Keine „brave Araberin“
Die palästinensische Knesset-Abgeordnete Hanin Soabi kennt ihr Image: „Man sagt, dass ich die meistgehasste Frau in Israel bin.“ Trotz heftiger verbaler An- und Untergriffe in- und außerhalb des israelischen Parlaments und zahlreicher Morddrohungen lässt sich die 43-Jährige nicht von ihrem Ziel abbringen: dem Kampf für eine echte Gleichberechtigung der arabischen Bürger Israels.
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Die Definition Israels als jüdischer Staat ist für Soabi wie für die meisten anderen palästinensischen Knesset-Abgeordneten „inhärent rassistisch“. Ihre Gegner werfen ihr im Gegenzug vor, eine Gefahr für die Existenz Israels als jüdischer und demokratischer Staat zu sein. Am 22. Jänner tritt sie bei der vorgezogenen Knesset-Wahl an - nachdem der Versuch, ihre Kandidatur zu verhindern, scheiterte.
Verbot von Kandidatur gescheitert
Die Wahlkommission der Knesset hatte Soabi per Mehrheitsbeschluss von einer weiteren Kandidatur ausgeschlossen - doch kurz vor Jahreswechsel hob der Oberste Gerichtshof diese Entscheidung auf. Die Wahlkommission hatte der Abgeordneten der arabischen Partei Nationales Demokratisches Bündnis (die Abkürzung BALAD bedeutet auch „Land“, Anm.) eine Kandidatur mit dem Argument verwehrt, sie vertrete Positionen der „Landesfeinde“.

AP/Free Gaza Movement
Seit ihrer Teilnahme an der Gaza-Flottille ist Soabi für viele Israelis ein rotes Tuch
Soabi, derzeit eine von drei BALAD-Abgeordneten in der Knesset, erklärte nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, das Verbot der Wahlkommission habe keinerlei Rechtsgrundlage gehabt, sondern sei allein aus politischen Motiven erfolgt. „Der Gerichthof hat dem Druck der rassistischen Rechten nicht nachgegeben“, sagte Soabi dem israelischen Militärradio.
Ruhig und polarisierend
So wie vor ihr nur ganz wenige israelisch-arabische Abgeordnete polarisiert Soabi im politischen Diskurs des Landes - dabei ist ihr Auftreten keineswegs polternd oder aggressiv. Ruhig, aber mit Verve vertritt sie ihre Standpunkte - auf Kritik reagiert sie nach außen hin zumeist betont gelassen.
Parallelwelten
Wie weit die jüdische und arabische Lebenswirklichkeit parallel nebeneinander existieren, zeigt sich an der Abgeordneten Hanin Soabi selbst: Sie hat nach eigenen Angaben keine jüdischen Freunde.
Der Auslöser für die massiven Angriffe war Soabis Teilnahme an der Gaza-Flottille im Mai 2010, bei der sie sich an Bord des türkischen Schiffes „Mavi Marmara“ aufhielt. Die Flottille hatte die von Israel gegen den palästinensischen Gazastreifen verhängte Blockade durchbrechen wollen; ein israelisches Militärkommando hatte die „Mavi Marmara“ daraufhin gestürmt und dabei neun türkische Aktivisten getötet. Zuvor waren drei Soldaten des Kommandos vorübergehend als Geiseln genommen worden.
Kurz darauf unterzeichneten Zehntausende Israelis eine Petition, die den Ausschluss Soabis aus der Knesset forderte. Im Plenum der Knesset kam es nach Soabis Rückkehr mehrmals zu tumultartigen Szenen. Soabi wurde verbal hart angegriffen, ihre politischen Kontrahenten wurden dabei wiederholt untergriffig und beinahe handgreiflich.
„Steigert Selbstbewusstsein“
In einem langen Interview mit der israelischen Tageszeitung „Haaretz“ zu Jahresbeginn räumte Soabi ein, dass sie die Angriffe psychisch belasten. Zugleich gibt sie sich kämpferisch: Jeder Angriff „steigert die Sympathie und das Selbstbewusstsein der palästinensischen Bürger in Israel. Das ist wichtiger als Mandate.“

Reuters/Ammar Awad
Soabi Ende Dezember bei einer Anhörung vor dem Höchstgericht
„Man machte mich zu einer Terroristin, die Juden ins Meer werfen will und den Staat zerstören will. Mein Traum, ein Staat für all seine Bürger und nationale Gleichstellung für alle, wurde zur Seite gedrängt. Meine Arbeit im Parlament wird gar nicht wahrgenommen.“ Soabi reichte laut „Haaretz“ 124 Gesetzesinitiativen ein, die sich vor allem mit der Eingliederung arabischer Frauen in den Arbeitsmarkt beschäftigen.
