Themenüberblick

Maßnahmen gegen „Störfaktor Mensch“

Auf der Suche nach optimalen Forschungsbedingungen sind führende Astronomen bereits vor Jahrzehnten in der nordchilenischen Atacama-Wüste fündig geworden. Auch die Europäische Südsternwarte (ESO) erkannte den Standortvorteil und wurde dort zu einer Art Marktführer in Sachen Astronomie. Die Forschungsstätten sind beeindruckend – dasselbe gilt aber auch für die dortige Hausordnung.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Erstmals konfrontiert wird man mit den strikten Vorschriften noch vor der Abreise – unter anderem in Form eines verpflichtenden (Online-)Sicherheitschecks. Findet sich auch ein Besuch des Chajnantor-Plateaus und somit des Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) auf der Reiseroute, muss zudem ein umfassendes medizinisches Attest inklusive Bluttest, Belastungs-EKG und Lungenröntgen mit ins Gepäck.

Schild mit der Aufschrift Control Obligatorio

ORF.at/Peter Prantner

Der Zugang zu den chilenischen Observatorien wird streng kontrolliert

Die erste zu überwindende Hürde ist aber, überhaupt auf die Besucherliste zu kommen: Ohne eine im Vorfeld ausgestellte offizielle Genehmigung ist spätestens bei der Zufahrt zum streng abgeschirmten ESO-Reich Endstation.

Hitze am Tag, Frost in der Nacht

Hintergrund dieser Vorgangsweise ist die von jeglicher Zivilisation abgeschiedene Lage zwischen 2.600 und über 5.000 Meter über dem Meeresspiegel und die dort herrschenden extremen Bedingungen. Diese gelten zwar für einen möglichst störungsfreien Blick ins All und daher für die Standortwahl der lichtempfindlichen Hightech-Teleskope als zentrale Grundlage - für den „Störfaktor Mensch“ sind die klimatischen Gegebenheiten in der trockensten Wüste der Welt allerdings alles andere als ideal.

Die Atacama-Wüste im Norden von Chile

ORF.at/Peter Prantner

Die Atacama-Wüste im Norden Chiles

Unerbittlich ist in der kargen, einer Marslandschaft ähnelnden Region bereits die extrem hohe Sonnen- und damit auch UV-Strahlung. Neben starken Winden ist auch die geringe Luftfeuchtigkeit, die selten über zehn Prozent steigt, zumindest gewöhnungsbedürftig. Angesichts Temperaturen zwischen acht und 25 Grad am Tag und bis zu minus 15 Grad in der Nacht ist eine umfangreiche Garderobe Voraussetzung. Vernachlässigbar erscheint bei durchschnittlichen Niederschlagsmengen von weniger als zehn Millimeter pro Jahr im Regelfall ein Regenschutz. Doch selbst Starkregen ist wegen des alle zwei bis sieben Jahre auftretenden Wetterphänomens „El Nino“ in der Atacama-Wüste nicht gänzlich ausgeschlossen.

Warnung vor Ausflug in die Wüste

Als unverzichtbares Utensil wird von der ESO neben Sonnenbrille, Feuchtigkeits- und Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor auch eine Taschenlampe erwähnt, da nicht nur bei den Observatorien, sondern etwa auch im Basiscamp des ESO-Flaggschiffs Paranal bei Nacht nahezu komplette Dunkelheit herrscht.

Auch die Mitnahme von ausreichend Trinkwasser, das an Ort und Stelle in ausreichenden Mengen zur freien Entnahme zur Verfügung gestellt wird, ist dringend angeraten. Das gilt insbesondere beim Verlassen des ESO-Geländes, vor dem gleichzeitig - angesichts der Gefahr, in der Wüste „verloren zu gehen“ - gewarnt wird. Mit der „raren und kostbaren“ Ressource Wasser soll nach ESO-Anweisung dennoch nicht verschwenderisch umgegangen werden. So wie bei anderen Punkten wird auch hier daran erinnert, dass man sich in einer abgeschiedenen Wüstenregion befindet.

