Digitales Daumenkino auf Erfolgskurs
Nicht Twitter, nicht Instagram und schon gar nicht Facebook war der Webtrend 2012, sondern ein eigentlich reanimierter Oldie: Das Animated GIF hat seinen späten Siegeszug durch das Netz gestartet. Es vereint die Vorteile eines Bildes als relativ kleines File, für das kein Videoplayer notwendig ist, und die des Videos.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Dabei ist das GIF schon ein Kind der 80er: 1987, also genau vor 25 Jahren, wurde das Graphics Interchange Format (GIF) vom Onlinedienstleister Compuserve erfunden. Als Bilddatei hatte es aber gegenüber der Konkurrenz erhebliche Nachteile: Bei begrenzter Auflösung und einer zunächst auf 256 Farben beschränkten Farbpalette hatte es gegen das Bildformat JPG eigentlich keine Chance.
Web
Es wird geschaufelt
Den ersten Boom erlebte es dann aber doch Mitte der 90er, als die ersten leistungsfähigeren Browser wie Netscape 2.0 auf den Markt kamen: Mit mehreren Einzelbildern in einer Datei war das moderne Daumenkino geboren. Gerade auf den ersten privaten Websites kam man kaum ohne blinkende, lodernde und sich drehende Motive aus. Der Klassiker: Die „Under Construction“-Animation, die zeigen sollte, dass man vielleicht die Hobby-Section noch zu erweitern gedachte oder noch ein paar Familienbilder einfügen wollte. Auch Seiten wie Hamsterdance schafften es zu plötzlichem Ruhm.
Web
Hinterhältiges aus dem Tierreich
Doch der Chic, der gerne als „Augenkrebs verursachend“ geschmäht wurde, verblasste bald - das Animated GIF verschwand für Jahre in der Versenkung. Ein erstes Minirevival erfolgte nicht ganz überraschend auf MySpace, dessen recht chaotisches Retrodesign durchaus mit den Webpages der kostenlosen Geocities-Websites der 90er Jahre zu vergleichen ist. Mit leicht zu bedienender Software zur Erzeugung gelang dem Phänomen aus dem Web 1.0 das Comeback im Web 2.0 perfekt, heißt es etwa in einem PBS-Video.
Smiley-Ersatz und Katzen
In Postingforen - allen voran beim anarchistischen Bilderforum 4chan - schon immer verstärkt genutzt, breitete sich nun auch der Trend aus, GIFs als Emoticon-Ersatz zu nutzen. Statt einem Smiley gibt es dann etwa hysterisch lachende Promis. Und überhaupt finden sich Tausende Schnipsel von Politikern, Musikern, Schauspielern und Haustieren, die Überraschung, Entsetzen, Empörung oder sonst eine Gemütsregung untermauern sollen.
Gefühlte 70 Prozent der Bilder haben allerdings genau ein Motiv: Katzen, Katzen und noch mehr Katzen. Und nicht zu vergessen: Katzen. Der Hype ging Hand in Hand mit dem Aufschwung der Bilderblogplattform Tumblr, die heuer die Grenze von 20 Milliarden Posts durchbrach. Auch bei Twitter und Google+ hielten die GIFS Einzug. Einzig Facebook lässt - trotz einer Vielzahl entsprechender Userwünsche - das Dateiformat nicht zu.
Web
Katze und Schachtel gilt als todsichere GIF-Kombination - hier mit Hundebonus
Olympia und US-Wahl
Doch damit nicht genug: Aus den Kommentaren und Postings zu Medienmeldungen fanden die Animated GIFs auch ihren Weg in die Artikel. Teilweise sind es die üblichen Scherzbilder, wie hier in einer mehrteiligen und nicht gerade wohlwollenden Leserrezension und -nacherzählung des Hausfrauen-S/M-Bucherfolgs „Fifty Shades of Grey“. Dem nicht ganz unähnlich erzählt der Businessinsider die Entwicklung der US-Jobkrise und die Antwort der US-Fiskalpolitik in bunten Bildern nach.
Web
Zuhause bei den Romneys: das Jenga-Malheur
Der Boom in den großen Medien erfolgt dann mit den Olympischen Spielen in London: Buzzfeed und „New York Times“ animierten die besten Momente der Spiele, Atlantic Wire dokumentierte den Sieg der US-Turnerinnen gegen ihre russischen Konkurrentinnen.
Schließlich eroberte die neue Form auch die Berichterstattung über den US-Präsidentschaftswahlkampf: Atlantic Wire und der britische „Guardian“ spielten die TV-Duelle um die US-Präsidentschaft als GIFs nach. Schließlich fand freilich auch der Strato-Sprung von Felix Baumgartner eine Umsetzung - auch in mehreren parodistischen Variationen.
gifak.net
Was in der Stratosphäre damals wirklich passierte
Einigermaßen unklar bei GIFs sind rechtliche Fragen: Einmal im Netz scheinen sie als Gemeingut zu gelten. Und auch bei der Frage des Copyrights des Ursprungsmaterials - etwa von TV-Serien und Fernsehbildern - findet man sich in einer rechtlichen Grauzone. Die Umwandlung in ein GIF könnte als künstlerischer Akt gewertet werden. Anzeigen wegen Verstöße gegen das Urheberrecht wurden bisher jedenfalls keine bekannt.
US-Wort des Jahres
Der Medienboom fand auch auf noch seriöseren Seiten ihren Niederschlag: Das Oxford American Dictionary wählte GIF zum Verb des Jahres - und zwar als Verb, sprich das Kreieren eines GIFs. Das GIF habe sich von einem Medium der Popkultur-Memes in ein Tool für seriöse Anwendungen wie Forschung und Journalismus entwickelt, hieß es in der Begründung im November.
Web
Nicht nur in der Populärkultur, sondern auch in der Hochkultur ist das GIF schon längst angekommen. Bereits im Jänner hatte New York Public Library eine Website eingerichtet, auf der sich Stereogramme in GIFS verwandeln lassen. Medienkünstler haben sich ohnehin schon länger den Möglichkeiten angenommen. Im März widmete sich das Museum of Contemporary Art in Chicago den animierten Bildern, die Art Basel widmete ihnen vor einigen Wochen sogar ein eigenes Subfestival.
Links: