Letztes „Raucherparadies“ vor dem Aus
Russland will beim Nichtraucherschutz nachziehen. Nach Vorbild vieler westlicher Staaten soll das Rauchen in öffentlichen Räumen untersagt und Tabakwerbung stark eingeschränkt werden. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde bereits vorgestellt. Damit würden die Tabakkonzerne einen ihrer letzten großen Märkte verlieren.
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Russland ist ein Paradies für Raucher. Wo man hinkommt, dort wird gequalmt: im Bus, in Kaffeehäusern, auf Bahnhöfen und Flughäfen ist der Rauch gegenwärtig. Rauchverbote gibt es de facto keine. Eine Packung Zigaretten kostet umgerechnet nur knapp über einen Euro, einige Marken gibt es schon um 50 Cent. Doch das soll sich nun ändern.
44 Millionen Russen rauchen
Regierungschef Dimitri Medwedew präsentierte ein Gesetz, das Rauchen in öffentlichen Gebäuden und Tabakwerbung mit sofortiger Wirkung untersagen würde. Zudem sollen die Preise pro Packung angehoben und der Verkauf ab 2014 stark eingeschränkt werden. Ab 2015 sollen auch in Discos und Bars Rauchverbote gelten. Am 1. November will die Duma darüber abstimmen, wie das Magazin „Wall Street Journal“ berichtet. Eine Zustimmung gilt als sicher, da sich auch der gesundheitsbewusste Präsident Wladimir Putin dafür starkmachte.
44 Millionen Russen oder 40 Prozent der Bevölkerung rauchen regelmäßig. Während zwei Drittel aller Männer zu Zigaretten greifen, holen mittlerweile auch Frauen immer stärker auf. Zwischen 1992 und 2010 stieg ihr Anteil von sieben auf 22 Prozent. Bereits ein Drittel der Teenager raucht gewohnheitsmäßig. Und dabei bleibt es meist nicht bei einer Packung am Tag. Insgesamt werden 390 Milliarden Zigaretten pro Jahr in Russland verkauft, das sind um 20 Prozent mehr als in den USA. Nur in China wird noch mehr geraucht.
„Big Tobacco“ wehren sich
Den russischen Markt teilen sich die größten internationalen Konzerne von Philip Morris bis British American Tobacco - auch „Big Tobacco“ genannt - unter sich auf. Nachdem die EU und andere westliche Länder den Nichtraucherschutz immer stärker forcierten, garantierte Russland nach wie vor glänzende Absatzzahlen. Durch das neue Gesetz droht ihnen einer der letzten lukrativen Märkte wegzubrechen. Doch kampflos wollen die Tabakriesen ihre Pfründe nicht aufgeben.
„Das Lobbying ist gewaltig“, sagte Sergej Kalaschnikow, Sprecher des Gesundheitsausschusses der Duma, gegenüber dem „WSJ“. Die Tabaklobby sei gut organisiert und hätte ihren Druck in letzter Zeit stark erhöht. Das sehen die Tabakkonzerne natürlich etwas anders. Man wolle nur den eigenen Standpunkt zu einigen Punkten im neuen Gesetz darlegen, erklärte ein Sprecher von Japan Tobacco International gegenüber „WSJ“.
Romney als Tabakberater
Doch ihnen gehen immer mehr die Argumente aus. Im Zuge des US-Wahlkampfes deckte die US-Onlinezeitung Huffington Post auf, dass Mitt Romneys Unternehmen Bain in den 90er Jahren, als der Tabakmarkt in Russland privatisiert wurde, Beratertätigkeiten für „Big Tobacco“ übernahm. Die Kampagnen der Tabakriesen zielten damals verstärkt auf Frauen und Jugendliche ab. Mit Erfolg: Russland ist heute der größte Markt für Slim-/Ultra-Slim-Zigaretten. Der Gesamtabsatz steigt seit Ende der 90er um über 50 Prozent.
Die Folgen sind gravierend. Jedes Jahr sterben rund 400.000 Menschen in Russland an den Folgen des Rauchens, die Kosten für das Gesundheitssystem werden jährlich auf umgerechnet rund 37 Milliarden Euro geschätzt. Die Reaktion auf den Gesetzesvorschlag kam bei der Bevölkerung entsprechend weniger schlecht an, als von vielen vermutet. Medwedew sprach in seiner Rede vor der Duma auch klar an, wen das Gesetz am härtesten treffen werde: die internationalen Tabakriesen, die „ihr Geld mit Kindern“ verdienen würden.
Widerstand in Russland bröckelt
Über 80 Prozent, darunter zwei Drittel der Raucher, würden den Kampf gegen das Rauchen unterstützen, erklärte der Premier in seiner Rede und bezog sich damit auf Umfragen von 2011. „Diese Anti-Tabak-Initiative ist natürlich lediglich der Beginn eines großen Weges“, so Medwedew abschließend. Geplant ist ein Rückgang der Raucher von 15 Prozent. Das dürfte aber etwas zu optimistisch sein, wie die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, wo maximal ein Rückgang von drei bis fünf Prozent zu verzeichnen war.
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