Auf und Ab mit den „Big Three“
Die US-Automobilindustrie ist nach ihrer schweren Krise inzwischen wieder halbwegs auf die Beine gekommen. Doch in Detroit, ihrem Zentrum, werden die Spuren noch länger zu sehen sein. Ein regelrechter Massenexodus hat weite Teile der Stadt verwaist hinterlassen. Eine Gruppe von Fotografen hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Wandel der Stadt in einer Art Zeitraffer zu dokumentieren.
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Für Detroit war die jüngste Krise nicht die erste ihrer Art. Die Stadt im Bundesstaat Michigan ist die Geburtsstätte der modernen US-Autoindustrie und hat in den letzten 90 Jahren ziemlich jedes Auf und Ab ihrer „Big Three“ - General Motors (GM), Ford und Chrysler - mitgemacht. Das zeigt sich schon allein an der Bevölkerungsentwicklung: 1910 hatte Detroit knapp 470.000 Einwohner, 1930 waren es fast dreimal so viele. 1950, vor der ersten Rezession nach dem Zweiten Weltkrieg, lebten rund 1,85 Millionen Menschen in der Stadt. Heute ist es nicht einmal mehr die Hälfte.

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Früheres Reifenwerk der Firma Uniroyal
Stadt plötzlich zu groß
Die Folge der Krise war, dass die Stadt für die verbliebenen Bewohner schlicht zu groß wurde - mit allen möglichen Konsequenzen. Detroit sei für bis zu zwei Millionen Menschen ausgelegt, so die Betreiber des Dokumentationsprojekts Detroiturbex.com gegenüber ORF.at.
Nun, mit knapp mehr als 700.000 Einwohnern und finanziellen Schwierigkeiten, laufe die „Motor City“ nicht mehr rund. Ein Zuviel an Infrastruktur für zu wenige Menschen führe unweigerlich dazu, dass die Stadt „enorm schnell“ verfalle. Der desolate Zustand einzelner Stadtviertel und weitere Abwanderung wirkten dabei „wie ein Schneeballeffekt“.
Detroit einst und jetzt
Noch viel plastischer als anhand nackter Zahlen aus der Bevölkerungs- und Beschäftigungsstatistik zeigt sich der Wandel der Stadt anhand Hunderter Bilder, die die Fotografen für Detroiturbex.com zusammengetragen bzw. selbst aufgenommen haben.

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Einst und jetzt: Die mittlerweile abgerissene Cass Tech Highschool
Teils hat die Gruppe historische Aufnahmen aktuellen Bildern direkt gegenübergestellt bzw. ineinander montiert: Industrieruinen, Krankenhäuser, Schulen und Polizeistationen, in denen sich der Müll türmt, verlassene Einfamilienhaussiedlungen in den Vororten. Gerade Letztere wurden nach dem Crash des US-„Subprime“-Immobilienblase ab 2007 zu einem Symbol für die Krise.

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Vorortesiedlung in der Nähe des Coleman A. Young International Airport
Steil bergauf und steil bergab
Gemeinsam ist den Bildern eines: Sie veranschaulichen die harten Kontraste zwischen damals und heute, zwischen besseren und schlechten Zeiten in der Stadt, die mehrfach wechselten. 1903 hatte Henry Ford in Detroit seine Ford Motor Company gegründet und zehn Jahre später mit der Fließbandfertigung des Model T begonnen. 1908 wurde GM gegründet, 1913 Chevrolet.
Danach ging es steil bergauf - auch mit der Stadt. Aus dieser Zeit stammen zahlreiche heute denkmalgeschützte Gebäude. Mit der großen Depression kam der erste schwere Rückschlag, im Zweiten Weltkrieg mussten die Werke ihre Produktion auf Rüstungsgüter umstellen. Nach Kriegsende folgte der große Aufschwung. Die Zahl der gebauten Autos stieg zwischen 1945 und 1955 auf mehr als das Zwölffache - auf über neun Millionen Stück pro Jahr.

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Das 1915 erbaute, denkmalgeschützte Farwell Building steht seit 1984 leer
Mit den Autokonzernen in die Krise - ein Deja-vu?
Mit der ersten Rezession der Weltwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1958, die besonders die USA hart traf, folgte ein weiterer Dämpfer. Ein Artikel, der 1961 im „Time Magazine“ unter dem Titel „Decline in Detroit“ („Niedergang in Detroit“) erschien und in dem es um Absatzeinbrüche, Fusionen, Insolvenzen und Massenarbeitslosigkeit in der Region ging, hätte genauso gut aus 2008 oder 2009 stammen können, als die „Big Three“ wirklich an der Kippe standen.
Es folgten Ansuchen um staatliche Hilfe in Washington, GM (Cadillac, Chevrolet) und Chrysler (Jeep, Dodge, RAM Trucks) standen faktisch vor der Pleite und mussten über ein Chapter-11-Verfahren (Gläubigerschutz) saniert werden. GM wurde wegen der vorübergehenden Zwangsverstaatlichung fortan ironisch als „Government Motors“ tituliert.

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Ehemaliges Krankenhaus im Vorort Delray
Hat sich hier ein Szenario - auf drastischere Weise - wiederholt, oder waren die letzte Krise und ihre Folgen für die Stadt in irgendeiner Weise „besonders“? Ja, schon wegen des bloßen Ausmaßes, lautet die Einschätzung von Detroiturbex. Die Krise habe zwar viele Städte im Mittleren Westen erwischt, aber die hätten sie besser wegstecken können, schon weil sie wirtschaftlich breiter aufgestellt seien. Detroit lebe und sterbe mit der Autoindustrie und müsse schleunigst einen anderen Kurs einschlagen.
Georg Krammer, ORF.at
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