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Dschihadisten unter der Lupe

Keine Führungspersönlichkeiten, keine klaren Strukturen: Über den Aufstand gegen Syriens Präsidenten Baschar al-Assad herrschte sowohl politisch als auch militärisch erstaunlich lange Unklarheit. Wie in anderen Ländern des „arabischen Frühlings“ sorgt man sich im Westen vor allem vor radikalislamischen Tendenzen, sollte das Regime fallen: Zustände wie in Afghanistan und im Irak werden befürchtet.

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Nun zeichnen einige Analysen ein deutlicheres Bild, wie sich die Rebellen zusammensetzen. Der Londoner Anti-Terror-Thinktank Quilliam Foundation teilt die Rebellen grob in drei Gruppen. Zunächst gebe es lokale Kämpfer wie Kurden, die für ihre Rechte eintreten würden. Die größte Gruppe seien dann die „Patrioten“, die vor allem von der Freien Syrischen Armee (FSA) repräsentiert werden.

Radikalität nur für Waffenlieferungen?

Diese seien zwar gläubig, aber zumindest bisher noch nicht extremistisch - auch wenn die Gefahr bestehe, dass im Zuge der Auseinandersetzung eine Radikalisierung einsetze. In diese Gruppe fallen auch unzählige Milizen und Kampfverbände, die teilweise mit der FSA verbündet seien.

Einige Milizen täuschten laut einer Studie des US-Thinktanks International Crisis Group (ICG) teilweise radikalislamische Gesinnung vor oder übertrieben diese, um Unterstützung zu bekommen. Demnach würden Saudi-Arabien und Katar vor allem religiöse Gruppen mit Waffen beliefern.

Spiel mit Symbolen

Auf YouTube untermalten viele Milizen ihre angeblichen Siege mit Koransuren und schmückten sich mit Flaggen, auf denen das islamische Glaubensbekenntnis steht. Wie viel von diesem demonstrativen Salafismus echt sei und wie viel Propaganda, um an Unterstützung aus dem Golf zu kommen, sei kaum zu unterscheiden. Ein Beispiel dafür ist Abdel Rassak Tlass, Anführer der Al-Faruk-Brigade, einer der bestausgerüstete Kampfverbände der Aufständischen. Tlass warnt vor dem Einfluss von Al-Kaida, trägt aber seinen Bart als bewusstes Zeichen im Salafistenstil.

Zehn Prozent Ultraradikale

Als dritte Gruppe gibt es die tatsächlich islamistischen Kämpfer, die im Zuge des Konflikts ihren Einfluss in Syrien ausbauen wollen. Die Quilliam Foundation spricht in ihrer Studie von einem Netzwerk einzelner dschihadistischer Gruppen, insgesamt mache ihr Anteil rund zehn Prozent der Kämpfer aus.

Das Netzwerk habe sich in zwei Phasen etabliert: 2003 seien mit Beginn des Irak-Krieges etliche ausländische Kämpfer via Syrien in den Irak gereist. Großen Einfluss habe dabei Al-Kaida gehabt und insbesondere deren späterer Anführer im Irak, Abu Mussab al-Sarkawi. Die zweite Phase habe dann mit dem Aufstand gegen Assad selbst eingesetzt, salafistische Gruppen würden sich vor allen aus Sunniten rekrutieren - mit Verbindungen ins Ausland.

Al-Kaida-Filiale und Splittergruppen

Dschabhat al-Nusra gilt als Al-Kaida-Filiale in Syrien, die Schätzungen zu ihrer Größe reichen von ein paar hundert bis ein paar tausend Kämpfern, darunter etliche „Veteranen“ aus dem Irak und Afghanistan. Die prominentesten in Syrien gegründeten Gruppen sind Ahrar al-Scham und Sukur al-Scham. Sie sympathisieren durchaus mit den Ideologien von Al-Kaida, lehnen teilweise aber Selbstmordattentate ab, bei denen Zivilisten zu Schaden kommen. Sie gehen allerdings mit aller Härte gegen Schiiten und Alawiten vor. Gegen Letztere kämpft auch die Splittergrupe Liwaa al-Islam.

Die Splittergrupe al-Dawla al-Islamijja soll sich unter anderen aus Exilsyrern in Großbritannien rekrutieren und im Sommer für die Entführung zweier westlicher Journalisten verantwortlich gewesen sein.