Scharfe Kritik an Kollegen
Ein Teil der Abgeordneten sei „nicht professionell“ und vertrete rassistische Standpunkte. Zwei Tage nach den Ereignissen auf der „Mavi Marmara“ habe sie in der Knesset den Abgeordneten einen Zeugenbericht von den blutigen Ereignissen liefern wollen. Sie sei bereit gewesen, sich befragen zu lassen. Doch stattdessen habe sie nur Hass zu spüren bekommen. Kein Abgeordneter habe sie verteidigt. Zipi Livni, ehemalige Außenministerin und damalige Oppositionschefin, habe mit keinem Wort die Angriffe verurteilt, so Soabi. Das sei für sie nicht nur eine „nationale, sondern eine menschliche Enttäuschung“ gewesen.
Soabis politischer Traum
Soabi ist eigenen Angaben zufolge davon überzeugt, dass jüdische und arabische Bürger zusammenleben können. Doch sie stellt klar, dass sie nicht bereit ist, die „brave Araberin“ zu geben, die sich genau an jene Grenzen hält, die im israelischen Diskurs den palästinensischen Israelis zugewiesen werden. Ihr politischer Traum seien vielmehr selbstbewusste Araber, „die nicht auf ihre Rechte verzichten. Gleichberechtigung und Stolz auf sich selbst gehen Hand in Hand. Ich will, dass diese Botschaft bei beiden Seiten ankommt.“
Vier arabische Parteien
Derzeit sind neben BALAD (drei Mandate) noch zwei weitere arabische Parteien in der Knesset vertreten: Hadasch (4), die Vereinigte Arabische Liste - Ta’al (3) und die Demokratische Arabische Partei (1). Die politische Vertretung der Interessen der palästinensischen Israelis in der Knesset wird nicht zuletzt durch die niedrige Wahlbeteiligung und die traditionelle Spaltung zwischen den Gruppierungen geschwächt.
Soabi in „Haaretz“ weiter: „Wie gesagt, der Staat und seine Bürger haben sich an das Modell des ‚braven Arabers‘ gewöhnt. Ich bin sein Gegenteil.“ Sie kämpfe für die Gleichstellung zwischen jüdischen und arabischen Bürgern im Staat, so wie es das Gesetz vorsieht, „und das empört viele“.
Katastrophe vs. Befreiung
Soabi beklagt, dass bis heute von staatlicher und jüdischer Seite nicht oder viel zu wenig anerkannt werde, welche „Katastrophe“ (Nakba, der arabische Name für Israels Staatsgründung und die Vertreibung Hunderttausender Araber, Anm.) die Ereignisse von 1948 waren und bis heute sind: „Der Zionismus sieht die Staatsgründung als Befreiungsprojekt und nicht als Projekt, bei dem ein Staat auf Kosten einer anderen Heimat und eines Volkes, das vertrieben wurde, errichtet wurde.“ Sie kritisiert, dass bis heute der zionistische Mythos vom weitgehend unbewohnten Palästina, das die ersten jüdischen Siedler vorgefunden hätten, fortgeschrieben werde. Soabi fordert, dass dieses „Narrativ von ‚Das Land ohne Volk für ein Volk ohne Land‘“ geändert wird.
Soabis fordernder Appell an die jüdischen Bürger: „Ich will mit euch leben, aber ihr müsst auch mit mir leben. Anerkennt die historische Tatsache, dass ihr hergekommen seid und ich schon hier war. ... Wenn wir ein neues Kapitel aufschlagen wollen - bitte, gern. Aber dafür muss auch das Unrecht der Vergangenheit gelöscht und eingestanden werden - dann können wir über Gleichberechtigung reden.“
Im Nahost-Konflikt warnt Soabi gegenüber „Haaretz“ davor, dass die Zeit für eine Zweistaatenlösung - für die sowohl die derzeitige Regierung von Benjamin Netanjahu offiziell eintritt als auch Soabis BALAD - ablaufe. Diese werde durch den israelischen Siedlungsbau immer unwahrscheinlicher. Nach Ansicht Soabis geht es bereits in Richtung binationaler Staat. Dieser wird von den meisten jüdisch-israelischen Politikern abgelehnt, aus Sorge, die jüdische Bevölkerung könnte dann rasch zur Minderheit werden.
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