Größtes Finanzzentrum im Nahen Osten
Größer, höher, moderner: Wie andere Prestigeprojekte des türkischen Premiers Recep Tayyip Erdogan soll auch der neue Finanzbezirk in Istanbul alles Vergleichbare in den Schatten stellen. Der 2,6 Milliarden Dollar teure Gebäudekomplex soll mit den Bankenvierteln in New York, London und Tokio konkurrieren – und Dubai demnächst überflügeln.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Der Stadtteil Atasehir, wo jetzt die türkische Wall Street aus dem Boden schießt, war bisher alles andere als eine Vorzeigegegend. Im asiatischen Teil Istanbuls gelegen, ist Atasehir aus improvisierten Zuwandererquartieren entstanden.

Reuters/Murad Sezer
Das prunkvolle Finanzzentrum mit der neuen Mimar-Sinan-Moschee
Die gerne besuchten Teile der Stadt liegen mehr als eine Stunde weit entfernt. Doch dass ein unförmig gewachsenes Armenhaus am Rande der Autobahn binnen kurzer Zeit zu einem der wichtigsten Anziehungspunkte der Stadt werden kann, zeigt die Dynamik Istanbuls.
Neues Wahrzeichen für den Aufschwung
50.000 Menschen sollen im Internationalen Finanzzentrum (IFC) arbeiten. Sämtliche großen Banken des Landes und der Region sollen hier ebenso vertreten sein wie die Istanbuler Börse. Diese hat längst Frankfurt überholt und ist viermal so groß wie die von Dubai. Internationale Großbanken wie die russische Sberbank, die Mitsubishi Corporation und die Mizuho Financial Group aus Japan und die kuwaitische Burgan Bank zog es im letzten Jahr in die Türkei.
Im Zentrum des neuen Finanzdistrikts wird ein 60 Stockwerke hoher Turm stehen. Rundherum gruppieren sich kleinere Bürotürme, Hotels, Einkaufszentren und Wohnkomplexe. Die Anordnung der verschiedenen Gebäude ist dem Topkapi-Palast nachempfunden, sagen die Architekten. Doch die Bauweise soll nicht nur moderne Funktionalität zeigen, sondern auch auf dem Gebiet von Umwelttechnologie und Nachhaltigkeit neue Maßstäbe setzen – ein Ansatz, der bei bisherigen türkischen Großprojekten kaum eine Rolle gespielt hat.
Auch die Bevölkerung von Atasehir soll von dem neuen Bankendorf in ihrer Mitte etwas haben. Zwar werden nur wenige Anrainer dort einen Arbeitsplatz finden – doch die Architekten haben einige Fußgängerbrücken über die nahe gelegene Autobahn eingeplant. Damit wird auch der etwas abseits gelegene Botanische Garten leichter zugänglich.
Anziehungspunkt für Ölgeld
Kritik an dem Megaprojekt ist ohnehin kaum zu erwarten. Dass die türkische Wirtschaft immer mehr internationale Investoren anzieht, während Europa tief in der Krise steckt, ist nicht nur AKP-Anhängern eine Genugtuung. Bei aller Kritik am autoritären Kurs Erdogans wird dem Regierungschef doch zugutegehalten, dass er dem Land bereits zehn Jahre Stabilität gebracht hat. Das gilt auch für das türkische Bankensystem.
Auch der „arabische Frühling“ hat der Türkei in die Hände gespielt, zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht. In den letzten zwei Jahren wurde Kapital aus den Ölstaaten vermehrt in der Türkei angelegt, wohl um der Unsicherheit in anderen Teilen der Region auszuweichen. Sogar vom Konflikt zwischen dem Westen und dem Iran konnte die türkische Wirtschaft bisher profitieren. Dass der Iran im letzten Jahr verstärkt türkisches Gold kaufte, hat die Handelsbilanz der Türkei merkbar verschönert.
Und doch kann sich auch die Türkei nicht von den Krisen in ihrer Umgebung abkoppeln. Der Krieg im benachbarten Syrien droht den Kurden-Konflikt im Land zu vertiefen. Und das könnte auch der erfolgsverwöhnten türkischen Wirtschaft einen Dämpfer versetzen.
Christian Schüller, ORF.at
Link: