In Krise deutlicher Anstieg
Die Zahl der von Armutsgefährdung bedrohten Menschen ist trotz der Wirtschaftskrise in den letzten Jahren gesunken, die Zahl der von manifester Armut Betroffenen hat sich seit 2005 allerdings verdoppelt.
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Das geht aus dem Sozialbericht 2011 bis 2012 hervor, den Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) am Montag vorgestellt hat. Die Folgen der Wirtschaftskrise wirkten sich demnach in Österreich im Vergleich zu anderen EU-Staaten relativ moderat auf den Lebensstandard der Bevölkerung aus.
140.000 binnen fünf Jahren
Bei manifester Armut konstatiert der Sozialbericht einen langfristigen Anstieg. Manifest arm sind Personen, die sowohl monetär armutsgefährdet (weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens) als auch finanziell ausgegrenzt (in der Soziologie spricht man von Deprivation, Anm.) sind. Letzteres ist der Fall, wenn zwei aus sieben Merkmalen wie „Wohnung nicht warm halten können“, „nahrhaftes Essen nicht finanzierbar“, „regelmäßige Zahlungen nicht begleichbar“, „bei Bedarf keine neue Kleidung kaufen können“, „Arzt- oder Zahnarztbesuch nicht finanzierbar“, „Freunde nicht einladen können“ zutreffen.
2010 war bereits eine halbe Million Menschen (6,2 Prozent der Bevölkerung) davon betroffen. Das sind um rund 140.000 Personen mehr als noch im Jahr 2005 (4,6 Prozent). Noch deutlicher ist die Zunahme langfristig verfestigter Armut. Seit 2005 hat sich die Zahl der Menschen, die in zwei aufeinanderfolgenden Jahren finanziell ausgegrenzt waren, mehr als verdoppelt. Im Jahr 2010 waren 855.000 Menschen oder 10,6 Prozent der Bevölkerung davon betroffen (2005: 5,1 Prozent). 2009 war der Prozentsatz der in zwei aufeinanderfolgenden Jahren von manifester Armut betroffenen Personen mit 11,9 Prozent allerdings noch höher.
Rückgang der Armutsgefährdeten
Die Zahl jener, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, verringerte sich angesichts des Anstiegs der Zahl der armen Menschen. Armutsgefährdet sind laut Definition all jene Personen, die entweder weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung haben oder vier Merkmale für erhebliche Deprivation aufweisen (siehe oben) oder in einem Haushalt mit sehr niedriger oder keiner Erwerbstätigkeit leben.
Von einer dieser drei Gefährdungslagen waren 2010 1,373 Millionen Menschen oder 16,6 Prozent der Bevölkerung betroffen. Diese Zahl sank seit 2008 um rund 160.000 Personen (gegenüber 140.000, die seit 2005 in die manifeste Armut fielen). 2008 waren noch 18,6 Prozent (1,532 Millionen) von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.
Wer am stärksten gefährdet ist
Kinder und Jugendliche sind dabei am meisten von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. 285.000 und somit 18,8 Prozent aller Kinder und Jugendlichen sind betroffen. Eklatant ist der Unterschied zwischen Frauen und Männern: Während 18,3 Prozent der Frauen (641.000 Personen) armutsgefährdet waren, waren Männer mit 13,7 Prozent (448.000 Personen) deutlich weniger betroffen. Auch in Haushalten eingebürgerter (38 Prozent) oder ausländischer Bürger (37 Prozent) ist dieses Risiko doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung.
Betrachtet man allein die Gruppe der Armutsgefährdeten (Jahreseinkommen weniger als 12.371 Euro bzw. 60 Prozent des Medianeinkommens), so blieb deren Zahl annähernd konstant. 2010 waren davon 12,1 Prozent (rund eine Million Personen) betroffen, 2008 waren es 12,4 Prozent. Beinahe die Hälfte der Bevölkerung lebt in einem Haushalt mit Kreditverbindlichkeiten. 1,8 Prozent der Gesamtbevölkerung (150.000 Personen) hatten schwerwiegende Probleme bei der Zahlung von Kreditraten.
Wohnmalaise etwas zurückgegangen
Geringfügig verbessert hat sich die Wohnsituation. Im Jahr 2010 lebten 273.000 Personen (3,3 Prozent) in prekären Wohnverhältnissen (Substandardwohnungen mit schlechten Lichtverhältnissen, Feuchtigkeit oder fehlender Waschküche). Das waren um sieben Prozent weniger als 2008.
Die Armutskonferenz hatte bereits im Oktober beklagt, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Österreich immer weiter aufgehe. Die hohe Zahl der in Armut lebenden Menschen komme Österreich zudem teuer - durch Folgekosten wie chronische Krankheiten, eine geringere Lebenserwartung, mehr Schulabbrecher und vollere Gefängnisse.
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