Die Suche nach dem echten Hollywood
Mit der ihm eigenen sympathisch-verschmitzten Art hat Stefan Ruzowitzky diese Woche in Wien seinen neuen Film „Cold Blood“ präsentiert. Die Erwartungshaltung dem Thriller gegenüber war denkbar hoch. Und die Erwartungshaltung Ruzowitzkys seinem Erfolg gegenüber ebenfalls.
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Es ist, von „Hexe Lilli - Der Drache und das magische Buch“ abgesehen, der erste Film von Ruzowitzky, seit er 2008 für sein Nazi-Drama „Die Fälscher“ den Oscar für den besten ausländischen Film erhalten hatte. Gleichzeitig ist es seine erste reine Hollywood-Produktion. Die Latte liegt also denkbar hoch.
Kein österreichischer Film
Bei der Premiere in den Wiener Village Cinemas und in diversen Interviews sagte Ruzowitzky, er habe ganz bewusst keinen Film mit österreichischer Handschrift drehen wollen. Nicht dass er heimische Filme ablehne. Aber der Thriller sollte offenbar kein seltsamer Hybrid aus europäischem Autorenkino und Blockbuster werden, sondern ganz einfach ein handwerklich guter Genrefilm, der nach den Regeln von Hollywood funktioniert, Menschen in die Kinos lockt und sie dort gut und intelligent unterhält.
Also gab es außer ihm keine Österreicher auf dem Set. Bei der Schauspielerriege ließ sich Ruzowitzky nicht lumpen. In den Hauptrollen sind zu sehen: Eric Bana, bekannt aus Filmen wie „Black Hawk Down“ und „Troja“, Olivia Wilde, Star aus TV-Serien wie „O.C., California“ und „Dr. House“, und nicht zuletzt Country-Star Kris Kristofferson („Lone Star“, „Planet der Affen“, die „Blade“-Trilogie). Der Film ist das Drehbuchdebüt von Zach Dean - und hier fängt das Problem an.
Blutige Spur des Verbrechens im verschneiten Wald
Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Geschwisterpaar, das nach einem Überfall auf der Flucht vor der Polizei ist. Im tief verschneiten, unendlich weiten Wald nahe der US-kanadischen Grenze trennen sich Bruder und Schwester - weil er gesucht wird und sie im besten Fall unbescholten davonkommen könnte. Fortan gilt es, den Cops zu entkommen und die Kälte im Wald zu überstehen.
Während Liza zufällig auf den ebenfalls flüchtigen Jay (Charlie Hunnam) trifft und sich in ihn verliebt, bleibt Addison alleine und zieht eine blutige Spur des Verbrechens quer durch den Wald. Jay weiß nichts von Lizas Hintergrund und ihrer Flucht. Vater Sheriff und Tochter Deputy sind den dreien unterdessen dicht auf den Fersen. Zum Showdown soll es im Haus der Eltern von Jay kommen, wo alle Beteiligten aufeinandertreffen.
„Kaputte amerikanische Familien“
Das Metathema des Films, erklärt Ruzowitzky, seien „kaputte amerikanische Familien“. Das verbrecherische Geschwisterpärchen hatte einen gewalttätigen Vater. Jays Vater wiederum verzeiht dem Sohn eine verbrecherische Tat aus der Vergangenheit nicht. Vater Sheriff will seine Tochter wegen einer Mischung aus Beschützerinstinkt, Egoismus und Frauenfeindlichkeit nicht am gefährlichen Einsatz im Wald teilnehmen lassen.
Das Problem dabei: Weder Drehbuchautor Dean noch Ruzowitzky noch die Darsteller konnten den Figuren psychologische Tiefenschärfe verleihen. Die Ausdeutungen finden mit dem Holzhammer statt. In wenigen Sätzen wird etwa die Brutalität von Addisons und Lizas Vater angedeutet. Daraufhin erschießt Addison in einer Waldhütte einen Mann, der seine eigene Familie drangsaliert. Die Psychologie der Protagonisten wirkt wie ein Tonkrug - schön rund umrissen, aber sobald man draufklopft, tönt es hohl.
Auf einer Liste abgehakt
Das Drehbuch scheint so wenige Anhaltspunkte für charakterliche Strukturen zu bieten, dass die Schauspieler mitunter wirken, als hätte ihnen niemand gesagt, was sie gerade tun sollen und wer sie seien. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch platte Dialoge. Nur Jays Eltern, gespielt von Kristofferson und Sissy Spacek, können überzeugen. Die übrige schauspielerische Leistung lässt zu wünschen übrig, ob das nun an den Mimen liegt oder am Regisseur oder am Drehbuch.
Darüber hinaus hapert es auch an der Stimmigkeit ganzer Szenen. Gerade wurde ein Polizist getötet - und auf der Polizeistation herrscht trotzdem gute Laune. Abgesehen davon vereint der Film viele gute Einfälle, die aber aneinandergereiht sind, als hätte man sie pflichtbewusst auf einer Liste abgehakt - das ergibt kein großes Ganzes: die Verfolgungsjagd mit Motorschlitten; der Indianer samt seinem Traum von der toten Ehefrau; die düstere Hütte der Familie im Wald; das überamerikanische Thanksgiving-Essen gerade in dem Moment, da alles zusammenbricht.
Ruzowitzkys Drehbücher
Das Problem ist dezidiert nicht, dass Ruzowitzky einen Hollywood-Thriller gedreht hat und so etwas grundsätzlich niveaulos ist. Das Problem ist im Gegenteil, dass der Film den rudimentären Qualitätskritierien genau dieses Genres nicht entspricht. Von einem Krimi Noir im Stil der Coen-Brüder zu sprechen, wie das im Vorfeld teilweise geschehen ist, entbehrt ohnehin jeglicher Grundlage.
Ruzowitzky war immer bei jenen Filmen auf der Höhe der Kunst, für die er das Drehbuch selbst verfasst hat: Von seinem Debüt, dem Wiener Fahrradbotendrama „Tempo“ (1996), über den hoch gelobten Heimatfilm „Die Siebtelbauern“ (1998), die beiden spannenden „Anatomie“-Thriller (2000/2003) bis hin zum Oscar-Erfolg von „Die Fälscher“.
Zittern vor dem US-Kinostart
Die Kriegskomödie „Die Männer Ihrer Majestät“ (2001) mit dem Drehbuch von David Schneider und ebenfalls mit internationaler Star-Beteiligung, war hingegen ein rekordverdächtiger Flop, gemessen an den Produktionskosten und dem Einspielergebnis. „Cold Blood“ hat um die zehn Millionen Dollar gekostet. Viel davon sei aber bereits durch den Verkauf der Auslandsrechte hereingekommen, sagt Ruzowitzky, man stehe finanziell nicht unter Druck.
Wenn der Film am 7. Dezember in den USA startet, wird Ruzowitzky dennoch gebührend nervös sein. Vom Erfolg von „Cold Blood“, schätzt der Regisseur, wird abhängen, ob man ihm so ein Projekt in Hollywood noch einmal zutraut. Man kann ihm nur das Beste wünschen. Vielleicht setzt er nächstes Mal ja wieder eines seiner hervorragenden eigenen Drehbücher um.
Simon Hadler, ORF.at
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