Zwergenorgie und Heldenkitsch
Edle Helden, furchtlose Krieger, schöne Frauen, durch und durch böse Feinde, Abenteuer, Krieg, würdevolle Könige: Angst vor Kitsch und Pathos sollte man nicht haben. Dieser Tage läuft „Der Hobbit - Eine unerwartete Reise“, der erste Teil einer neuen Filmtrilogie nach J. R. R. Tolkien, in den Kinos an.
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Für alle, die sich dem Hype bis jetzt verweigert haben, eine knappe Nacherzählung: In den drei „Herr der Ringe“-Filmen, die chronologisch nach der „Hobbit“-Trilogie angesiedelt sind, ging es um Frodo, einen Hobbit, der sich aufmacht, den bösen Ring einzuschmelzen, weil der dem Oberbösen Sauron seine Energie verleiht. Frodo ist ein junger Hobbit, entstammt also einem friedlichen, kleinen, spitzohrigen Volk in Mittelerde. Unterstützt wird er von Elben, Zwergen, Menschen, lebenden Bäumen und dem Zauberer Gandalf.
Auf ihrem weiten Weg nach Mordor (nur dort kann man den Ring vernichten) versuchen verschiedenste Bösewichte, allesamt Vasallen des bitterbösen Sauron, den Trupp aufzuhalten. Die Abenteuer gleichen einander wie ein Ei dem anderen: gefährliche Gegend, Kampf gegen Monster, es wird knapp, aber die Guten gewinnen; nächste gefährliche Gegend, Kampf gegen die nächsten Monster, es wird knapp, aber die Guten gewinnen; und so weiter, neun Stunden lang, bis zur unvermeidlichen Happy Endschlacht.

2012 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. and Warner Bros. Entertainment Inc.
Bilbo Beutlin (Martin Freeman), im Hintergrund die Zwerge
Das Triumvirat der Merchandise-Monster
Tolkien plante in den 50er Jahren die drei Teile, die von Anfang an als Trilogie verkauft wurden, eigentlich als ein Buch aus einem Guss. Bereits in den 30er Jahren hatte er „Hobbit“ geschrieben (ursprünglich für seine Kinder), die Vorgeschichte zu den „Herr der Ringe“-Büchern, sein Einstieg in die mythologische Welt von Mittelerde. Nun wird auch dieses Buch in drei Teilen verfilmt. Nach „Der Hobbit - eine unerwartete Reise“ kommt 2013 Teil zwei in die Kinos, 2014 schließlich Teil drei.
Gemeinsam mit „Star Wars“ und „Harry Potter“ bildet die Mittelerdewelt Tolkiens das Triumvirat der erfolgreichsten Kinomerchandise-Monster aller Zeiten. Von Frodo, Harry Potter und R2D2 haben sogar all jene gehört, die noch nie einen der Filme gesehen haben. Ganz Neuseeland, wo die Tolkien-Verfilmungen gedreht wurden, ist ein einziger Mittelerde-Abenteuerpark. Die Fans von Frodo, Bilbo und Co. sind weltweit Legion - und eine eingeschworene Gemeinschaft.
Die Gollum-Games
Was aber macht die Faszination von Mittelerde aus? Da sind zuerst einmal die Bücher. Tolkien schrieb nicht einfach nur eine Abenteuerstory. Seine Mythologie ist elaboriert wie sonst nur die String-Theorie, samt eigener Elfensprache. Dramaturgisch plätschert der Plot der Filme, und für „Hobbit“ gilt das genauso wie für die „Herr der Ringe“-Trilogie, zwar dahin, von einem plötzlich angreifenden Monster zum nächsten.
Aber es sind die Figuren, die faszinieren - und Regisseur Peter Jackson ist ein Meister darin, sie zu inszenieren. Wie etwa das ringgeile Monster Gollum „Mein Schaaaatz“ in die Kamera säuselt, brannte sich ins kulturelle Gedächtnis einer ganzen Generation ein. Von Gollums irren Selbstgesprächen ganz zu schweigen.
