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Wut gegen Banken wächst

Angesichts der schweren sozialen Folgen der Finanzkrise verzichten Spaniens Banken für zwei Jahre auf Zwangsräumungen bei säumigen Schuldnern. Wie der Verband der spanischen Banken am Montag mitteilte, werden die Zwangsräumungen „in Fällen äußerster Not“ ausgesetzt. Der Schritt wurde notwendig, nachdem Selbstmorde vor anstehenden Zwangsräumungen Proteste in Spanien ausgelöst hatten.

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Alle Mitglieder des Bankenverbandes seien „aus humanitären Gründen und im Rahmen ihrer Politik der sozialen Verantwortung die Verpflichtung eingegangen, die Zwangsräumungen in den kommenden beiden Jahren in Fällen extremer Not auf Eis zu legen“, erklärte der Verband AEB. Auch der spanische Sparkassenverband CECA beschloss eine ähnliche Initiative. Bis eine neue Regelung gefunden worden sei, würden Räumungen der „Verletzlichsten“ ausgesetzt, erklärte der Verband.

Zwei Selbstmorde in zwei Wochen

Den Entscheidungen vorausgegangen waren zwei Selbstmorde vor geplanten Zwangsräumungen innerhalb von zwei Wochen. Am vergangenen Freitag war eine frühere sozialistische Politikerin aus dem Fenster ihrer Wohnung in der baskischen Ortschaft Barakaldo in den Tod gesprungen, als laut Polizei die Gerichtsvollzieher sie zur Räumung zwingen wollten. Zwei Wochen zuvor hatte sich ein Zeitungsverkäufer in der südlichen Stadt Granada vor einer Zwangsräumung erhängt.

Nur einen Tag später ereignete sich ein ähnliches Drama in der Gegend von Valencia. Dort sprang ein Familienvater von Balkon, als die Behörden vor seiner Wohnung standen, um sie zu räumen. Er überlebte schwer verletzt.

Demonstation gegen Zwangsräumungen

AP/Daniel Ochoa de Olza

Demonstranten vor der Regierungszentrale

Am Montag versammelten sich daher Dutzende Demonstranten vor der Zentrale der regierenden Konservativen in Madrid, um auf die Folgen von Zwangsräumungen aufmerksam zu machen. „Nein zum Immobilienterror“, „Stoppt die Zwangsräumungen“ stand auf ihren Plakaten.

„Da spielen sich dramatische Dinge ab“

Auch in der Regierung ist man sich der Problematik bewusst - eine gesetzliche Lösung steht jedoch noch aus. „Da spielen sich wirklich dramatische Dinge ab“, räumte Ministerpräsident Mariano Rajoy Anfang November vor dem Parlament ein. „Die Problematik hat alarmierende Dimensionen angenommen“, bestätigte auch Joaquim Bosch, Sprecher des Juristenverbandes JpD (Richter für die Demokratie).

Nach seiner Schätzung wurden in Spanien pro Tag 500 Zwangsräumungen vollstreckt. Auch alte Leute, Behinderte und Familien mit Kindern verlieren ihre Wohnungen. Die Regierung reagierte mit einem Verhaltenskodex für die Gläubigerbanken, der die schlimmsten sozialen Härten verhindern soll. Doch das Regelwerk, dem sich die Banken nun auf breiter Basis angeschlossen haben, ist freiwillig - und kann jederzeit von den Banken wieder aufgehoben werden. Rajoy drängte am Montag Unterhändler seiner konservativen Volkspartei und der oppositionellen Sozialisten, rasch zu einer Einigung zu kommen.

Bürger organisieren sich

Die Zwangsräumungen sind die Folgen der Wirtschaftskrise, die seit 2008 das Land fest im Griff hat. In Spanien ist es üblich, Wohnungen nicht zu mieten, sondern auf Kredit zu kaufen und den Banken das geliehene Geld in monatlichen Raten zurückzuzahlen. Infolge der hohen Arbeitslosigkeit - mit einer Quote von über 25 Prozent - können viele Familien die Raten nicht mehr zahlen. Seit 2008 kam es zu 350.000 Zwangsräumungen bei überschuldeten Eigentümern. Umgekehrt brachten die „faulen Kredite“ mehrere Geldhäuser in finanzielle Nöte.

Eine Frau protestiert mit einem Schild und lautem Schreien gegen eine Zwangsräumung

AP/Daniel Ochoa de Olza

Eine Spanierin protestiert gegen die drohende Zwangsräumung

Aber noch größer ist die Not der Familien, die ihre Wohnungen verlassen müssen. „Die Regierung will 60 Milliarden Euro für die Sanierung von Banken aufwenden, aber nichts für die Hunderttausenden von Menschen, die ihre Wohnungen verlassen müssen“, kritisierte der sozialistische Abgeordnete und Ex-Arbeitsminister Valeriano Gomez. Viele Betroffene schlossen sich in Initiativen wie der Plattform PAH oder der Initiative „Stoppt Zwangsräumungen“ zusammen.

Sie organisieren nicht nur rechtlichen Beistand, sondern rufen auch zu Kundgebungen vor Wohnungen auf, in denen Zwangsräumungen anstehen. Den Protesten gegen die Räumungen schlossen sich auch Richter und Staatsanwälte an. Mehrere Juristenverbände hielten den Banken vor, mir ihrer Flut von Räumungsklagen die Gerichte zu überlasten. „Die Geldinstitute haben die Gerichte zu ihren Inkassobüros gemacht“, beklagte der Richterverband APM.

Eine Kommission von sieben Richtern kam in einer Studie, die im Auftrag der Justizverwaltung erstellt wurde, zu dem Schluss, dass die spanische Gesetzgebung aus dem Jahr 1909 veraltet sei und den Wohnungseigentümern in den Räumungsverfahren kaum eine Chance lasse. Besonders schlimm sei, dass die Betroffenen einer Zwangsräumung ihre Wohnung verlieren, aber damit oft noch nicht ihre Schulden loswürden.

Auch nach Räumung noch hohe Schulden

Die geräumten Wohnungen werden meist versteigert und geraten so in den Besitz der Gläubigerbank - und zwar zu einem Preis, der weit unter dem realen Wert liegt. Die Bank betrachtet mit der Übernahme der Wohnung daher nur einen Teil des gewährten Kredits als getilgt und verlangt vom ausquartierten Bewohner noch die Differenz. Wie die Zeitung „El Pais“ berichtet, plädieren die Richter in ihrer Studie dafür, dass der Staat einen Teil der Milliardenhilfen, die er für die Sanierung der Banken aufbringt, überschuldeten Familien gewährt, die ihre Wohnungskredite nicht zurückzahlen können.

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