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„Zu Unrecht angegriffen“

Wenige Tage vor dem traditionsreichen Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker wird das Orchester erneut von seiner Vergangenheit eingeholt. Spätestens seit der Waldheim-Affäre wurde in Politik, Wissenschaft, Sport und auch Kultur schrittweise die eigene Verstrickung in den Nationalsozialismus kritisch beleuchtet und aufgearbeitet.

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Das weltberühmte Orchester hat sich zu so einem solchen Schritt bisher nicht durchgerungen. Die Grünen werfen nun dem Orchester erneut vor, diese fragwürdige Rolle, die das Orchester während der NS-Herrschaft spielte, zu verschleiern, wie Ö1 am Mittwoch berichtete - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Der grüne Abgeordnete Harald Walser wirft dem Chef der Philharmoniker, Clemens Hellsberg, vor, er habe nach wie vor ein Problem damit, sich umfassend dazu zu bekennen. Walser wirft Hellsberg vor, er verhindere „seit Jahren eine kritische Aufarbeitung der Geschichte der Philharmoniker“ und reagiere „nur auf Druck und gibt sein Archiv immer nur zum Teil frei“.

Ehrenring an Schirach

Zur Illustration verweist Walser darauf, dass die Philharmoniker dem damaligen Gauleiter Baldur von Schirach, der für die Deportation Zehntausender Juden mitverantwortlich war, den Ehrenring verliehen. Schirach wurde nach 1945 in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt. Das verschwieg Vorstand Hellsberg in seinem Buch über die Philharmoniker.

Wiener Philharmoniker bei einem Werkskonzert in einem Berliner Rüstungswerk 1943

picturedesk.com/Österreichische Nationalbibliothek/Weltbild

Die Wiener Philharmoniker mit Wilhelm Furtwängler 1943 bei einem Werkskonzert in einem Berliner Rüstungswerk anlässlich des zehnjährigen Bestehens von „Kraft durch Freude“

Dazu kommt, dass ein Vertreter der Philharmoniker Schirach nach dessen Entlassung aus dem Berliner Gefängnis Spandau im Jahr 1966 ein Duplikat des Ehrenzeichens überbracht haben soll. Schirach hatte fast alle Mitglieder der Philharmoniker davor bewahrt, zur Wehrmacht eingezogen zu werden. Das sind laut Walser „unerträgliche Vorfälle“. Er fordert von den Philharmonikern, dass diese angesichts ihrer Geschichte, die auch „eine Geschichte des Antisemitismus und der Unterstützung totalitärer Regime“ sei, nun endlich „klar Schiff“ machten.

Gegen Historikerkommission

Doch der Vorstand des Orchesters wehrt sich dagegen, eine Historikerkommission einzusetzen, um das Kapitel der Vergangenheit offensiv aufzuarbeiten. Das ergebe keinen Sinn, das Archiv stehe ohnehin für jeden Forscher offen. „Er wird in keiner Weise behindert“, fügte Hellsberg gegenüber Ö1 hinzu. Zur behaupteten Schirach-Affäre betonte Hellsberg, er selbst habe im Archiv gesucht und dazu nichts gefunden. Für ihn war das eine Einzelaktion, die nicht im Auftrag der Philharmoniker erfolgte. Hellsberg glaubt auch nicht, dass entsprechende Dokumente aus dem Archiv fehlen.

Hellsberg fühlt sich laut Ö1-Radiobericht „missverstanden und zu Unrecht angegriffen“. Und die FPÖ verteidigt ihn: Deren Kultursprecherin Heidemarie Unterreiner spricht von einem Angriff auf das „großartigste Orchester der Welt“ und wirft den Grünen Hetze vor.

Kein Wort von „Illegalen“

Allerdings spricht die Website der Wiener Philharmoniker gegen Hellsberg. Dort wird zwar in aller Kürze dargestellt, dass alle jüdischen Künstler von den Nationalsozialisten fristlos entlassen wurden und dass sechs jüdische Mitglieder in KZs ermordet wurden und ein Geiger an der Ostfront starb. Dass viele Philharmoniker NSDAP-Mitglieder waren - ein Viertel waren sogar „Illegale“, also vor der Annexion Österreichs 1938 der Partei beigetreten - und das Orchester nicht nur gezwungenermaßen zum Propagandainstrument der Nazis wurde, all das wird auf der Website verschwiegen.

Änderungen bis Mai angekündigt

Dabei gibt es seit über einem Jahr eine umfassende Studie über die Rolle der Wiener und Berliner Philharmoniker in der Zeit des Nationalsozialismus - die Studie „Politisierte Orchester. Die Wiener Philharmoniker und das Berliner Philharmonische Orchester im Nationalsozialismus“ von Fritz Trümpi. Hellsberger verteidigt sich und meint, man könne nicht erwarten, „dass immer sofort alles eins zu eins“ umgesetzt werde. An der Website arbeite man beinahe seit einem Jahr. Ende Mai 2013, so das vage Versprechen des Philharmoniker-Vorstands, soll es einen komplett neuen Webauftritt geben. Dann soll sich dort auch ein eigenes Kapitel über die NS-Zeit finden.

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