„Aufregend, dramatisch, unglaublich“
Robbie Williams hat in seinem Leben viele Metamorphosen durchgemacht: vom Take-That-Wonderboy über den koksenden Womanizer und Überdrüber-Superstar bis zum Sinnbild des Scheiterns am eigenen Ego. Heute ist er wieder zurück auf dem Gipfel des Popolymps - und gibt sich im ORF.at-Interview so demütig wie nie zuvor.
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„Take the Crown“ heißt das neue Album von Williams. Man sieht darauf eine goldene Büste seiner selbst. Er wollte damit zeigen, dass er wieder im Ring ist und bereit, für den Sieg zu kämpfen. Nach einer Entziehungskur und zwei mäßig erfolgreichen Alben war bereits die temporäre Wiedervereinigung mit seiner Jugend-Boygroup Take That 2010 recht erfolgreich verlaufen. Nun sollte, musste es auch solo wieder klappen.
Im Vorfeld der Veröffentlichung des Albums gab sich Williams in Interviews aufgekratzt und nervös. Nun darf er sich über Topplatzierungen in den Charts freuen. In seinem Telefonat mit ORF.at klingt der 38-jährige Brite gelöst, wiewohl eher ruhig als euphorisch. Auf die Frage, ob er jetzt nicht überglücklich sei, mit dem gelungenen Comeback und noch dazu als frischgebackener Papa, antwortet Williams zunächst, er sei zufrieden, erst kurz danach bessert er sich auf „glücklich“ aus.

Reuters
Robbie Williams 1996 - ein Jahr vor seinem ersten Entzug
Leben in doppeltem Tempo
Williams segelt jetzt in ruhigeren Gewässern, da bedeutet „zufrieden“ dasselbe wie „glücklich“. Im Jahr 2000 hatte er zu einer Illustrierten noch gesagt: „Wenn ich trinke, will ich schlafen, deshalb nehme ich Koks, um wach zu bleiben.“ Von diesem Spirit waren auch viele seiner alten Songs und Videos beseelt - Williams zelebrierte den Exzess, Orgien zählten bei ihm nicht zur dann und wann sorgsam inszenierten Rockstar-Imagepflege, sondern zum Alltag, das ist vielfach belegt.
In den Texten auf „Take the Crown“, von denen er die meisten selbst geschrieben hat, ist davon nicht viel geblieben, eher im Gegenteil. „I’m half your age and lived twice your life“, resümiert er da. Im September wurde das Sexsymbol einer ganzen Generation Vater einer Tochter. Mit seiner Frau, der türkisch-US-amerikanischen Schauspielerin Ayda Field, ist Williams seit 2010 verheiratet. Ist das Partyleben nun endgültig vorbei, und legt das neue Album Zeugnis davon ab?
„Du blickst in den Abgrund“
Williams weiß nicht recht, was er sagen soll. Was auch immer er antwortet, es kann ihm falsch ausgelegt werden. Er entscheidet sich für ein, wie er selbst sagt, „kitschiges“ Statement: Nein, die Party sei nicht vorbei. Nur sei es für ihn heute eben eine Party, mit seiner Frau und seiner Tochter auf der Couch zu sitzen und fernzusehen. Schon seit Jahren gehe er nicht mehr fort, er lebe diesbezüglich wie ein Eremit und wisse schon gar nicht mehr, wie man eine echte Party überhaupt feiere.
Ist der Tunichtgut in der Mitte der Gesellschaft angekommen? Williams Musik jedenfalls steht für radikalen Mainstream, sie verlässt ihn keinen Millimeter, nichts ist hier innovativ - und dennoch ist sein Stil unverwechselbar. Man fragt sich, wodurch sich diese Unverwechselbarkeit auszeichnet. Williams weiß es selbst nicht. Je länger er darüber nachdenke, desto weiter entferne er sich von einer Antwort, sagt er und zitiert einen seiner Lieblingssprüche: „Du blickst in den Abgrund, und der Abgrund blickt zurück.“

AP/dapd/Patrick Sinkel
Robbie Williams mit Take That beim Comeback 2010
Nur keine eigenen Entscheidungen treffen
Williams hat auch gar keine Ambitionen, vom Mainstream abzuweichen. Er habe einen guten Deal mit Universal und könne sich auf sein Management verlassen. Sobald er eigene Entscheidungen treffe, gehe sowieso nur wieder alles schief. Und als seine Aufgabe sehe er es an, genauso wie im Song „Let me entertain you“, die Menschen gut zu unterhalten. Das gelinge ihm ganz einfach, wie auch immer. Er sei eben ein Glückskind.

Universal
Das neue Album von Robbie Williams
Die Angst vor der Vaterschaft
Ein zufriedenes Glückskind ist Williams also beruflich - und vor allem auch privat. Wenn er schon nervös war vor der Albumveröffentlichung - noch viel mehr Angst hatte er Zeit seines Lebens davor, Ehemann und Vater zu werden. Williams wurde von seiner Mutter großgezogen. Das Fehlen eines väterlichen Rolemodels habe zu seiner Angst sicher beigetragen, sagt Williams. Auch eine funktionierende Beziehung habe er nie erlebt.
Gereift sei er erst durch die Bekanntschaft mit seiner Frau. Nun genieße er es, Papa und Ehemann zu sein. Mit Nicole Kidman hatte Williams einst „Something Stupid“ gesungen, ein Lied, das sein Vorbild Frank Sinatra einst im Duett mit Tochter Nancy interpretiert hatte. Ist das vielleicht die ultimative Glücksvorstellung des Robbie Williams, die das Gefühl der „Zufriedenheit“ noch toppen könnte?
Trotz allem besser als jeder „normale“ Job
Eigentlich nicht, sagt er, lieber solle seine Tochter ihn managen, als mit ihm zu singen. Es liegt nahe zu vermuten, dass es Williams wohl lieber gewesen wäre, seine Mutter hätte ihn damals als 16-Jährigen nicht zum Take-That-Casting gekarrt. Doch weit gefehlt - Williams möchte von seinem Leben rückblickend nichts missen: „Ich hätte mir nicht mehr wünschen können. Es war aufregend, es war dramatisch, frustrierend, unglaublich.“
Er würde seiner Tochter sogar erlauben, selbst eine Karriere im Musikbusiness anzustreben, wenn sie wolle. Das sei trotz aller Ups und Downs immer noch besser, als einen „normalen“ Job zu machen. Williams zeigt verschmitzt so etwas wie einen ersten Anflug von selbstkritischer Altersweisheit und sagt: „Ich glaube, ich hätte auf jeden Fall viele Ups und Downs gehabt, ganz egal, ob ich Musiker geworden wäre oder Straßenkehrer.“
Simon Hadler, ORF.at
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