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Europas Astronomie-Flaggschiff in Chile

„Wir können mit Recht behaupten, das ist eines der leistungsfähigsten Observatorien der Welt, vielleicht sogar das leistungsfähigste.“ Mit diesen Worten beschreibt der Direktor des Paranal-Observatoriums im Norden Chiles, Andreas Kaufer, mehr als deutlich den aus seiner Sicht geltenden Stellenwert des von ihm geleiteten Forschungsstandortes.

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Teleskop auf einem Hügel

ORF.at/Peter Prantner

Konkret ist hier vom Very Large Telescope (VLT) und somit vom Flaggschiff der Europäischen Südsternwarte (ESO) die Rede. Kaufer wollte zwar nicht gänzlich ausschließen, dass es „in anderen Bereichen“ möglicherweise Besseres gebe - im optischen Infrarotbereich befinde sich aber das derzeitige Maß aller Dinge in der Hand der multinationalen Sternforschungsorganisation.

VLT Paranal in Chile

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Obwohl seit über zehn Jahren an Ort und Stelle, zeigt sich mit Gerd Hüdepohl auch der verantwortliche Elektroingenieur weiter von den „riesengroßen Präzisionsmaschinen“ begeistert. Dabei lieferte die erste der insgesamt vier VLT-Einheiten (Units, UTs) bereits am 25. Mai 1998 - damals noch mit einer Testkamera - das erste Bild aus dem All.

Innenansicht des VLT Paranal mit Teleskop

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Allein das Öffnen der Teleskope kurz vor Sonnenuntergang sei laut Hüdepohl jedes Mal „ein magischer Moment“. Hier zeigt sich auch erstmals am Beginn des „Arbeitstages“ die gesamte innerhalb des Teleskopgebäudes befindliche Maschinerie. Größtes Augenmerk gilt bei dem Vorgang dem 8,2-Meter-Hauptspiegel und damit dem jeweiligen Kernstück der in der Sprache der Mapuche Antu (Sonne), Kueyen (Mond), Melipal (Kreuz des Südens) und Yepun (Venus) getauften VLT-Units. Jegliche Art von Beschädigung wäre „ein Fiasko“.

Parabolantennen

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Nicht ohne Stolz wird von den ESO-Zuständigen gleichzeitig auf die gefinkelte Technik hinter den Wüstenkolossen verwiesen: Zur Korrektur von Störungen in der Atmosphäre könne etwa mittels „aktiver“ und „adaptiver Optik“ der Spiegel mehrmals in der Sekunde korrigiert werden. Neben vier auf Schienen beweglichen Hilfsteleskopen befindet sich auf dem Cerro Paranal nicht zuletzt auch das VLT-Interferometer, mit dem sämtliche Teleskope beliebig miteinander zusammengeschaltet werden können. Durch das komplexe Spiegelsystem kann die VLT-Auflösung gleich um ein Vielfaches vergrößert werden.

Innenansicht des VLT Paranal

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An den VLT-Teleskopen selbst sind jeweils drei Instrumente montiert, die je nach Aufgabenstellung zum Einsatz kommen. Beim ORF.at-Besuch wurde mit FORS etwa ein für Direktaufnahmen, Spektrografie und Polarimetrie geeignetes Vielzweckinstrument für seinen nächtlichen Einsatz vorbereitet. Auftraggeber war laut dem belgischen Astronomen Henri Boffin ein Institut aus Italien, das sich via VLT auf die Suche nach neuen Supernovae machen wollte.

VLT Paranal in Chile

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Ungeachtet des Umstands, dass es für den spektakulär anmutenden Arbeitsplatz inmitten der Atacama-Wüste eine lange Bewerberliste geben dürfte: Schönheitsfehler des erklärten Traumjobs vieler Astronomen bleibt, dass auf eigene wissenschaftliche Arbeit weitgehend verzichtet werden muss. Die Aufgabe im unmittelbar neben den Teleskopen gelegenen VLT-Kontrollraum besteht vielmehr darin, Wissenschaftler aus den Mitgliedsländern zu unterstützen, die auf Paranal ihre Wissenschaftsprogramme durchführen. Auch der ausgebildete Astronom Kaufer gesteht in diesem Zusammenhang ein, dass er „weniger, als er gerne möchte“ die vielfältigen Möglichkeiten der Sternwarte nutzen kann.

Angestellte des VLT Paranal im Gespräch

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Der Arbeitsalltag ist somit in erster Linie vom Abspulen von „Serviceprogrammen“ bestimmt. Dennoch zeigt sich etwa Giacomo Beccari (zweiter von rechts, Anm.), der auf Paranal gerade einen Teil seiner Astronomenausbildung absolviert, überzeugt, dass es sich um den „weltweit besten Platz handelt, um alles zu lernen“. Auch sein Landsmann Galileo Galilei, der vor über 400 Jahren erstmals mit einem Teleskop ins All blickte, hätte diesen Platz geliebt, so Beccari weiter.

Arbeiterhelme über einer Schreibtafel mit Skizzen

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Obwohl der Schichtbetrieb in den ESO-Sternwarten nur noch wenig mit Astronomie wie zu Zeiten des italienischen Pioniers gemein hat, gilt es nach wie vor, Antworten auf die zentralen Fragen dieser Wissenschaft zu finden. Boffin erinnert in diesem Zusammenhang etwa daran, dass mit vier Prozent weiter nur ein Bruchteil des Universums bekannt sei. Jede neue Erkenntnis bringe zudem eine Reihe neuer Fragen, wie die Wissenschaftler auf Paranal unisono bestätigen.

Bergkette in Chile

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Der Blick ins All kann aus ESO-Sicht dennoch nicht scharf genug sein, womit es auch mit dem VLT noch lange nicht getan ist. Vielmehr soll auf dem in Sichtweite befindlichen Cerro Armazones nun der Vorstoß in die 40-Meter-(Spiegel-)Klasse gewagt werden. Erste Vorarbeiten für das geplante European Extremly Large Telescope (E-ELT) - unter anderem in Form der auf dem Bild erkennbaren Erkundungsstraße - haben jedenfalls bereits begonnen.

Korbkräne vor einer Halle

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Rund 300 Kilometer nordöstlich vom Cerro Paranal steht unterdessen ein weiteres ESO-Großprojekt vor seiner unmittelbaren Fertigstellung. Geht alles nach Plan, soll 2013 auf dem Chajnantor-Plateau das Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) und damit die weltgrößte Radioteleskopanlage seinen Vollbetrieb aufnehmen.

Bagger hinter riesiger Parabolantenne

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Während auf der rund 2.900 Meter über dem Meer gelegenen Operation Support Facility (OSF) derzeit von der ESO und deren amerikanischen und ostasiatischen Partnern noch die letzten Antennen zusammengebaut werden, laufen auch auf dem über 5.000 Metern über den Meer gelegenen Plateau die Arbeiten weiter auf Hochbetrieb.

Parabolantennen

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Von den insgesamt 66 geplanten Antennen sind mittlerweile rund 50 installiert und teils schon für den wissenschaftlichen Betrieb im Einsatz. Laut dem für den ESO-Teil zuständigen Bauleiter Frank Hoelig steht dem Zeitplan nichts im Weg. ALMA dürfte somit im März offiziell eröffnet werden.

Peter Prantner, ORF.at

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