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„Fruchtbarer Acker“ in trockenster Wüste

Ungeachtet einer langen Tradition europäischer – darunter auch österreichischer - Observatorien haben Beobachtungspunkte südlich des Äquators bereits lange vor Gründung der Europäischen Südsternwarte (European Southern Observatory, ESO) als die besseren Standorte für astronomische Forschungsarbeit gegolten.

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Erst am Südhimmel sind etwa das Zentrum der Milchstraße und die Magellan’schen Wolken voll sichtbar. Dazu kommt eine Reihe von Hürden, mit denen Observatorien in einem Großteil des europäischen Kontinents konfrontiert sind – darunter unbeständige Witterungsverhältnisse, zu viel Licht aufgrund der dichten Besiedelung und zahllose etwa für Radioteleskope störende Funkfrequenzen.

Wissenschaftler vor Zelt bei verregneter Standortsuche in Südafrika

J. Dommaget/ESO and J. Boulon/ESO

Südafrika entpuppte sich nicht als bestmöglicher Standort

Unter Europas führenden Astronomen stand angesichts dieser Ausgangslage spätestens Anfang der 50er Jahre fest, dass nur mit einem verstärkten Fokus auf den Südhimmel konkurrenzfähige Forschungsarbeit weiterhin möglich sein werde.

Der Verzicht auf Observatorien auf der Südhalbkugel sei mit dem Tun eines Bauern zu vergleichen, „der eigenwillig sein steiniges Feld bebaut und den fruchtbaren Acker daneben vernachlässigt“, stellte 1952 der deutsche Astronom Otto Heckmann, eine der treibenden Kräfte hinter dem 1962 gestarteten ESO-Projekt, kritisch fest. Wie Heckmann später eingestand, sollte die Suche nach einem geeigneten Standort für ihn schließlich zur größten Herausforderung seiner Karriere als erster ESO-Direktor werden.

Dürers Darstellung des Südhimmels aus dem Jahr 1515

Public Domain/Quelle rijksmuseum.nl

Der Südhimmel aus Sicht von Albrecht Dürer (Imagines coeli meridionales, 1515)

Von Südafrika nach Chile

In die engere Wahl fielen zunächst gleich mehrere Länder südlich des Äquators, allen voran Südafrika, wo Großbritannien bereits seit 1820 das erste große Observatorium der Südhalbkugel errichtete. Doch am Kap der Guten Hoffnung kamen für die Erkundungsteams immer wieder Zweifel auf, ob man es hier tatsächlich mit dem bestmöglichen Standort zu tun habe. Erst in der schwer zugänglichen Atacama-Wüste im Norden Chiles wurden schließlich jene Bedingungen gefunden, die für die Erforschung der von Dürer im Jahr 1515 noch mit reichlich leeren Stellen dargestellten „Terra incognita des Himmels“ (Zitat ESO) geradezu als ideal erschienen.

Neben den Kanaren, Hawaii und Namibia zählt Nordchile nach wie vor zu den weltweit besten Standorten zur Erkundung des Südsternhimmels. Davon zeugen nicht nur mittlerweile drei in Betrieb befindliche ESO-Standorte (La Silla, Paranal und Chajnantor) – auch Teleskope anderer namhafter Institutionen und Forschungseinrichtungen finden sich in der Einöde jener Wüstenregion, deren umfangreiche Nitratvorkommen Ende des 19. Jahrhunderts Anlass des blutigen Salpeterkrieges zwischen Chile, Peru und Bolivien waren.

Die Gründe für die aus Astronomensicht perfekte Lage liegen mit Blick auf die klimatischen Bedingungen in der trockensten Wüste der Welt auf der Hand: Im Regenschatten der Anden und abgeblockt vom kalten Humboldtstrom an der Küste ist in der Atacama-Wüste - fernab von jeglicher Licht- und Luftverschmutzung - beinahe permanent freie Sicht ins All garantiert. Für ideale Beobachtungsbedingungen sorgen zudem die geringen Luftströmungen und nicht zuletzt die Höhenlage - Stichwort Lichtbrechung und Luftunruhe der Atmosphäre.

Blick auf die Observatorien auf dem schneebedeckten Cerro Paranal

ESO/S. Guisard

Bild mit Seltenheitswert: Schnee in der Atacama-Wüste

Erdgebundenes Teleskop übertrumpft Hubble

Dank technischer Hilfsmittel wie der selbst entwickelten „adaptiven Optik“ gelang es der ESO mit ihrem Very Large Telescope (VLT) selbst mit dem nicht erdgebundenen Weltraumteleskop „Hubble“ gleichzuziehen bzw. dieses sogar zu übertrumpfen. Mit Spannung wird der Fertigstellung des in Sichtweite des VLT-Paranal-Observatoriums auf dem 3.060 Meter hohen Cerro Armazones derzeit in Bau befindlichen European Extremly Large Telescope (E-ELT) entgegengefiebert. Mit einer 15-fach höheren Auflösung wird dieses nicht nur erneut „Hubble“, sondern mit seinem 39-Meter-Hauptspiegel sämtliche bisherigen Teleskope weit in den Schatten stellen und damit auch Chiles Vormachtstellung als Hochburg der Weltraumforschung weiter festigen.

Peter Prantner, ORF.at aus Chile

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