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Premier verspricht „neue Maßnahmen“

Frankreichs höchstes Gericht hat die umstrittene 75-Prozent-Steuer für Spitzenverdiener gekippt. Der Verfassungsrat teilte heute seine Entscheidung mit, die einen herben Rückschlag für die seit sieben Monaten amtierende Regierung des sozialistischen Präsidenten Francois Hollande bedeutet.

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Der Steuersatz von 75 Prozent auf Einkommen von mehr als einer Million Euro war Kern von Hollandes im Wahlkampf propagierten Bemühungen, reiche Bürger zur Sanierung der Staatsfinanzen in die Pflicht zu nehmen. Gegen die neue Regelung, die 2013 in Kraft treten sollte, waren erwartungsgemäß vor allem wohlhabende Franzosen Sturm gelaufen.

Regierung bemüht um Schadensbegrenzung

Die Aufhebung des Steuergesetzes begründete der Verfassungsrat mit einer Ungleichheit zum sonstigen Steuerrecht: Die Maßnahme basiere auf dem Einkommen von einzelnen Personen, üblicherweise werde aber das Einkommen von Haushalten als Grundlage für die Einkommensteuer genommen. Das würde bedeuten, dass eine allein lebende Person, die mehr als eine Million Euro verdient, die höhere Steuer zahlen müsste, ein Haushalt mit zwei Personen, die jeweils 900.000 Euro Einkommen angeben, jedoch nicht.

Verfassungsrat

Der 1958 von General Charles de Gaulle geschaffene Verfassungsrat besteht aus neun Mitgliedern und wird alle drei Jahre zu einem Drittel erneuert. Er verfügt über umfangreiche Vollmachten. So bewahrte er Jacques Chirac vor einer Verurteilung in der Schmiergeldaffäre.

Hollande reagierte laut Angaben aus seinem Umfeld „gelassen“. In der Regierung hingegen bemühte man sich am Samstag eilig um Schadensbegrenzung. Man werde eine „revidierte“ Version der Steuerreform neu einbringen, hieß es in einer ersten Reaktion. Regierungschef Jean-Marc Ayrault kündigte „neue Maßnahmen“, die den Vorgaben des Verfassungsrats entsprächen, um das Staatsbudget 2013 nicht zu gefährden. Er bezeichnete das Kippen der Reichensteuer als „symbolische“ Zensur. „Die Opposition hat auf eine strenge Zensur gehofft“, sagte Ayrault . „Sie ist symbolisch, aber nicht streng.“

"Neuen Mechanismus finden

Indem der Verfassungsrat den Steuersatz von 75 Prozent für Jahreseinkommen von mehr als einer Million Euro kippte, habe er „das deutlichste Symbol“ der französischen Regierung für eine ausgewogene Besteuerung „vorübergehend abgeschafft“.

Nun müsse „ein Mechanismus“ gefunden werden, um die Steuer wieder einzuführen und gleichzeitig mit der Entscheidung des Verfassungsrates konform zu gehen, sagte Ayrault. Die Regierung halte an einem Höchststeuersatz von 75 Prozent fest, „weil wir die Zusagen des Präsidenten respektieren“. Die Regierung werde sich „die notwendige Zeit lassen“, um ein neues Gesetz auszuarbeiten, das dann anschließend dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werde. „In jedem Fall wird es für die Einkommen von 2013 angewandt, was uns ein wenig Zeit gibt.“

1.500 Personen betroffen

Die Reichensteuer, die Hollande Ende Februar angekündigt hatte, war zunächst für zwei Jahre vorgesehen. Im Haushaltsplan für das Jahr 2013 wurde sie mit eingerechnet. Laut Angaben aus Regierungskreisen betraf der Höchststeuersatz ungefähr 1.500 reiche Franzosen. Der Staat habe sich von der Maßnahme im kommenden Jahr „weniger als 500 Millionen Euro“ Mehreinnahmen versprochen. Der gesamte französische Staatshaushalt für 2013 hat nach diesen Angaben ein Volumen von rund 300 Milliarden Euro.

Trotz der relativ geringen Auswirkungen auf den Haushalt galt die Reichensteuer als eines der Vorzeigeprojekte des im Mai gewählten sozialistischen Präsidenten. Die konservative Opposition und Wirtschaftsvertreter hatten die Maßnahme heftig kritisiert und vor der Abwanderung reicher Franzosen ins Ausland gewarnt. Neue Nahrung bekam der Streit, als der französische Filmstar Gerard Depardieu seinen Wohnsitz nach Belgien verlegte. Ayrault hatte die Steuerflucht des 63-Jährigen als „ziemlich erbärmlich“ bezeichnet.

UMP: „Steuerknüppel-Politik abgestraft“

Angerufen wurde der Verfassungsrat von Abgeordneten und Senatoren der früheren konservativen Regierungspartei UMP. Der ehemalige Regierungschef Francois Fillon sah sich durch die Entscheidung der Verfassungsschützer bestätigt. Damit sei die „Steuerknüppel-Politik“ Hollandes abgestraft worden, sagte er.

Mit Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen im Umfang von knapp 37 Milliarden Euro will Frankreich das Haushaltsdefizit im kommenden Jahr auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) drücken. Wirtschaftsexperten bezweifeln aber, dass das Staatsdefizit tatsächlich wie von Brüssel verlangt auf drei Prozent gesenkt werden kann. Sie sagen unter anderem negative Effekte der Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen auf das Wirtschaftswachstum voraus.

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