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Tatas Starprinzip

Als er 1991 Indiens größtes Firmenkonglomerat übernahm, gab es einen Aufschrei und ätzende Kritik: Er habe den Posten nicht wegen seiner fachlichen Qualitäten bekommen, sondern einzig deshalb, weil er der Enkel des Gründers sei. Doch der nun 75-jährige Ratan Tata hat in den folgenden Jahren alle Kritiker und Skeptiker eines Besseren belehrt.

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Nicht jede seiner Entscheidungen war richtig - doch er baute das indische Traditionsunternehmen zielstrebig und unnachgiebig zu einem internationalen Konzern aus. Besonders symbolträchtig war die Übernahme der britischen Autotraditionsschmiede Jaguar durch das Unternehmen aus der ehemaligen britischen Kolonie. Es machte unwiderruflich die Bedeutung der Schwellenländer für die Weltwirtschaft klar.

Würde, Pflicht und Schäferhunde

Obwohl Ratan Tata weniger als ein Prozent der gesamten Gruppe besitzt, ist er trotzdem zu Indiens einflussreichstem Manager geworden - und das obwohl sein persönliches Auftreten stets bescheiden und zurückhaltend war. Das britische Wochenmagazin „Economist“ beschrieb Tata als „geborenen Gentleman“, der ein asketisches Leben führe, oft von „Würde“ und „Pflicht“ spreche und in Gesellschaft seiner zwei Schäferhunde am glücklichsten sei.

Der indische Manager Ratan Tata steht vor einem Nano-Auto

AP/Rajanish Kakade

Der Firmenchef mit seinem Lieblingsprojekt, dem billigen Kleinwagen Nano

Dazu pflegte Tata einen radikal anderen Umgang mit der politischen Klasse als viele der jüngeren indischen Entrepreneure: Stets blieb er auf Distanz, begab sich nie in Abhängigkeit von Neu-Delhi und scheute auch nicht davor zurück, die Regierung öffentlich zu maßregeln.

Indischer Global Player

Die Tata Gruppe ist ein Konglomerat, das von Kaffee über Stahl bis Hotels fast alles umfasst. Viele der Unternehmen sind führend in Indien: Die Tata Consultancy Services (TCS) ist die größte indische Softwarefirma, Tata Power ist das größte private Elektrizitätsunternemen. Bei Autos, Stahl und Tee ist Tata einer der wichtigsten Global Player. Im vergangenen Geschäftsjahr setzte die Gruppe 76 Milliarden Euro um.

Neuer Firmentyp

Als er 1991 das Ruder übernahm, waren die Folgen der jahrzehntelangen Planwirtschaft, die erst im Jahr zuvor aufgehoben worden war, noch immer allgegenwärtig. Tata war praktisch nur im Inland tätig. 20 Jahre später gehört Indien laut „Economist“ zu den dynamischsten Volkswirtschaften und die Tata-Gruppe ist in mehr als 80 Ländern der Welt tätig.

So wie das Unternehmen schon kurze Zeit nach seiner Gründung im Jahr 1868 eine führende Rolle bei der indischen Nationswerdung einnahm, hat es nun eine Leitfunktion bei der Globalisierung der indischen Wirtschaft inne.

Die Gruppe habe, so der „Economist“, einen neuen Firmentyp auf die globale Bühne gehoben: stärker diversifiziert als westliche Konzerne und vermutlich besser dafür gerüstet, in Industrie- und Schwellenländern zu wachsen.

„Zweite Unabhängigkeit“

Ratan Tata erkannte von Beginn an die Chancen und Risiken der Liberalisierung, die in der indischen Geschäftswelt als „zweite Unabhängigkeit“ bezeichnet wird, und ging daran, den Konzern völlig neu aufzustellen. Er fokussierte die Gruppe auf sechs Industrien, die seit dem Jahr 2000 die meisten Gewinne abwarfen - Stahl, Fahrzeuge, Stromerzeugung, Telekom, IT und Hotels. Ratan Tata stieß andere Unternehmen ab, um in diesen sechs Kernbereichen die oft geringen Beteiligungen deutlich zu steigern.

Laut „Economist“ müssen sich Firmen das Recht erarbeiten, den Markennamen Tata zu verwenden. Tata Administrative Service (TAS) wählt besonders erfolgreiche Manager aus, die regelmäßig von einer Konzerntochter zur anderen wechseln, und so ihre Karriere aufbauen können. „Stars“ aus dem gesamten Konzern werden jährlich ausgewählt, um einzelne Konzernteile zu durchleuchten und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.

