Österreich seit 2009 ESO-Mitglied
Mit Blick auf die Vormachtstellung der USA hat sich Mitte des 20. Jahrhunderts eine Gruppe engagierter Astronomen das Ziel gesetzt, Europas traditionsreiche Vergangenheit als Wiege der Sternforschung wieder mit neuem Leben zu füllen. Fest stand bereits zu diesem Zeitpunkt, dass tiefgreifende wissenschaftliche Arbeit nur im Verbund mehrerer Staaten konkurrenzfähig und nicht zuletzt auch finanzierbar ist.
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Als nachzueiferndes Vorbild galt für die ESO-Pioniere das seit 1953 bestehende Europäische Zentrum für Kernforschung (CERN). Der Grundstein für die vor 50 Jahren gegründete Europäische Südsternwarte (European Southern Observatory, ESO) wurde schließlich am 26. Jänner 1954 in der Universität im niederländischen Leiden gelegt.

ESO/A.Blaauw
Die zu den ESO-Gründungsvätern zählenden Wissenschaftler Vladimir Kourganoff, Jan Oort und Spencer Jones im Jahr 1953
Nach der Unterzeichnung einer Grundsatzerklärung zwölf führender Astronomen aus sechs Ländern, ein gemeinsames Observatorium zur Erkundung des für die Sternforschung als wichtiger erachteten Südhimmels zu errichten, bedurfte es allerdings noch einiger Überzeugungsarbeit, bis im Oktober 1962 von Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Schweden die ESO offiziell aus der Taufe gehoben wurde. Die Standortwahl fiel entgegen den ursprünglichen Plänen nicht auf Südafrika – vielmehr kristallisierte sich die Atacama-Wüste im Norden Chiles immer mehr als idealer Standort des ehrgeizigen Projekts heraus.

ESO
Bauarbeiten am Cerro La Silla
La Silla, Paranal und Chaijnantor
Unter der Federführung des ersten ESO-Direktors Otto Heckmann fiel die Wahl dann auf den 2.400 Meter hohen, 160 Kilometer nördlich der Stadt La Serena gelegenen Cerro La Silla, wo nach umfangreichen Bauarbeiten am 25. März 1969 schließlich die erste ESO-Sternwarte offiziell eröffnet wurde.

APA/ORF.at
Standorte der ESO-Observatorien
Auch wenn La Silla bis heute auf dem neuesten Stand der Technik gehalten wird, befindet sich das Flaggschiff der europäischen Sternforschung mittlerweile auf dem für die Errichtung des Very Large Telescope (VLT) von ursprünglich 2.660 auf 2.635 Meter abgesprengten Gipfel des Cerro Paranal. Rund 120 Kilometer südlich der Stadt Antofagasta und nur zwölf Kilometer vom Pazifik entfernt werden auf dem Paranal zudem das Very Large Telescope Interferometer (VLTI), mit dem die vier VLT-Hauptteleskope (Durchmesser je 8,2 Meter, Anm.) zusammengeschaltet werden können, sowie die für die Himmelsmusterung verwendeten Beobachtungsteleskope VISTA und VST betrieben.
Auf dem über 5.000 Meter hohen Chajnantor-Plateau rund 50 Kilometer östlich von San Pedro de Atacama findet sich mit dem gemeinsam mit dem deutschen Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) und dem schwedischen Onsala Space Observatory (OSO) errichteten Atacama Pathfinder Experiment (APEX) der derzeit dritte von der ESO im Norden Chiles betriebene Standort. Erst im Vorjahr nahm dort – obwohl erst zum Teil fertiggestellt – auch das in Kooperation mit den USA, Japan, Taiwan und Chile umgesetzte Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) seinen wissenschaftlichen Betrieb auf.
Nächstes Megaprojekt bereits in Pipeline
Während bis 2013 die restlichen der insgesamt 66 ALMA-Radioantennen und somit eines der bisher größten Projekte der bodengebundenen Astronomie ihren Vollbetrieb aufnehmen sollen, haben auf dem 3.064 Meter hohen Cerro Armazones bereits die Vorarbeiten für ein weiteres ESO-Projekt der Superlative begonnen.
Jüngster Planung zufolge soll dort bis 2022 - die endgültige Zustimmung einiger ESO-Mitgliedsländer vorausgesetzt - mit dem European Extremly Large Telescope (E-ELT) das bisher weltgrößte Spiegelteleskop mit einem Durchmesser von rund 39 Metern und damit aus Astronomensicht eine neue „Kathedrale der Wissenschaft“ errichtet werden.

