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„Die Politik spielt Mikado“

Seit dem 24. November hatte eine kleine Gruppe Asylwerber ihre Zelte vor der Votivkirche aufgeschlagen, um auf die Situation im Flüchtlingslager Traiskirchen aufmerksam zu machen. Am 29. Dezember um 4.00 Uhr wurde das Lager von der Wiener Polizei geräumt - mit Unterstützung der Magistratsabteilung des Wiener Rathauses.

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„Das Ministerium kommentiert eine Aktion der Wiener Polizei nicht“, sagte Innenministeriumssprecher Karlheinz Grundböck am Samstag. Auch ob das Innenministerium über die Räumung Bescheid wusste, wollte Grundböck nicht bestätigen. Grünen-Chefin Eva Glawischnig hatte am Freitagabend in einem ZIB2-Interview gesagt, dass das Innenministerium und nicht die Wiener Regierung für die Räumung verantwortlich sei.

Park vor Votivkirche nach der Räumung

APA/Georg Hochmuth

Der Platz vor der Votivkirche ist seit Freitagfrüh leer

Sie glaube nicht, dass jemand in der rot-grünen Wiener Stadtregierung von der Räumung etwas wusste, so Glawischnig. Sie unterstütze die Forderungen der Asylwerber nach menschengerechter Unterbringung und der Möglichkeit zu arbeiten. Die Begründung der Polizei, das Zeltlager habe wegen Verstoßes gegen die Wiener Kampierverordnung geräumt werden müssen, hält Glawischnig für „vorgeschoben“.

Räumung mit Beteiligung der MA

Doch ganz so unbeteiligt war die Wiener Stadtregierung dann doch nicht. Denn neben den Polizisten waren bei der Räumung in den frühen Morgenstunden auch Mitarbeiter des Magistrats dabei, die dann auch die Zelte abbauten und abtransportierten, wie die Wiener Polizei gegenüber ORF.at bestätigte. Die ganze Aktion sei, „wie es in der Stadt üblich ist“, einvernehmlich mit dem Rathaus geschehen, sagte Polizeisprecher Johann Golob. Vonseiten der Polizei war die Lage rechtlich klar: Durch das Mitwirkungsgesetz sei die Räumung unausweichlich gewesen. „Hätten wir das nicht getan, wäre das Amtsmissbrauch gewesen“, so Golob.

Eine Aufforderung vonseiten der Stadt zur Räumung des Camps habe es laut Wiens Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) nicht gegeben. „Die Stadt ist für Kritik in der Asylfrage die falsche Adressatin“, so Wehsely am Freitag. Denn Wien sorge nicht nur für hohe Qualitätsstandards in der Unterbringung, sondern „übererfülle“ auch die Betreuungsquote seit jeher. Die Wiener Ressortchefin sah vor allem das Innenministerium und die anderen Bundesländer in der Pflicht.

Hunderte bei Solidaritätsdemonstration

Hunderte Menschen nahmen am Samstag an einer Solidaritätsdemonstration vor der Votivkirche teil. Der Demonstrationszug startet kurz nach 17.00 Uhr vom Sigmund-Freud-Park und führte über das Polizeianhaltezentrum Rossauerlände, das Innenministerium und das Bundeskanzleramt wieder zurück zum Votivpark.

Ein großes Polizeiaufgebot sowie „No boarder, no nation, stop deportation“ - Rufe begleiteten die Protestveranstaltung, an der laut Veranstalter rund 1.000 Menschen teilnahmen. Die Polizei war für Angaben zur Teilnehmerzahl vorerst nicht erreichbar. Auf Plakaten waren Slogans wie „Österreicher lernt aus eurer Geschichte“ und „Die Genfer Flüchtlingskonvention steht über der Campingverordnung“ zu lesen.

„Wer sich zuerst bewegt, verliert“

Doch abseits von den gesetzlichen Regelungen, die unter anderem Campieren in der Wiener Innenstadt verbieten, bleibt weiter die Frage nach der politischen Verantwortung offen. Die Politik spiele derzeit offenbar „Mikado“, nach dem Motto „wer sich zuerst bewegt, verliert“, sagte der Wiener Caritas-Direktor Michael Landau am Samstag. Er bittet Josef Ostermayer (SPÖ) und Sebastian Kurz (ÖVP) um Vermittlung in der Causa. Die Regierung dürfe „nicht länger auf Tauchstation bleiben und das Leid von Menschen erste Reihe fußfrei betrachten“, so Landau.

Flüchtlinge in Votivkirche

APA/Georg Hochmuth

Rund 40 Personen harren noch in der Votivkirche aus

„Auch wenn nicht alle Flüchtlinge Asyl erhalten werden, haben die Notleidenden doch ein Recht, dass man ihnen zuhört“, appellierte Landau an die Politiker, im Anschluss an den Runden Tisch mit den Flüchtlingen, Hilfsorganisationen und dem UNHCR das Gespräch rasch fortzusetzen - und „Sorgen und Ängste ernst zu nehmen, hinzusehen und nicht wegzusehen“.

In der Kirche selbst harren rund 40 Asylwerber aus, 14 sollen im Hungerstreik sein. Sechs von ihnen wurden am Freitag wegen Kreislaufproblemen zumindest vorübergehend ins Krankenhaus gebracht. Zentrale Forderungen sind unter anderem bessere Standards in der Unterbringung, Zugang zum Arbeitsmarkt und die Löschung ihrer Fingerprints, um woanders in der EU um Asyl ansuchen zu können.

SPÖ wenig Verständnis für Forderungen

Aus dem Innenministerium signalisierte man Bereitschaft für weitere Gespräche. „Wir stehen zu den Vereinbarungen, die beim Runden Tisch am 21. Dezember getroffen wurde“, sagte Ministeriumssprecher Grundböck. Vertreter des Ministeriums seien selbst mehrmals im Camp und in der Kirche gewesen. Das Angebot des Innenministeriums, sich mit einem Bus zurück in ihre Quartiere bringen zu lassen, sei jedoch ausgeschlagen worden, so Grundböck.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter zeigt wenig Bereitschaft, auf Forderungen aus der Votivkirche einzugehen. Er hält es für „sehr problematisch, wenn solche Aktionen gesetzt werden, die im Ergebnis überzogen sind“. Und ihm fehle das Verständnis, wenn das Angebot warmer Quartiere mit voller Versorgung von den Flüchtlingen nicht angenommen werde.

Manche Forderungen - wie „die Anerkennung jeglichen Asylgrundes“ - würden nicht mit der Rechtsordnung korrespondieren. Mit anderen Wünschen - wie jenem auf Arbeitsmarktzugang für Asylwerber - laufe man zwar bei der SPÖ „offene Türen“ ein. „Aber das wird unabhängig von der Kirchenbesetzung umzusetzen sein“, sagte Kräuter gegenüber der APA.

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