Gefährliche Bedrohungsszenarien

All diese Gruppen vereint das Ziel, das Assad-Regime zu stürzen und eine islamistische Gesellschaft zu etablieren. Der Quilliam-Bericht zeichnet zudem zwei weiter Bedrohungsszenarien: Die Gruppen könnten ihre Ziele „globalisieren“ und im Al-Kaida-Stil gegen den Westen vorgehen. Genauso könnte aber ein religiöser Bürgerkrieg in Syrien selbst die Folge sein.

Die Gruppe Liwaa al-Umma mit rund 6.000 Kämpfern hatte sich unlängst doch der Freien Syrischen Armee angeschlossen, ob sie als islamistisch zu bezeichnen ist, ist umstritten. Die Gruppe hat zudem Pläne, in einer Phase nach dem Krieg politisch in Erscheinung zu treten.

Ausländische Kämpfer

Die meisten der Gruppen hätten eine starke Führungspersönlichkeit, seien aber - zumindest zu Beginn des Konflikts - schlecht organisiert gewesen. Quilliam gibt die Zahl von ausländischen Kämpfern in den radikalislamischen Gruppen mit 1.300 bis 1.500 an, diese seien aufgrund ihrer Erfahrung willkommene Mitstreiter.

Die Zahl wird allerdings von anderen Berichten konterkariert, die von weit größeren Ausmaßen sprechen. Die Differenz lässt sich zumindest teilweise damit erklären, dass viele der Kämpfer aus Libyen und den Palästinensergebieten eher aufseiten der gemäßigten Rebellen stehen. Statt eines religiösen Krieges sähen sie laut ICG in dem Konflikt einen Volksaufstand gegen einen Tyrannen, den sie unterstützen wollten, ähnlich wie die internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg in den 1930er Jahren.

Guerillakampf und Terroranschläge

Der Bericht äußert aber die Befürchtung, dass mit der Zuspitzung des Konflikts die Radikalen regen Zulauf haben könnten - sowohl aus Syrien als auch aus dem Ausland. Ein BBC-Bericht, wonach derzeit etliche Islamisten aus Jordanien nach Syrien ziehen, erhärtet diese These. Sämtliche Dschihadistengruppen setzen auf klassische Terrorattacken und Guerillaaktionen - vor allem in den Städten. Deswegen sind sie auch in den anhaltenden Kämpfen in der Großstadt Aleppo zuletzt besonders in Erscheinung getreten.

„Religionskrieg“ durch Regime angeheizt

Der Zulauf zu Radikalislamisten wird laut ICG-Bericht vor allem aus der Zerstrittenheit und der Schwäche der säkularen Opposition genährt, die es nicht richtig geschafft hat, sich zu organisieren und den Syrern eine Alternative anzubieten. Zudem funktioniert auch die Fremdzuschreibung und die „Konfessionalisierung“ des Konflikts durch das Regime.

Assad hatte die Aufständischen von Beginn an als islamistische Terroristen bezeichnet und sie mit aller Brutalität verfolgt, auch schon zu einem Zeitpunkt, als es sich noch um unbewaffnete Massendemonstrationen handelte, die Überkonfessionalität propagierten. Dass hauptsächlich alawitische Spezialeinheiten eingesetzt werden, die von der libanesisch-schiitischen Hisbollah und iranisch-schiitischen Garden unterstützt werden, nährt zudem die Radikalisierung der Sunniten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen.

Konfliktpotenzial oder mäßigende Toleranz?

Tatsächlich birgt die multiethnische und multikonfessionelle Zusammensetzung enormes Konfliktpotenzial. Allerdings betont der ICG-Bericht auch, dass das Land eine lange Tradition religiöser Toleranz und eines gemäßigten Islam habe. Zudem seien sich die Syrer bewusst, welch verheerende Konsequenzen die konfessionellen Bürgerkriege in den Nachbarländern Libanon und Irak hatten.

Buchhinweis

Petra Ramsauer: Mit Allah an die Macht - So verändern Arabiens Revolutionen unsere Welt. Ueberreuter, 207 Seiten, 19,95 Euro.

Dazu passt, dass die dschihadistischen Gruppen Berichten zufolge wenig oder gar keinen Rückhalt in der Bevölkerung hätten und eher kritisch gesehen würden. Eine wichtige Rolle kommt aber auf die liberale und gemäßigte Opposition - und insbesondere die Freie Syrische Armee - zu: Sie muss endlich eine Linie finden und sich stärker von den Radikalen abgrenzen - auch wenn sie im Kampf gegen Assad derzeit eine Stütze sind. Wie die heimische Expertin Petra Ramsauer meint, ist auch der Westen gefordert: Mann müsse moderate Kräfte stärken, nur so könne man Extremisten im Zaum halten.

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