen Abgaben in einem zu vermeidenden System.“

Zwei Drittel sind Frauen

Sowohl in Deutschland als auch in Österreich stellen Frauen mit zwei Drittel den Großteil der geringfügig Beschäftigten. Von allen weiblichen „Minijobbern“ sind 51,7 Prozent „nur geringfügig beschäftigt“, 48,3 Prozent stehen noch in einem zusätzlichen Versicherungsverhältnis (etwa voll versicherte Tätigkeit, Kindergeld, Pension). Demgegenüber sind es 39,2 der Männer, die nur geringfügig beschäftigt sind. 60,8 Prozent gaben noch zusätzliche Bezüge an. Dass vor allem Frauen im Alter eine entsprechende „Minipension“ erhalten und ihnen damit Altersarmut droht, ist eine Folge der prekären Arbeitsverhältnisse.

Deutschlands „Minijobber“-Anzahl rekordverdächtig

In Deutschland hob die Regierung ab 1. Jänner 2013 die steuerfreie Verdienstgrenze von 400 auf 450 Euro an. Laut einer von der Bundesagentur für Arbeit (BA) im Jänner veröffentlichten Studie gibt es in Deutschland 7,4 Millionen „Minijobber“. Damit nähert sich die Zahl der Rekordmarke von 7,5 Millionen vom Dezember 2011. Die Anzahl derjenigen, die neben ihrer Hauptbeschäftigung einem steuerfreien Nebenberuf nachgehen, stieg um 3,2 Prozent an – das ist ein Plus von 80.300 auf 2,5 Millionen. Die Angaben sind vom Juni 2012 und werden mit einer Zeitverzögerung von sechs Monaten veröffentlicht.

In Österreich ist laut Angaben des AMS die Beschäftigtenquote 2012 im Vergleich zum Vorjahr angestiegen. Das sei zwar richtig, sagt Mitter. Der AK-Experte gibt aber zu bedenken, dass die geringfügig Beschäftigten nicht in dieser Quote enthalten seien.

Eine Möglichkeit, um das Dilemma der Minijob-Falle zu vermeiden, liegt darin, die geringfügige Beschäftigung abzuschaffen. Die Diskussion darüber ist aber sehr schwierig, da man damit den Niedrigverdienenden, Arbeitslosen und Pensionisten eine Erwerbsquelle wegnimmt. Die zweite Möglichkeit ist, jede Einkommenssparte zu versichern.

Links: