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Doch kein „Schiefergas“-Kuwait?

Es ist ein bedeutender Umstand, wenn Polen auf die Unabhängigkeit vom großen Nachbarn Russland verweisen kann. Vor allem wenn es um große Schiefergasvorkommen im eigenen Land geht, derer sich Polen zuletzt gerühmt hatte. Dieses Selbstbewusstsein droht nun einen Kratzer zu bekommen: So meldete sich ein Ex-Ministerpräsident zu Wort: Es sei ein schwerwiegender Rechenfehler passiert.

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„Es kann sein, dass es fast gar kein Schiefergas in Polen gibt“, meldete sich Wlodzimierz Cimoszewicz, in den 90er Jahren als Ministerpräsident Polens im Amt, überraschend zu Wort. Der Politiker erklärte gegenüber Radio „Zet“, dass bei den Berechnungen der Vorkommen ein Kommafehler passiert sein könnte. Die Auswirkungen für Polen, wo vor allem US-amerikanische und kanadische Firmen zurzeit Dutzende Probebohrungen durchführen, wären schlichtweg fatal - oder wie es Cimoszewicz zum Ausdruck brachte: „Ich fürchte, es könnte eine gigantische Sensation, einen Skandal geben.“

Folgenreicher Schreibfehler in Dokumentation?

Der Politiker, der heute im polnischen Senat (Oberhaus) einen Sitz hat, stützte sich dabei auf Erkenntnisse des Geologieprofessors Krzysztof Szamalek von der Universität Warschau. Szamalek zufolge basierten die Schätzungen zum polnischen Schiefergasvorkommen auf Probebohrungen aus der Zeit der Volksrepublik Polen, bei deren Dokumentation ein Schreibfehler passiert sei. Dabei sei ein Komma nach rechts verrutscht, so dass die Ressourcen in Polen wohl nur ein Zehntel des geschätzten Wertes betrügen.

Offizielle Stelle dementiert

Doch das Dementi kam prompt: Das Staatliche Geologische Institut (Panstwowy Instytut Geologiczny, PIG) wies die Aussagen zurück. Die Schätzung des Instituts, wonach in Polen zwischen 345 und 768 Milliarden Kubikmeter Schiefergas lagerten, gründeten auf eigene Analysen des bei Probebohrungen geförderten Materials, sagte der Sprecher des PIG, Miroslaw Rutkowski, der Zeitung „Gazeta Wyborcza“. Diese Menge würde den polnischen Gasverbrauch für 20 bis 50 Jahre decken.

Tatsächlich gingen aber frühere Schätzungen von noch weit größeren Vorkommen in Polen aus. So sieht die US-Energieagentur EIA (Energy Information Administration) 5,3 Billionen Kubikmeter vorhanden. Auf welche Daten sich die EIA dabei stützt, ist unbekannt. Bisher gibt es auch keine Aussage dazu, ob die Differenz zur polnischen Schätzung tatsächlich durch einen Schreibfehler in alten Dokumenten zustande kam. „Wir können nur die Verantwortung für unseren Bericht übernehmen“, sagte PIG-Sprecher Rutkowski.

Rückzug von Exxon Mobil

Bereits im Sommer gab es im Zusammenhang mit unterschiedlichen Erkenntnissen hinsichtlich der Schiefergasvorkommen beunruhigende Entwicklungen: So kündigte der Energieriese Exxon Mobil den Rückzug aus den polnischen Schiefergasgeschäft an. Das geschah nach zwei Probebohrungen, bei denen man zwar auf Vorkommen gestoßen sei - jedoch nicht in kommerziell interessanten Mengen, wie die polnische Zeitung „Gazeta Wyborcza“ damals zitierte. Experten gaben mit dem Verweis auf die unterschiedliche Beschaffenheit der verschiedenen Lagerstätten Entwarnung, doch die Unsicherheit über den Verbleib der großen Rohstoffförderkonzerne nahm freilich nicht ab.

Studie: 510.000 neue Arbeitsplätze

Doch eine im September veröffentlichte Studie verlieh der leicht angeknacksten Euphorie wieder Auftrieb: Der Bericht zeigte auf, dass der Schiefergasabbau der polnischen Wirtschaft in den kommenden Jahren zu einem kräftigen Wachstumsschub verhelfen könne, wie das Papier des Mineralölkonzerns PKN Orlen und des Forschungsinstituts CASE aufzeigte. Demnach könnten durch den Rohstoff in einem optimistischen Szenario bis 2025 bis zu 510.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Im gleichen Zeitraum würde Polen unabhängig von Gasimporten - den heutigen Gasverbrauch vorausgesetzt.

Zwölf Milliarden Kubikmeter könnten aus polnischen Quellen in 13 Jahren gefördert werden, so der Bericht „Gas-(R)Evolution in Polen“. Das würde das Wirtschaftswachstum ab 2019 um 0,8 Prozentpunkte jährlich beschleunigen. Voraussetzung für diese Entwicklung ist allerdings, dass der kommerzielle Schiefergasabbau in drei Jahren beginnt und bis 2025 rund 1.300 Bohrstellen entstehen. Die Investitionskosten dafür schätzt der Bericht auf 3,5 Milliarden US-Dollar (2,8 Mrd. Euro) jährlich. Dem stünden akkumulierte Steuereinnahmen von satten 87 Milliarden Zloty (20,7 Mrd. Euro) gegenüber.

Regeln zum Abbau beschlossen

Doch das Geschäft mit Schiefergas steckt in Polen noch in den Kinderschuhen: Bis vor kurzem hatte es noch keinen rechtlichen Rahmen für den Abbau gegeben. Nach langwierigen Debatten beschloss die Regierung nun Richtlinien für ein Gesetz, das den Abbau regeln soll. Die Minister vereinbarten, dass künftig eine neue staatliche Gesellschaft Teilhaber an allen Konzessionen zur Suche und zum Abbau von Schiefergas wird. Außerdem wird der Rohstoff doppelt besteuert - beim Abbau und beim Gewinn.

Firmen hatten lange darauf gedrängt, dass Polen endlich einen rechtlichen Rahmen für den Schiefergasabbau schafft. Umweltminister Marcin Korolec, dessen Ressort für die Vorbereitung der Novelle verantwortlich zeichnet, betonte erst am Mittwoch in einer Pressekonferenz, dass Polen aktuell ein Spitzenreiter in Europa sei, wenn es um Suche nach Schiefergasvorkommen geht. Wie es um die Vorkommen selbst bestellt ist, scheint nun aber völlig offen.

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