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„Sind ein bisschen aufgeregt“

Die Europäische Union hat in Oslo den Friedensnobelpreis 2012 in Empfang genommen. EU-Ratspräsident Herman van Rompuy, Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso und Parlamentspräsident Martin Schulz nahmen die Auszeichnung stellvertretend für 500 Millionen Europäer entgegen, mit der das Nobelpreiskomitee den Staatenbund für seinen Beitrag zu einem friedlichen und stabilen Europa ehrt.

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An der Verleihungszeremonie nahmen auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der französische Staatschef Francois Hollande, Kanzler Werner Faymann (SPÖ) und die meisten anderen der 27 Staats- und Regierungschefs teil. Der Feier demonstrativ ferngeblieben war der europaskeptische britische Premierminister David Cameron. Der Konservative ließ sich vom liberalen Vizepremier Nick Clegg vertreten.

EU-Ratspräsident Herman van Rompuy, Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso und Parlamentspräsident Martin Schulz

APA/EPA/Cornelius Poppe

Voller Stolz nehmen Van Rompuy, Barroso und Schulz (v. l. n. r.) die Auszeichnung entgegen

„Wir sind alle drei, ich glaube, ein bisschen aufgeregt und auch sehr stolz, dass wir diejenigen sein dürfen, die stellvertretend für 500 Millionen Menschen in 27 Staaten diese hohe Dekoration entgegennehmen dürfen“, sagte Schulz im ZDF-„Morgenmagazin“.

„Verbrüderung vorantreiben“

„In einer Zeit der Unsicherheit erinnert dieser Tag die Menschen in Europa und in aller Welt an den fundamentalen Zweck der Europäischen Union: die Verbrüderung der europäischen Nationen voranzutreiben, jetzt und in der Zukunft“, sagte Van Rompuy in seiner Dankesrede.

„Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass wir nicht verlieren, was wir auf den Ruinen von zwei Weltkriegen aufgebaut haben“, sagte der Vorsitzende des Nobelkomitees, Thorbjörn Jagland bei der Verleihungszeremonie. „Frieden darf nicht als selbstverständlich angesehen werden. Wir müssen jeden Tag dafür kämpfen.“ Europa müsse nach vorne schauen und das schützen, was bereits erreicht worden sei, sagte Jagland mit Blick auf die aktuelle Euro-Krise.

Euro als „stärkstes Symbol der Einheit“

Barroso bezeichnete in seiner Rede den Euro als stärkstes Symbol der Einheit des Staatenbundes. „Heute ist eines der sichtbarsten Symbole unserer Einheit in jedermanns Händen“, sagte Barroso. „Es ist der Euro, die Währung unserer Europäischen Union. Wir werden ihn verteidigen“, so Barroso. Angesichts des Konflikts in Syrien sagte Barroso, die Situation in dem Land sei „ein Fleck auf dem Gewissen der Welt“. Die internationale Gemeinschaft habe die „moralische Verpflichtung“, sich mit dem Konflikt zu befassen.

Schulz bezeichnete den Preis als Mahnung und Warnung. Der Staatenbund sei die Verwirklichung eines jahrhundertealten Traums, sagte Schulz im Deutschlandradio Kultur. Er warne aber davor, den Frieden als selbstverständlich zu nehmen und zu glauben, dass Rassismus und Hass in Europa auf ewig gebannt seien.

Bundeskanzler Werner Faymann

APA/EPA/Stian Lysberg

Faymann bei seinem Eintreffen in Oslo

Spindelegger: Auftrag für die Zukunft

Vizekanzler Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) sieht in der Verleihung einen Auftrag für die Zukunft. Der Preis sei „ein Signal von außen, dass man Europa offenbar mehr zutraut als wir uns selbst“, sagte Spindelegger am Montag in Brüssel. „Das sehe ich positiv. Das soll uns selber einmal aufrütteln, dass wir da eine wichtige Aufgabe haben, in Richtung Frieden auch zukünftig tätig zu ein. Das muss uns beflügeln“, fügte er hinzu. Es gebe viele Teile in der Welt, etwa im Nahen Osten, wo Europa eine Friedensrolle spielen könne.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Staatschef Francois Hollande

APA/EPA/Stian Lysberg

Merkel und Hollande bei der Aufstellung für das EU-Familienfoto

Reding fordert mehr Macht für Brüssel

Anlässlich der Verleihung forderte EU-Kommissionsvizepräsidentin Viviane Reding mehr Macht für Brüssel. „Ich halte die Vereinigten Staaten von Europa für die richtige Vision, um die aktuelle Krise, vor allem aber die architektonischen Defizite des Maastrichter Vertrags - eine Währungsunion ohne parallele politische Union - mittelfristig zu überwinden“, sagte sie der „Rheinischen Post“ (Montag-Ausgabe) in Düsseldorf. „Das heißt auch, dass die Europäische Kommission gerade im Bereich der Wirtschaftspolitik zu einer europäischen Regierung werden muss, die vom Europäischen Parlament umfassend parlamentarisch kontrolliert wird.“

Die Justizkommissarin aus Luxemburg mahnte, die nötige Integration müsse auch gegen den Widerstand Londons durchgezogen werden. „Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Euro-Staaten bis 2020 - dann unter Einschluss der baltischen Staaten und Polens - gemeinsam Vereinigte Staaten von Europa begründen werden, während Großbritannien in einem loseren Verbund auch weiterhin an der wirtschaftlichen Integration teilnehmen wird.“

Komiteevorsitzender weist Kritik zurück

Der Generalsekretär des Europarats und Vorsitzende des norwegischen Nobelkomitees, Thorbjörn Jagland, wies unterdessen die Kritik an der Auszeichnung der EU zurück. Die EU habe maßgeblich zur „unglaublichen Aussöhnung“ in Europa nach zwei Weltkriegen beigetragen, sagte der Norweger in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP.

Der Preis sei aber auch als Appell an die politisch Verantwortlichen in der EU gedacht, sagte Jagland. „Wir wollen an das erinnern, was mit der EU aufgebaut wurde, und auf die Gefahr hinweisen, dass dies wieder verloren gehen könnte.“ Es habe 60 Jahre gedauert, um die EU aufzubauen. Eine Auflösung könne viel rascher geschehen, warnte Jagland. Wenn dieser Prozess erst einmal begonnen habe, sei er nur „schwer zu kontrollieren“.

Gegen Rückkehr zu Nationalismus

Wenn der Euro an der gegenwärtigen Krise zerbreche, gefährde das auch den gemeinsamen Binnenmarkt, sagte Jagland weiter. Die Folge wäre eine Rückkehr zu Protektionismus und Nationalismus. Entsprechende Tendenzen seien in den meisten EU-Staaten zu beobachten. Fast überall gebe es Kräfte, die auf eine Auflösung der EU hinarbeiteten. „Und diese Kräfte werden stärker.“ Die Einwanderung etwa, die durch die weltweite Wirtschaftskrise noch verstärkt werde, sei eine „riesige Herausforderung“ für die Gemeinschaft. „Das öffnet die Tore für populistische und extremistische Kräfte.“

2011 drei Frauen ausgezeichnet

Im vergangenen Jahr wurden drei Frauen mit dem Preis ausgezeichnet: die Journalistin Tawakkul Karman aus dem Jemen zusammen mit der liberianischen Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf und Leymah Gbowee ebenfalls aus Liberia.

Mit dem Friedensnobelpreis ermahne das Nobelkomitee die EU zur Solidarität, betonte Jagland. Die Gemeinschaft müsse die wirtschaftlichen Probleme lösen und den Euro retten.

Einstimmige Entscheidung

Jagland hatte bereits vor Bekanntgabe des Friedensnobelpreises gesagt, dass die diesjährige Entscheidung einstimmig von allen fünf Mitgliedern getragen werde. Das Komitee ist nach einem Parteienproporz zusammengesetzt, der auch zwei EU-kritische Parteien berücksichtigt. Im Vorfeld waren auch die russische Menschenrechtsorganisation Memorial und deren Mitgründerin Swetlana Gannuschkina (70) als möglicher Preisträger gehandelt worden.

Stifter des Friedensnobelpreises ist der Erfinder des Dynamits, der Schwede Alfred Nobel (1833 bis 1896). In seinem Testament beauftragte er das norwegische Parlament, das Storting, jährlich bis zu drei Personen oder Organisationen für ihre Verdienste auszuzeichnen. Seit 1901 ist die Europäische Union nun die 24. Organisation, der diese Ehre zuteilwird.

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