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Das geplante E-ELT im Größenvergleich mit VLT und dem Wiener Stephansdom
Kostenintensive Großforschung
Allein für den E-ELT-Bau wurden die Kosten zuletzt mit 1,1 Milliarden Euro beziffert. Angesicht solcher Summen wird mehr als deutlich, dass Sternforschung in dieser Größenordnung nicht im Alleingang, sondern nur in internationaler Kooperation umsetzbar ist.
Österreich-Beteiligung am E-ELT
Österreich zählt zu jenen Ländern, die bereits grünes Licht für den Bau des neuen Spitzenteleskops European Extremely Large Telescope (E-ELT) gegeben haben. Von 2012 bis 2021 wird man laut Wissenschaftsministerium insgesamt rund 6,2 Millionen Euro zu dem Projekt beitragen.
Neben den fünf Gründungsmitgliedern gehören mittlerweile neun weitere Nationen, darunter seit 2008 (Unterzeichnung des Beitrittsvertrages) bzw. 2009 (Ratifizierung im Nationalrat) auch Österreich, zur ESO-Familie. Dänemark ist seit 1967 Mitglied, 1982 folgten Italien und die Schweiz. Weitere Mitgliedsländer sind Portugal (2001), Großbritannien (2002), Finnland (2004) und Tschechien (2007).
Als erstes nicht europäisches Land unterschrieb 2010 Brasilien den noch vom Parlament zu ratifizierenden Beitrittsvertrag. Obwohl nicht Mitglied, genießt auch die Gastnation Chile einen bevorzugten Zugriff auf die begehrten Beobachtungszeiten. Für diese gibt es nach Angaben aus dem ESO-Hauptsitz im nahe München gelegenen Garching mit rund 2.000 Anträgen pro Jahr eine vier- bis sechsmal so hohe Nachfrage, wie tatsächlich angeboten werden kann.

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Das ESO-Hauptquartier in Garching
Weltweit „produktivste Observatorien“
Grund dafür dürfte sein, dass die ESO 50 Jahre nach ihrer Gründung zu den heute weltweit führenden Einrichtungen in der astronomischen Forschung zählt. Die ursprünglichen Hoffnungen der Gründungsmitglieder haben sich laut ESO-Generaldirektor Tim de Zeuuw somit „nicht nur bewahrheitet, sondern wurden weit übertroffen“. Außer Frage steht für den seit 2007 an der ESO-Spitze stehenden Niederländer, dass man die „gestellte Herausforderung, die größten und leistungsfähigsten bodengebundenen Teleskope der Welt zu entwickeln, zu bauen und zu betreiben, bravourös gemeistert" habe.

ESO/WFI (Optical); MPIfR/ESO/APEX/A.Weiss et al. (Submillimetre); NASA/CXC/CfA/R.Kraft et al. (X-ray)
Aufnahme der Galaxie Centaurus A
Auch der für Kommunikation und Outreach für die ESO in Österreich zuständige Wissenschaftler und Vorstand der Gesellschaft Österreichischer Planetarien (GÖP), Peter Habison, verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die derzeit weltweit „produktivsten Observatorien“ bei der ESO zu finden seien: Angeboten werde ein wissenschaftliches Spektrum, das vom Mond über die Milchstraße bis zum Urknall reicht. Zudem spiele die Organisation eine Schlüsselrolle bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie, so Habison, der ausgewählten österreichischen Medien, darunter auch ORF.at, nun an Ort und Stelle einen exklusiven Blick in die nordchilenische Forschungshochburg ermöglichte, weiter.

Wiley VCH Verlag GmbH
Buchhinweis
Lars Lindberg Christensen, Govert Schilling: Europe to the Stars, ESO’s first 50 years of exploring the southern sky. Wiley VCH, 244 Seiten, 35,90 Euro.
Aus österreichischer Sicht habe sich durch die Erhöhung der Attraktivität des Forschungsstandortes die ESO-Mitgliedschaft jedenfalls schon mehr als bezahlt gemacht, zeigte sich anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums auch Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle überzeugt. „Der Zugang zum größten Observatorium der Welt und zur gesamten ESO-Infrastruktur“ sei dem Minister zufolge für Wissenschaftler an heimischen Universitäten „unverzichtbar“ geworden.
Reihe bahnbrechender Entdeckungen
Tatsächlich wurden seit Gründung der multinationalen Organisation nicht nur umfangreiche astronomische Kataloge und zahllose Aufnahmen mit einer einzigartigen, unsere Vorstellung vom Universum wohl nachhaltig prägenden Ästhetik erstellt, sondern beinahe in Serie auch bahnbrechende Entdeckungen gemacht: Nachgewiesen wurde etwa die Existenz eines Schwarzen Loches im Zentrum der Milchstraße. Auch das größte gemessene Alter eines Sterns in der Milchstraße wurde durch ein ESO-Teleskop bestimmt.
Mit dem Very Large Telescope konnte das erste Bild eines extrasolaren Planeten aufgenommen und in der Folge weitere aufgespürt werden. VLT gelang auch der bisher tiefste Blick ins All. Anhand von Langzeitbeobachtungen wurde auch deutlich, dass unsere Galaxie eine weit chaotischere Vergangenheit hinter sich haben dürfte als bisher angenommen. Unter den 50 Höhepunkten seiner bisherigen Geschichte wird von der ESO zudem die 2011 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnete Entdeckung der beschleunigten Expansion des Universums gelistet.

ESO/VVV Consortium
Das Zentrum der Milchstraße
Erst im Oktober dieses Jahres wurde mit der Entdeckung eines Planeten im Nachbarsystem Alpha Centauri B die nächste astronomische Sensation verkündet. Auch wenn Leben, „wie wir es kennen”, auf dem georteten erdgroßen Himmelskörper von den ESO-Forschern ausgeschlossen wurde, gilt diese Entdeckung als „ein wichtiger Schritt hin zum Nachweis einer zweiten Erde“. Im selben Monat folgte die größte bisher von der Erde aus gemachte Aufnahme der Milchstraße: Mit über 84 Millionen Sternen handelt es sich bei dem neun Gigapixel großen Bild um den umfangreichsten Sternenkatalog, der je aus dem zentralen Bereich der Milchstraße erstellt werden konnte.
Peter Prantner, ORF.at aus Chile
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