Singen, saufen, fressen: Die Zwergenparty
Gollum hat auch in „Hobbit“ einen großen Auftritt. Am Ende der „Herr der Ringe“-Trilogie übergibt der alte Bilbo seinem Neffen Frodo das Buch, das er geschrieben hat - seine Memoiren. In der Logik der Saga gedacht ist „Hobbit“ die Verfilmung dieses Buches. Bilbo berichtet von seinen Erlebnissen und davon, wie er zu dem magischen Ring kam, den er später an Frodo weitergab.
Am Anfang von „Hobbit“ steht eine der besten Szenen des Films. Der Zauberer Gandalf lädt gegen den Willen des verzweifelten Spießers Bilbo eine Horde wilder Zwerge in dessen Haus ein. Die haben zwar eine Mission - sie wollen ihre Heimat von einem bösen Drachen zurückerobern. Zunächst aber soll ordentlich Party gefeiert werden. Da wird gesungen und gesoffen, was das Zeug hält, und in Bilbos Speisekammer herrscht am Ende gähnende Leere.

2012 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. and Warner Bros. Entertainment Inc.
Der Zauberer Gandalf (Ian McKellen)
Technikfeuerwerk auf der Leinwand
Jacksons Inszenierung der Orgie wirkt wie das bewegte Ölbild eines Saufgelages vergangener Zeiten. Die Zwerge mit ihren Rauschebärten, Riesennasen und wucherndem Haupthaar werfen mit Essen und Geschirr um sich und schlagen sich dabei lachend auf die Kugelbäuche. Bilbo wieselt durch sein Haus und versucht mit verzwicktem Gesichtsausdruck zu retten, was zur retten ist. Jackson kostet die Szene aus - zu Recht.
Es sind solche Bilder, die den Einsatz neuester Kinotechnologie rechtfertigen. Der Film ist nicht nur in 3-D produziert worden, sondern auch mit 48 Bildern pro Sekunde - doppelt so viele, wie sonst üblich. Die Tiefe und Prägnanz der Bilder kommt in Szenen wie jener mit den Zwergen, oder als Bilbo Gollum den Ring abknöpft und sich mit ihm dann in einer Höhlenwelt eine Psycho-Nervenschlacht liefert, voll zur Geltung.
TV-Hinweis
„Kultur.montag“ liefert am Montag um 22.30 Uhr in ORF2 Einblicke in die Bilderwelten und bittet Regisseur Peter Jackson und Gandalf-Darsteller Ian McKellen zum Interview.
Das Teletubbie- und das Auenland
Auch die Außenszenen, wieder zum Großteil in neuseeländischen Nationalparks gedreht, sind beeindruckend - der dichte, saftig grüne Wald, die Felssteilwände, das hügelige Wiesenland. Ein Highlight ist wie schon in den „Herr der Ringe“-Filmen auch diesmal die Heimat Bilbos und Frodos - das beschauliche Auenland, das ein wenig an die Landschaft der Teletubbies erinnert. Da möchte man sofort hinziehen.
Bilbo verlässt sein geliebtes Auenland, um den Zwergen dabei zu helfen, ihre Heimat zurückzuerobern. Der erste Teil der Trilogie handelt nur vom Weg dorthin - lässt man den Film Revue passieren, fällt auf, wie sehr Jackson die knappe Story strecken musste. Außer einigen Kämpfen auf dem Weg passiert nicht viel. Zudem reißt der Film recht unmittelbar ab - die „Herr der Ringe“-Folgen funktionierten eine Spur besser als eigenständige Geschichten.
Sich verzaubern lassen - oder zu Hause bleiben
Wie auch immer: Fans von „Herr der Ringe“ werden von „Hobbit“ begeistert sein - sie treffen viele ihrer Lieblinge wieder. Kinogänger, die sich gerne von den schrägen Figuren des Tolkien-Universums und Jacksons opulenter Bilderwelt faszinieren lassen, kommen ebenfalls auf ihre Kosten. Wer jedoch über den pathetischen Schwachsinn, den die Figuren teilweise von sich geben, genauso wenig hinwegsehen kann wie über den Heldenkitsch und die mangelhafte Dramaturgie der Story, der sollte zu Hause bleiben.
Simon Hadler, ORF.at
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