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Heldenepos für Anti-Helden

Deutsche Medien vom „Spiegel“ abwärts sprechen vom „lustigsten Film des Jahres“: Die musikaffine deutsche Komikertruppe Studio Braun hat eine Band erfunden, die in den 80er Jahren Techno wesentlich beeinflusste, sich dann auflöste, in Vergessenheit geriet und schließlich ein Comeback versucht; ein Dokustreich, in dem die Szene sich selbst durch den Kakao zieht.

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Man kennt diese Dokumentationen zur Genüge: Irgendwelche Talking Heads (sprechende Köpfe) erläutern die große Bedeutung irgendeiner Band. Meist hat man den Eindruck, dass da Musiker von ihren Freunden über den grünen Klee gelobt werden. Es wird nie ganz klar, aus welcher Perspektive jemand spricht: Als Zeuge? Als Experte? Als Wegbegleiter? Am Ende sind solche Selbstbeweihräucherungsorgien, die es für alle Stilrichtungen der Populärmusik gibt, vor allem eines: langweilig.

Westbam, Scooter und Blixa Bargeld

In der Doku über die Band Fraktus, gespielt von den Studio-Braun-Protagonisten Rocko Schamoni, Heinz Strunk und Jacques Palminger, werden genau jene Leute befragt, die man für eine solche Doku tatsächlich interviewt hätte. DJ Westbam sagt, dass nur Elektronik-Pop-Pioniere hochgehalten würden, die durchgehend eine Rolle gespielt hätten, wie Kraftwerk und Depeche Mode.

Wer lange Jahre weg vom Fenster blieb, habe das Nachsehen: „Die, die das damals wirklich gemacht haben, werden vergessen, so wie Fraktus.“ Blixa Bargeld darf etwas darüber schwafeln, dass Fraktus im Vergleich zu Kraftwerk zu unentschieden waren, immer „irgendwas dazwischen“. Scooter wiederum hätte ohne Fraktus „nie Musik gemacht“.

Szene aus dem Film "Fraktus"

corazon int./ Pandora Film

Von links nach rechts: „Wiederentdecker“ Devid Striesow, daneben die Band: Heinz Strunk, Rocko Schamoni und Jacques Palminger

Die Selbstbeweihräucherung der Pioniere

Allen Beteiligten gebührt eine Gratulation: Die Gestik, der gesamte Habitus wird mit allem gebotenen Ernst und absolut authentisch in Szene gesetzt. Westbam, Bargeld, Scooter und Co. beweisen Selbstironie - sie verarschen sich und ihr Umfeld, das sich längst viel zu ernst nimmt, das sich selbst musealisiert; was besonders rührend ist, weil sie alle damals im Grunde Punks waren (auch wenn das nicht ihre Musikrichtung war). Nicht, dass sich Punks keine Geschichtsschreibung verdient hätten - aber der nachträglichen Selbsthierarchisierung der „Gründerväter“ haftet stets etwas Lächerliches an.

Eine der im Film auftretenden Bands fällt jedoch aus dem Rahmen - zumindest scheinbar: Die Speed-Metal-Pioniere Anvil. Beschissen sei Fraktus, findet einer der Musiker. Warum werden ausgerechnet die harten Burschen aus Kanada über deutsche Elektromusik der 80er Jahre befragt? Das hat mutmaßlich zwei Gründe. Erstens sind sie wirkliche, tatsächlich vergessene Pioniere in ihrem Genre. Und zweitens gibt es eine echte (und großartige) Doku über ihre Karriere, ihren Untergang und ihre erfolglosen Comebackversuche. Sie und ihre Filmbiografie dürften Pate gestanden haben für „Fraktus“.

Detailverliebt bis hin zu alten YouTube-Videos

Rocko Schamoni, Heinz Strunk und Jacques Palminger sind Pop- und Indie-kulturell in Theorie und Praxis mit allen Wassern gewaschen, sie haben allesamt selbst zur fraglichen Zeit Musik gemacht - und sie beschäftigen sich nicht zum ersten Mal mit der Thematik. Das merkt man dem Film und vor allem dem detailverliebten Drumherum im Internet an. Auf YouTube gibt es grandiose Videos aus den frühen Tagen von Fraktus. Die Musik, teils selbst zusammengeschustert, teils entlehnt, passt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge.

Die Website der fiktiven Band ist angemessen billig und grauslich. Als Plattenlabel wird dort für die besseren Zeiten Ariola, vor dem Absturz der Band ZickZack angegeben. Besonders schön ist auch das Remake des alten Fraktus-Hits „Affe sucht Liebe“ (in Wahrheit ein Track vom Sampler „Operation Pudel 2006“ des Hamburger Golden Pudel Clubs). Das schöne Post-NDW-Dada-Stück wird mit Autotune und grässlichem Video verhunzt. Die alten Hits sind aber so gut, dass Fraktus - und zwar außerhalb der Fake-Doku - tatsächlich die Hallen zu füllen beginnen, und die CD zum Film verspricht, ein Erfolg zu werden.

Und als Nächstes Modern Talking

Die Musikwelt ist an parodistischen Mockumentarys und Doku-Pranks jedenfalls nicht arm. Man denke an „This is Spinal Tap“ nach einem ganz ähnlichen Konzept aus dem Jahr 1984 oder zuletzt „I’m Still Here - The Lost Year of Joaquin Phoenix“ 2010. Stoff für weitere Satiren gibt es genug.

Auf der Fraktus-Website steht auch eine Twitter-Leiste bereit. Viele posten dort wie üblich einfallslos: „Schau ich mir vielleicht auch an.“ Aber ein paar User spielen beim Prank mit. Und dabei tauchte eine lohnende Idee für eine neue Fantasy-Doku auf: „Wer die frühen Fraktus-Alben mag, sollte sich auch mal die Tapes von Modern Talking holen, aus der Zeit, bevor die so kommerziell wurden.“

Simon Hadler, ORF.at

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