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„Wir hatten viel Spaß“

Das Wiener Leopold Museum sorgt mit seiner neuen Ausstellung „nackte männer von 1800 bis heute“ für Aufregung. Die Darstellung männlicher Nacktheit scheint noch immer ein Tabu zu sein. Dabei gibt es sie seit Tausenden von Jahren, wie auch in der umfangreichen, handverlesenen Zusammenstellung der Schau zu sehen ist.

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Was gibt es Schöneres als ein Kinderlächeln? 30 schallende Kindergelächter. So gesehen im Hof des MuseumsQuartiers (MQ) vor Ilse Haiders überlebensgroßer Skulptur „Mr. Big“, einem liegenden Männerakt. Die Kindergärtnerin sagt leise resigniert „na super“ und dann zu den Kindern etwas lauter: „Okay, ihr habt jetzt gesehen, was es da zu sehen gibt, jetzt gehen wir bitte weiter, raufklettern dürft ihr sowieso nicht.“ Dieser Gipfel bleibt also unerklommen.

Dass Kinder lachen, ist nicht weiter verwunderlich - das wäre bei der Darstellung einer nackten Frau nicht anders gewesen. Aber es gibt ein Making-of-Video der Ausstellung, bei dem die Mitarbeiter des Hauses vor dem zehn Meter großen jungen Mann mit nach links hängendem Geschlechtsteil sichtbar belustigt posieren. Auch bei der Pressekonferenz mit Elisabeth Leopold, die die Idee zur Ausstellung hatte, wird gelacht, und Kurator Tobias Natter sagt freimütig: „Wir hatten viel Spaß beim Zusammenstellen dieser Ausstellung.“

Elisabeth Leopold und Tobias Natter

Andrea Maier

Elisabeth Leopold und Kurator Tobias Natterer

Der zweigeteilte Blick auf Nacktheit

Und hier setzt doch noch Verwunderung ein: Es haben wohl nur Urologen, Gynäkologen und Pathologen in ihrem Leben mehr nackte Menschen gesehen als die Mitarbeiter des Leopold Museums, wenn man sich die Programmierung des Hauses während der letzten Jahre anschaut. Warum also ist der Fokus auf nackte Männer sogar für sie irgendwie komisch? Worin besteht der Unterschied unseres Umgangs mit dem nackten weiblichen und dem nackten männlichen Körper?

Natter sagt, um die Darstellung dieser Differenz sei es dem Museum gegangen. Elisabeth Leopold wiederum spricht von der ganz eigenen „Poesie“ nackter Männerkörper, quer durch die Jahrtausende und Stile und auch unabhängig davon, ob man einen der „glatten Jünglinge“ oder einen der „wunderbaren alten Männer“ in der Ausstellung betrachtet.

Von den Ägyptern bis Gilbert & George

Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden in der Ausbildung von Künstlern vornehmlich nackte Männer abgebildet - einer der Vorwände dafür, Frauen von der Ausbildung fernzuhalten. Einzelne Exponate der Ausstellung reichen aber noch viel weiter zurück als 1800 und bis in die Gegenwart: Die ägyptische Statue des Snofrunefer ist viereinhalb Jahrtausende alt; Männerkörper aus der Antike, jahrhundertealte Ölschinken, Rodin, Schiele und seine Mitstreiter - bis hinauf zu aktuellen, queeren Fotografien (etwa von Gilbert und George), die wie immer Geschlechterzuschreibungen hinterfragen und mit homoerotischer Ästhetik spielen.

Bild der Austellung "nackte männer"

Leopold Museum

Gilbert & George: Spit Law (1997)

Ob der Fokus auf den nackten Frauen- oder Männerkörper quer durch die Kulturgeschichte an sich schon ein spannender ist, darüber lässt sich streiten, Elisabeth Leopold freilich ist felsenfest davon überzeugt. Wer allerdings halbwegs kunstinteressiert ist und hin und wieder Ausstellungen im Kunsthistorischen Museum oder im MuseumsQuartier besucht, weiß, wie nackte Menschen von der Antike bis zur Gegenwart dargestellt wurden - große Überraschungen ergeben sich in dieser Hinsicht nicht.

„Mein Gott ja, Sex sells“

Die Ausstellung ist eher spannend im Lichte dessen, dass sonst immer nackte Frauen in jeder erdenklichen Darstellungsform als Publikumsmagneten für Museen herhalten müssen, wobei immer wieder der Vorwurf des Sexismus zur Gewinnmaximierung aufkommt. Ist die aktuelle Schau im Leopold Museum als bewusstes (und selbstkritisches) Gegenstatement gedacht? Oder muss sie sich den Vorwurf gefallen lassen, denselben Sexismus zur Gewinnmaximierung zu betreiben - nur eben unter umgekehrten Vorzeichen?

Nach einer entsprechenden Frage von ORF.at schiebt Elisabeth Leopold das Mikrofon ostentativ zu Kurator Natter. Der lächelt und sagt: „Mein Gott ja, Sex sells. Aber wenn es uns nur um diesen Effekt gegangen wäre, das hätten wir weitaus einfacher haben können.“ Sprich: Dazu hätte man sich nicht jahrelang um Leihgaben aus aller Welt (vom Centre Pompidou in Paris bis zum MOMA New York) bemühen und keinen solchen kuratorischen und logistischen Kraftakt leisten müssen. Der schnelle Skandal wäre leichter zu haben gewesen - eine Ausstellung mit demselben Plakat und demselben Titel, ein bisschen Schiele, ein bisschen aktuelle Fotografie, es hätte gereicht.

Bild der Austellung "nackte männer"

Leopold Museum

Standfigur des ägyptischen Hofbeamten Snofrunefer (um 2.400 v. Chr.); August Rodins „Das eherne Zeitalter“ (1875/76); Heimo Zobernig, ohne Titel (2011)

Hinweis

Ausstellung „nackte männer von 1800 bis heute“ im Leopold Museum, Wien, MuseumsQuartier. 19. Oktober bis 28. Jänner 2013. Öffnungszeiten: Täglich außer Dienstag: 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 21.00 Uhr, Dienstag geschlossen.

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, in dem zahlreiche Wissenschaftler in Aufsätzen das Thema der Ausstellung reflektieren und 348 Seiten mit 196 Tafeln und 95 Abbildungen in Farbe versammelt sind. Der Katalog kostet 39,90 Euro.

Die Geballtheit männlicher Nacktheit

Allen Einwänden zum Trotz hinterlässt die Ausstellung einen starken Eindruck - das Konzept geht auf. Die von Natter angesprochene Frage nach der Differenz zwischen der Wirkung des weiblichen und des männlichen Körpers auf den Betrachter stellt sich unwillkürlich, sofort nach dem Betreten der Ausstellungsräume - ein Blick auf die Besucher reicht. Die Frage kann naturgemäß nicht beantwortet werden. Vor allem die Geballtheit männlicher Nacktheit, die schiere Anzahl der Penisse, konsterniert.

Fotos von nackten Frauen werden von Magazinen zu jedem halbwegs (oder auch gar nicht) passenden Thema auf die Covers gehievt, von Plakaten im öffentlichen Raum ganz zu schweigen. Die männliche Verwertungslogik des Kapitalismus verlangt nach nackten Frauenkörpern. Der Mann im Haus trifft die wichtigen Kaufentscheidungen (Auto), und die Frauen wollen genauso sexy ausschauen wie die fotogeshopten Magermodels und kaufen deshalb die beworbenen Produkte, so lautet offenbar das Kalkül.

Der Blick auf den nackten Mann ist schlicht ungewöhnlich, weil man ihn seltener erhascht. Frauen sind weniger an Pornografie interessiert als Männer. Und homophobe Tendenzen lassen Männer den Blick senken, wenn nackte Geschlechtsgenossen auftauchen. Wer als Mann vor dem Bild „Vive la France“ der französischen Künstler Pierre & Gilles steht, kann vielleicht nachempfinden, wie Frauen sich vor den erwähnten Plakaten idealtypischer Traumfrauen fühlen.

Plakat der Austellung "nackte männer"

APA/Roland Schlager

Plakat mit dem Bild „Vive la France“ (2006) von Pierre & Gilles

Aufregung über nackte „Fußballer“

Das Interesse an der Ausstellung ist jedenfalls riesig. Dass es zahlreiche internationale Anfragen von Journalisten gegeben hat, glaubt man dem Presseteam des Leopold Museums angesichts des großen, proppenvollen Saals bei der Pressekonferenz zur Eröffnung. Und für Aufregung hatte man ja bereits mit dem Plakat von Pierre & Gilles gesorgt.

Darauf sieht man drei nackte Männermodels, die als Fußballer posieren - in „Full Frontal Nudity“, das heißt: Man sieht ihre Penisse unverdeckt in allem Detailreichtum, ein Novum mitten im Stadtraum von Wien, ein programmierter Skandal. Einer der Männer ist schwarz, einer könnte aus dem Maghreb stammen, einer ist weiß. Nach entsprechender Aufregung (Pornografie, Sexismus, Rassismus) hat sich das Leopold Museum dazu entschlossen, die Plakate mit roten Balken überkleben zu lassen.

Das sei aber kein Zurückstecken gewesen, sagt Natter, eher im Gegenteil. Man habe die Balken so knallig gestaltet, dass erst recht jeder hinschauen muss. Und viele würden dann wissen wollen, wie das darunter wohl aussehen mag und in die Ausstellung kommen, um Nachschau zu halten. Wenn man sich in Krisenzeiten auf nichts verlassen kann, auf den Voyeurismus der Menschen offenbar schon.

Neue Ideen für Sexausstellungen

Für die nächste Zeit heißt es hierzulande für Museen jedenfalls, sich etwas einfallen zu lassen. Nackte Frauen, nackte Männer, nackte Menschen welches Geschlechts und welchen Geschlechtsverständnisses auch immer ist man jetzt einmal ganz explizit durch, Spezialisierung ist angesagt. „Popo und Pop-Art“, „Kunnilingus bei Klimt“, „Im Schritt von Schiele“, „Die goldenen Brustwarzen der Ägypter“ - je nach Wiener Ausstellungshaus lassen sich mannigfaltige, passende Ideen finden. Man weiß ja: Sex sells. Da heißt es dranbleiben.

Simon Hadler, ORF.at

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