Kutteln als „transzendentaler Akt“
Zum 20. Geburtstag hat sich alles um Alkohol gedreht, am 30. um Drogen, und mit 40 wurde daraus das Essen. Der britische Autor Steven Poole beschreibt damit nicht nur den Lebensweg des Sängers der Britpopband Blur, Alex James, sondern einen aus seiner Sicht schier grenzenlos ausufernden Trend, der mit dem Thema Essen mittlerweile seit Jahren einhergeht.
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Kopfschüttelnd stellt Poole im „Guardian“ nun fest, dass der durch zahllose TV-Sendungen und Kochbücher zelebrierte Essenskult bereits zum Ersatz für Sex, Drogen und auch Religion verkommen sei. Aus diesem Grund ruft der Autor mit seinem Buch „You Aren’t What You Eat“ nun zum Konter gegen die nach wie vor wachsende Armee der als Foodies bekannten Amateurfeinschmecker aus.
Anfreunden kann sich Poole lediglich mit dem laut seinen Angaben erstmals Ende des 19. Jahrhunderts aufgetauchten Begriff Foodismus und zieht im gleichen Atemzug einen drastischen Vergleich: So wie bei Rassismus und Sexismus spiele auch beim Foodisten eine von Vorurteilen geprägte Ideologie eine tragende Rolle. Konkret werde die ganze Welt nur noch durch „die fettverschmierte Brille eines militanten Essers“ betrachtet.
„Zeitalter des Essens“
Hart ins Gericht geht Poole auch mit den wie Popstars gefeierten Köchen, die in Kochsendungen, Hochglanzmagazinen und in Serie herausgegebenen „Kochbibeln“ pausenlos die aus ihrer Sicht geltenden Gebote in Sachen Ernährung predigen. Im Grunde gehe es dabei schon lange nicht mehr ums Essen allein. Vielmehr müssen die wie Gurus auftretenden Starköche laut Poole als Vorbilder einer ganzen Generation und eines neuen Lebensstils herhalten.

Union Books
Buchhinweis
Steven Poole: You Aren’t What You Eat. Union Books, 208 Seiten, 16,99 Euro.
Dass im „Zeitalter des Essens“ etwa Auftritte von Großbritanniens bekanntestem TV-Koch Jamie Olivier mit „ohmigodohmigodohmigod“ („Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott“, Anm.) kreischenden Groupies begleitet werden, sei angesichts dessen wenig verwunderlich. Geht es nach Poole, laufe die westliche Zivilisation vielmehr Gefahr, „sich selbst dumm zu essen“.
Das spiele sich auch in der „skurril-absurden“ Sprache der Foodisten wider - laut „New Statesman“ beispielsweise mit dem vom US-Starkoch Thomas Keller als „transzendentaler Akt“ beschriebenen Zubereiten von Kutteln. Ein Steak sei jedenfalls keine Symphonie und die „Komposition“ eines Menüs auch nicht mit dem Komponieren eines Requiems vergleichbar, so Poole in Richtung des ehemaligen Microsoft-Managers Nathan Myhrvold, der in dem von ihm herausgegebenen über 2.000 Seiten fassenden Mammutwerk „Modernist Cuisine“ die Frage stellt, warum nicht auch Essen wie Musik Kunst sein könne.
Nicht „America’s Next Top Chicken Breast“
Poole ist allerdings nicht der Erste, der mit Blick auf den Lifestyle-Bestseller Essen zunehmend die Stirn runzelt. Bereits im Vorjahr wurde etwa in der „New York Times“ („NYT“) angemerkt, dass angesichts der auf Hochglanz präsentierten Feinschmeckerwelt vergessen werde, dass es schlussendlich doch nur ums Essen gehe. Zwar spreche nichts dagegen, dieses auch zu genießen, müsse aber nicht - so in Anlehnung an eine bekannte US-Castingshow - tagtäglich als „America’s Next Top Chicken Breast“ (Amerikas nächste Tophendlbrust, Anm.) zelebriert werden.
Peter Prantner, ORF.at
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