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Jahrestag mitten im Wahlkampf

Hunderttausende Tote, brutale Gewalt gegen ehemalige Kämpfer und eine massive Flüchtlingsbewegung: Das ist die Bilanz des Algerien-Kriegs, der im März vor 50 Jahren zu Ende ging. Doch obwohl der Evian-Vertrag einen Strich unter einen mehr als siebenjährigen Konflikt um die Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich zog, wollten beide Länder den Jahrestag nicht groß begehen.

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„Man gedenkt nicht“, hieß es in Paris. Der Termin lag für beide Länder mitten im Wahlkampf. In Frankreich wurde ein paar Wochen später ein neuer Präsident gewählt, in Algerien wurde im Mai das Parlament neu bestimmt. „Man muss die Glut nicht wieder anheizen“, sagte ein französischer Diplomat auf die Frage nach den Feierlichkeiten.

Bis heute Probleme mit Aufarbeitung

Gerade Frankreich hatte lange ein großes Problem mit der Aufarbeitung seines letzten großen Kolonialkrieges. Erst 1999 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Bezeichnung „Algerien-Krieg“ festschreibt. Davor war in der Amtssprache lediglich von „Ereignissen“ oder „Einsätzen in Nordafrika“ die Rede gewesen.

Französiche Soldaten liegen bewaffnet in Bereitschaft in Algier

AP

Französische Soldaten in Kampfbereitschaft in einem Viertel in Algier

2006 sorgten Lehrpläne für Aufregung, in denen einseitig die Opfer auf französischer Seite geschildert wurden, ohne die Toten unter den algerischen Unabhängigkeitskämpfern zu erwähnen. Präsident Jacques Chirac stoppte das Gesetz, das Schülern und Studenten die „positive Rolle“ Frankreichs vor allem in Nordafrika nahebringen sollte.

Sarkozy: „Frankreich kann nicht bereuen“

Algerien wartet bis heute auf eine Entschuldigung der ehemaligen Kolonialmacht und verweigert deswegen bis heute Frankreich einen Freundschaftsvertrag. „Bluttaten wurden auf beiden Seiten begangen. Dieser Missbrauch, diese Bluttaten müssen verurteilt werden. Aber Frankreich kann nicht bereuen, diesen Krieg geführt zu haben“, sagte der damalige französische Staatschef Nicolas Sarkozy Anfang März.

Für Sarkozy ging es auch um die Wählerstimmen der Algerien-Franzosen, die nach dem Krieg zu Hunderttausenden vor Racheakten nach Frankreich flohen. Sie hätten zwischen „Koffer oder Sarg“ entscheiden müssen, ergänzte der Kandidat der konservativen UMP, für den bei seiner Wahl 2007 knapp ein Drittel der 3,2 Millionen algerischstämmigen Wähler gestimmt hatten.

„Harkis“: Opfer der Entkolonialisierung

Eine Gruppe der Algerier hatte nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens von Evian am 18. März 1962 besonders gelitten: die algerischen Soldaten, die bis dato unter der französischen Flagge gedient hatten. Diese Soldaten, „Harkis“ genannt, wurden nach dem Waffenstillstand entwaffnet und sich selbst überlassen. Zehntausende wurden daraufhin aus Rache von ihren algerischen Landsleuten massakriert, andere flohen mit ihren Familien nach Frankreich. Obwohl sie die französische Staatsangehörigkeit hatten, wurden die „Harkis“ in Algerien in Lagern interniert.

Das offizielle Frankreich schämte sich ihrer und leugnete lange Zeit ihre Existenz. Deshalb sind es auch die „Harkis“, die sich gegen eine Gedenkfeier wehren. „Für uns, die ‚Harkis‘, war das Waffenstillstandsabkommen vom 18. März der Beginn eines Leidenswegs“, sagte Mohamed Djafour von „Generations Harkis“. Um an die muslimischen Soldaten zu erinnern, die für Frankreich gefallen sind, besuchte Sarkozy gemeinsam mit einigen Ministern die große Moschee in Paris.

Für die „Harkis“ ist das nur ein kleiner Trost, hatte der Präsident doch im Wahlkampf 2007 versprochen, dass Frankreich offiziell die Verantwortung für das Massaker an den Kämpfern übernehmen werde. Hier sehen die „Harkis“-Verbände einen Wortbruch Sarkozys. Eine Entscheidung des damaligen Staatschefs erfüllte sie aber doch mit Stolz: Ab dem Frühjahr 2011 war Jeannette Bougrab und damit die erste Tochter eines „Harki“ als Staatssekretärin in der Regierung.

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