Resteverwertung auf hohem Niveau
Schnell, billig, nahrhaft: So lauten die Vorgaben, die in der Regel auch in Spitzenrestaurants für die Verpflegung des Personals gelten. Dass damit die fachkundige Belegschaft bei Laune gehalten werden kann, muss dennoch kein Widerspruch sein.
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Davon zeigt sich etwa Ferran Adria überzeugt, der mit seinem seit Juli 2011 geschlossenen Lokal El Bulli jahrelang die weltweiten Anhänger seiner Molekularküche an die Costa Brava lockte. Zum Abschied erwies der spanische Starkoch seiner 75-köpfigen Belegschaft nicht nur mit einem „letzten Walzer“ die Ehre. Mit dem Kochbuch „Das Familienessen“ veröffentlichte Adria auch für eine breite Öffentlichkeit die Menüpläne und Rezepte, mit denen im El Bulli jahrelang das Personal verköstigt wurde.
Obwohl generalstabsmäßig geplant und mit einer Kostengrenze von drei Euro pro Person erweist sich die Personalküche von El Bulli durchaus als alltagstauglich. Experimente wollte Adria hier jedenfalls nicht eingehen. Vielmehr wurde im El Bulli grundsätzlich auf bodenständige spanische Küche gesetzt, in die reichlich Akzente seiner internationalen Belegschaft einflossen.

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Buchhinweis
Ferran Adria: Das Familienessen. Phaidon/Edel, 383 Seiten, 24,70 Euro.
„Familienessen“ wird ernst genommen
Ernst genommen wurde das „Familienessen“ aber nicht nur im El Bulli - auch in anderen Spitzenrestaurants wird es offenbar geradezu zelebriert. Dabei scheint ungeachtet unterschiedlicher Vorgangsweisen stets das auch von Adria zum Gesetz erhobene Stichwort zu gelten: „Um gut zu kochen, muss man gut essen.“ Geteilt wird diese Ansicht etwa vom Küchenchef von The Fat Duck im englischen Bray, Jonny Lake, der wie 25 weitere Kollegen aus der internationalen Spitzengastronomie in dem nun erschienenen Kochbuch „Come In, We’re Closed“ die Geheimnisse des ausschließlich für das Personal vorgesehenen Speisezettels verrät.
Angesichts des immensen Aufwands, mit dem man versucht, der Kundschaft das bestmögliche Essen anzubieten, wäre es laut Lake geradezu „respektlos“, beim Personal andere Maßstäbe anzusetzen. Die eigene Verpflegung sei aber nicht nur aus diesem Grund von zentraler Bedeutung für die Stimmung im hektischen Küchenbetrieb. Ziel sei es nicht zuletzt, das Personal wie die eigene Familie zu behandeln, worauf etwa Charles Phan (The Slanted Door, San Francisco), Michel Bras (Michel et Sebastian Bras, Laguiole) und Olafur Örn Olafsson (Dill, Reykjavik) unisono verweisen.
Lackmustest für Newcomer
Adoni Aduriz vom Mugaritz im spanischen Errenteria, wo eine eigene Küchenstation für das Personalessen zuständig ist, stellt klar, dass es sich bei dieser um die wichtigste Abteilung seiner Küche handle. Dass auch beim Personalessen professionelle Ansprüche gestellt werden, bestätigt auch Chris Weber von The Herbfarm in Woodinville im US-Bundesstaat Washington: Erst Kochen für die Belegschaft mache aus Köchen wahre Chefs.

Perseus Books
Buchhinweis
Christine Carroll, Jody Eddy: Come In, We’re Closed. Running Press, 320 Seiten, 35,99 Euro.
Auch der Küchenchef des Grace in Portland (US-Bundesstaat Maine), Eric Simeon, behauptet von sich, erst durch das Zubereiten der Personalkost zu einem guten Koch geworden zu sein. Dass diese Aufgabe viel abverlangt, dürften auch jene Newcomer zu spüren bekommen haben, die laut den Autoren von „Come in, we’re closed“ vor ihrer Einstellung erst das Personal von ihren Kochkünsten überzeugen mussten.
„Ruhe vor dem Sturm“
Geht es nach John Currence vom City Grocery (Oxford, US-Bundesstaat Mississippi), handelt es sich beim gemeinsamen Belegschaftsessen in erster Linie dennoch um die notwendige „Ruhe vor dem Sturm“. Laut Tony Maws (Craigie on Main, Boston) wird von den zuständigen Köchen auch nicht die Neuerfindung der Küche erwartet. Kochen für das Personal müsse demnach nicht das „kreativste Ding sein“, das man am Tag macht - wichtig sei lediglich, „saisonal korrekt zu kochen“.
Zudem zeigen sich die genannten Spitzenköche und deren Angestellte auch bei der Auswahl der Zutaten durchaus kompromissbereit - vorausgesetzt, die Qualität stimmt. Zum Einsatz kommen neben eigens für das Personal eingekauften Produkten auch Probelieferungen der Lieferanten. Vorgefertigtes und (selber) Tiefgefrorenes sind mancherorts ebenso wenig tabu wie die Verwertung von Resten aus dem eigentlichen Küchenbetrieb. Auch bei Verkostungen neuer Kreationen gelten die Angestellten häufig als bevorzugte Testkandidaten.
Dabei gilt auch in der Gastronomie gutes Personalessen nicht als ausgemachte Sache: Davon kann Anita Lo, die Chefin des New Yorker Inlokals Annisa, ein Lied singen. Beklagt wurde von dieser nicht nur die meist fehlende Zeit bei einigen ihrer früheren Arbeitgeber - auch die Kost selber habe mit täglichem Hendl oder altem Fisch kaum zu einer richtigen Essenspause eingeladen.
Peter Prantner, ORF.at
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