Prominente Einkäufe

Ratan Tata beschleunigte den Globalisierungsprozess dramatisch: Wurde von 1995 bis 2003 im Schnitt ein Unternehmen im Ausland gekauft, so waren es 2004 sechs und von 2005 bis 2006 sogar 20. Die Übernahme international bekannter Marken begann 2004, als Tata Tea die britische Firma Tetley Group um 340 Mio. Euro kaufte. 2007 kaufte Tata Steel um 9,4 Mrd. Dollar Corus, Europas zweitgrößter Stahlproduzent.

Im Jahr darauf landete Ratan Tata seinen bisher öffentlichkeitswirksamsten Coup: Er kaufte für 1,5 Mrd. Euro die britische Traditionsautomarke Jaguar Rover. Mittlerweile stammen bereits weit mehr als die Hälfte der Erlöse aus ausländischen Firmen. Zudem sind zwei der größten Tata-Unternehmen - Tata Motors und Tata Communications - an der New Yorker Börse gelistet.

Cyrus Mistry, Nachfolger von Ratan Tata

AP/Rajanish Kakade

Die Frage, die Cyrus P. Mistry in den nächsten Jahren ständig begleiten wird: Kann er in die großen Fußstapfen seines Vorgängers treten?

Produkte für die Armen

Doch nicht nur in Industriestaaten, auch in anderen Schwellenländern investierte Ratan Tata - so kaufte Tata etwa in Südkorea Daewoos Lkw-Sparte auf. Tata Motors produziert mit dem Nano das billigste Auto der Welt - und Ratan Tata wiederholte immer wieder sein Mantra: Dass es die Pflicht seines Konzerns sei, Produkte für die Armen zu machen.

Die Unternehmenskultur stellte Ratan Tata ebenfalls auf den Kopf. Das Unternehmen, das vor allem mit sicheren Jobs assoziiert wurde, ist nun davon „besessen“, die Kunden zufriedenzustellen und internationale Standards zu erreichen, so der „Economist“. So verdoppelte die Stahlgruppe seit 1994 ihre Produktion, während zugleich die Belegschaft in Indien auf 30.000 mehr als halbiert wurde.

Manager mit hohem Ethos

Weggefährten bescheinigen Ratan Tata, Indiens Vorzeigekonzern stets mit großem Verantwortungsbewusstsein geführt zu haben. Seine Ethik sei immer der Fixpunkt all seines unternehmerischen Tuns gewesen, schrieb sein Konkurrent Ramaswamy Seshasayee zu seinem Abschied. Die Gewinne des Konzerns fließen überwiegend in gemeinnützige Stiftungen, was dem Philanthropen Tata dieses Jahr den Rockefeller-Preis für sein Lebenswerk einbrachte.

Firma bleibt in Familienhänden

Die soziale Verantwortung liege ihm in den Genen, sagte Tata dazu einmal. Die Firmengruppe, die vor 144 Jahren gegründet wurde, hatte bisher nur fünf Vorsitzende - und davon trug nur einer nicht den Namen Tata. Auch Ratan N. Tatas Nachfolger, Cyrus P. Mistry, gehört im weiteren Sinne zur Familie: Seine Schwester ist mit Ratans Großcousin verheiratet.

Seinem mehr als 30 Jahre jüngeren Nachfolger sagte Ratan Tata laut „India Today“: „Du musst du selbst sein. Du musst deine eigene Berufung annehmen - und du sollst entscheiden, was du tun willst.“ Keinesfalls wolle er nach seinem Abgang wie ein Schatten über Mistry schweben. Allerdings werden sich die beiden laut Ratan Tata alle paar Wochen zum Lunch treffen - da könne ihn Mistry alles fragen, was er wolle. Wenn Mistry seinen Rat wolle, werde er ihn gaben. „Aber du musst deinen eigenen Mann stehen und darfst dich nur danach richten, dass alles, was du tust, der öffentlichen Überprüfung standhält.“

Tatas Vision für Indien

Der nun 75-Jährige wäre gerne 20 Jahre jünger, wie er zuletzt betonte - nicht, um weiterzuarbeiten, sondern um zu erleben, wohin Indien sich noch entwickelt. Denn Ratan Tata wird künftig die zahlreichen Wohltätigkeitsfonds leiten, an die der Großteil der Gewinne ausgeschüttet wird.

Und über seine künftige Tätigkeit hat Tata bereits eine klare „Vision“: „Mein wichtigstes Ziel ist es, die Ernährung von Kindern und die Versorgung Schwangerer zu verbessern, denn das würde die mentale und körperliche Gesundheit unserer Bevölkerung in den späteren Jahren verändern“, so Tata in einem Interview mit dem US-TV-Journalisten Charlie Rose.

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