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Ein groß gewachsener Mann im Garten

Die CIA hat derzeit nicht viel zu lachen. Oberste Geheimhaltung sollte über die Operation Bin Laden aufrechterhalten bleiben. Doch ein Navy SEAL berichtete über die Details des Einsatzes - und nun veröffentlicht auch noch ein Starjournalist seine Recherchen über die akribische Geheimdienstarbeit, die zum Terrorpaten nach Pakistan geführt hat.

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Mark Bowden ist ein „Storyteller“ im besten Sinn. Er schreibt Berichte und Reportagen, die so spannend sind, dass man sie trotz ihrer Länge unbedingt fertiglesen möchte, für Medien, bei denen sich ein Journalist noch Zeit lassen darf für Recherchen, und dann den nötigen Platz bekommt, die Ergebnisse auszuformulieren. Im „New Yorker“ etwa und im „Atlantic“ schreibt Bowden seine packenden Texte, manchmal progressiv, manchmal mit konservativer Schlagseite, über ernste Themen, die meist mit US-Außenpolitik, Krieg und Gewalt zu tun haben.

Ridley Scott verfilmte Bowdens Buch „Black Hawk Down“ über den Krieg in Somalia - dadurch wurde der Autor einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Nun springt er auf den Zug auf, sich noch vor der US-Wahl publizistisch der Ergreifung Bin Ladens zu widmen. Zwei entsprechende Spielfilme laufen heuer an, und ein Soldat der Navy-SEALs-Truppe, die den Terrorpaten zur Strecke gebracht hatte, schrieb vor kurzem über seine Erlebnisse das Buch „No Easy Day“. Bowden veröffentlicht seinerseits dieser Tage den Titel „The Finish. The Killing of Osama bin Laden“.

Bin Ladens Haus in Abbottabad, Pakistan

APA/EPA/Sultan Mehmood

Bin Ladens Versteck wurde vor kurzem abgerissen

Der mysteriöse „Ahmed aus Kuwait“

Die Essenz seiner Recherchen fasste Bowden in einem der für ihn typischen ausladenden Artikel zusammen, diesmal im britischen „Guardian“. Was den Tag der Tötung Bin Ladens und die näheren Umstände betrifft, hat Bowden wenig Neues zu berichten - er schließt sich im Kern der Version des Navy SEALs an: Bin Laden wurde ohne jede Not beim Einsatz exekutiert. Als er bereits schwer verletzt und unbewaffnet am Boden lag, feuerten die Soldaten weiter Schüsse auf ihn ab.

Weniger bekannt sind jedoch die Hintergründe über jene jahrelangen Geheimdienstaktivitäten, die zum Aufspüren Bin Ladens geführt haben. Im Zentrum der Ermittlungen, berichtet Bowden, stand Abu Ahmed al-Kuwaiti. Der Name, offensichtlich ein Pseudonym, das „der Vater von Ahmed aus Kuwait“ bedeutet, wurde gegenüber Behörden zuerst von einem Al-Kaida-Funktionär in Mauretanien genannt.

Die US-Führungsspitze verfolgt im Weißen Haus den Angriff in Pakistan

APA/EPA/White House/Pete Souza

Obama und sein engster Kreis verfolgen die Stürmung von Bin Ladens Versteck

Leugnen erhärtete den Verdacht

Was folgte, war zunächst reine Routine: Mehrere Guantanamo-Insassen wurden nach ihm befragt. Manche von ihnen hatten den Namen schon einmal gehört, drei gaben an, dass er der näheren Umgebung Bin Ladens angehöre. Nur zwei der Befragten scherten aus. Abu Faradsch al-Libi, damals die Nummer drei von Al-Kaida, leugnete die Existenz des Kuwaitis. Und ein weiteres Führungsmitglied der Terrororganisation sagte aus, dass es den Mann zwar gebe, er aber nicht mehr der Al-Kaida angehöre.

Zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 2007, wurden die CIA-Agenten hellhörig. Wenn mehrere Insassen von der Existenz dieser Person wissen, einige ihn sogar Bin Ladens engstem Kreis zuordnen, aber ausgerechnet zwei der hochrangigsten Mitglieder nichts von ihm wissen wollen - dann muss der Mann wirklich wichtig sein. Durch weitere Recherchen wurde der Kuwaiti als Ibrahim Saeed Ahmed enttarnt, ein Pakistani, dessen Familie nach Kuwait ausgewandert war.

Indizienkette wies auf Bin Laden hin

Allerdings war die ganze Familie untergetaucht - ein weiterer Verdachtsmoment. 2010 gelang es dem CIA schließlich, mit Hilfe einer Handypeilung den Aufenthaltsort der Ahmeds zu ermitteln: Abbottabad in Pakistan. Warum diese Ortung nicht früher möglich war, weiß auch Bowden nicht. In Abbottabad jedenfalls lebte die Familie, die nie viel Geld gehabt hatte, in einem großen, teuren Haus, das von hohen Mauern samt Stacheldraht umgeben war.

Es folgten viele weitere Indizien dafür, dass das Undenkbare tatsächlich möglich sein könnte und sich Bin Laden in dem Gebäude aufhält. Am Telefon antwortete einer der Ahmed-Brüder einem alten Freund auf dessen mehrmalige, insistierende Nachfrage, was er so tue, dass er sich immer noch mit denselben Leuten herumtreibe wie früher. Bin Laden also?

TV-Bild von Osama Bin Laden und Aiman al-Zawahiri

AP/Courtesy of Al-Jazeera via AP video

Bin Laden, wie der Fernsehsender al-Jazeera ihn an seinem Todestag zeigte

Verräterische Spaziergänge

Auf Satellitenbildern war zudem immer wieder ein auffallend groß gewachsener Mann zu sehen, der im Garten herumspazierte. Insgesamt schloss man aus allen möglichen Beobachtungen von oben und in der Umgebung sowie aus Befragungen in der Nachbarschaft, dass außer den Ahmeds noch eine Familie in dem Gebäude leben müsse, die in etwa so viele Personen umfasse wie die engsten Angehörigen von Bin Laden - von denen man immer angenommen hatte, dass sie mit ihm zusammen sind.

Hinweis:

Die Lektüre von Bowdens Artikel empfiehlt sich besonders in der Printversion des „Guardian“, wo die Übersicht einfacher ist und man weniger scrollen muss.

Der Geheimdienst konfrontierte Obama mit seinen Erkenntnissen, und von diesem Zeitpunkt an wurden verschiedene Einsatzvarianten trainiert. Bowden berichtet in seinem „Guardian“-Artikel ausführlich darüber und auch über die schwierige Entscheidung Obamas, ob und wie man letztlich zuschlagen solle. Detailreich wird zudem über den Einsatz selbst berichtet - der einen kurzen Moment lang sogar zu scheitern drohte.

Jedenfalls: Ob gewollt oder nicht, die Story ist Wahlkampfhilfe für Barack Obama. Bowden stellt den US-Präsidenten als umsichtig, bedacht und dennoch entscheidungsstark dar. Und, wie aktuelle Umfragen zeigen: Obama kann jede Art von Unterstützung gut brauchen. Dass er Bowdens Darstellung widerspricht, ist nicht zu erwarten.

Simon Hadler, ORF.at

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