Grafische Hinweise für richtiges Verhalten bei Erdbeben

ESO

Ruhig bleiben gilt als oberstes Gebot bei einem Beben

Immer wieder verweist das ESO-Personal auf das richtige Verhalten bei „High risk events“ wie Feuer, medizinischen Notfällen und widrigen Wetterbedingungen. Da Chile „Erdbebenland“ ist, ist auch die Einschulung in die Grundvorgangsweise bei einem Beben obligat. Um unbegründete Angst zu vermeiden, wird aber auch auf die weitgehend erdbebensichere Bauweise der ESO-Gebäude verwiesen. Oberster Grundsatz für den Ernstfall: ruhig bleiben.

Für medizinische Notfälle gibt es eigene Krankenstationen. Auch eine hauseigene Feuerwehrabteilung versieht im Auftrag der europäischen Weltraumforschung mitten in der Wüste ihren Dienst. Mit umfangreich ausgearbeiteten Evakuierungsplänen zeigt man sich bei der ESO auch für den Fall der Fälle bestens gerüstet.

Verdunkeln von Fenstern als Vorschrift

Angesichts der geradezu steril wirkenden Anlagen steht außer Frage, dass das Thema Sauberkeit und in diesem Zusammenhang auch Umweltverträglichkeit bei den ESO-Verantwortlichen ganz oben auf der Prioritätenliste steht. Geschützt werden soll aber nicht nur das sensible Ökosystem, sondern auch – Stichwort Lichtverschmutzung - die nächtliche Atmosphäre: In den Personal- und Gästeunterkünften auf Paranal gilt aus diesem Grund die Vorschrift, jegliche für die Funktion der Teleskopanlagen schädliche Verunreinigung durch fremde Lichtquellen tunlichst zu vermeiden. Der chilenische Staat ist zudem gebeten, den Luftraum möglichst frei von Flugzeugen zu halten.

Ruhe-Bitte-Schild in der Personalunterkunft vom Paranal-Observatorium

ORF.at/Peter Prantner

Die Stimmung in der ESO-Personalunterkunft ist betont ruhig

Aus Rücksicht auf die im 24-Stunden-Schichtdienst tätigen Mitarbeiter soll auf ESO-Anweisung auch der Lärmpegel so niedrig wie möglich gehalten werden. Ruhig sollte es auch in Sachen Freizeitbeschäftigung bleiben, weswegen etwa Alkoholkonsum strikt verboten ist. Dass selbst eine abgeschiedene Wüste kein Freiraum für Raucher sein kann, liegt angesichts des dicken Regelwerks ohnehin auf der Hand.

Null Toleranz auf Chajnantor-Plateau

Dasselbe gilt für Autofahrer: Regel Nummer eins lautet, dass ohne spezielle Genehmigung niemand ans Steuer darf. Auf dem ALMA-Gelände wird die erlaubte Höchstgeschwindigkeit sogar mit mobilen Radargeräten kontrolliert. Auch Alkoholkontrollen gehören dort zum Standardprogramm. Selbst das Einparken ist reglementiert und darf aus Sicherheitsgründen nur im Rückwärtsgang erfolgen.

Kontrolle vor der Zufahrt zum ALMA-Observatorium

ORF.at/Peter Prantner

Eine von mehreren Kontrollen vor der Zufahrt zum ALMA-Observatorium

In Sachen Sicherheitsvorkehrungen nimmt das von der ESO gemeinsam mit Nordamerika und Ostasien betriebene ALMA-Projekt aber ohnehin eine Sonderrolle ein. Bereits beim ersten Kontrollpunkt wird deutlich, dass für die geltenden Vorschriften das Motto „null Toleranz“ gilt. Das Prozedere umfasst für Besucher neben einer Passkontrolle und einer mehrmaligen, neuerlichen Instruktion in die Sicherheitsvorgaben auch einen weiteren Gesundheitscheck. Liegen Blutdruck und Sauerstoffgehalt im Blut über bzw. unter den vorgegebenen Grenzwerten, endet spätestens in der auf halbem Wege befindlichen Basisstation die geplante Fahrt zu den auf über 5.000 Meter über dem Meer gelegenen Teleskopanlagen.

Peter Prantner, ORF.at aus Chile

Links: