Chinesischer Autor „ohne Sprache“
Nach dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht heuer auch der Literaturnobelpreis an einen chinesischen Staatsbürger: Anders als sein Kollege Liao Yiwu, der am 14. Oktober in Frankfurt geehrt wird, lebt der 57-jährige neue Nobelpreisträger Mo Yan jedoch in seiner Heimat.
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Zur Begründung hieß es, Mo Yan habe „mit halluzinatorischem Realismus Märchen, Geschichte und Gegenwart vereint“. Die Jury in Stockholm schrieb: „Mit einer Mischung aus Fantasie und Wirklichkeit, aus historischen und sozialen Perspektiven hat Mo Yan eine Welt erschaffen, die in ihrer Komplexität an William Faulkner und Gabriel Garcia Marquez erinnert. Zugleich fußt sie auf der älteren chinesischen Literatur und mündlichen Erzähltraditionen des Volkes.“
Der Preisträger selbst reagierte zunächst „überglücklich und erschrocken“, spielte dann aber die Bedeutung der Auszeichnung für sich herunter. „Ich habe mich sehr gefreut, als ich die Nachricht gehört habe“, sagte der Schriftsteller am Donnerstag der Nachrichtenagentur China News Service. „Doch glaube ich nicht, dass der Preis etwas bedeutet. China hat viele großartige Schriftsteller, die auch dazu befähigt sind, von der Welt anerkannt zu werden.“

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Der Sprecher der Jury, Peter Englund, bei der Bekanntgabe des Literaturnobelpreisträgers in Stockholm
Romanverfilmung mit Berlinale-Preis ausgezeichnet
Im Westen wurde der Bauernsohn aus der ostchinesischen Provinz Shandong, der sich in seinen Werken immer wieder mit dem harten Landleben auseinandersetzte, vor allem durch die Verfilmung seines Romans „Das rote Kornfeld“ durch Zhang Yimou bekannt, die 1988 mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichnet wurde. Mo Yan ist übrigens ein Pseudonym und heißt „ohne Sprache“ oder „der Sprachlose“. Sein wirklicher Name ist Guan Moye.
Mo Yan wurde am 17. Februar 1955 in Gao Mi geboren. Seine schriftstellerische Tätigkeit begann er als Soldat der Volksbefreiungsarmee, wo er später auch an der Kunsthochschule studierte und an der Literaturabteilung der Kulturakademie der Armee unterrichtete. „Das rote Kornfeld“, 1987 erschienen, wurde sein größter Erfolg. In seinen weiteren Werken entfernte er sich mit absurden Einsprengseln und raffinierten Konstruktionen immer weiter von einem simplen Realismus - auch als Taktik gegen die restriktiven Behörden, wie es heißt.

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Mo Yans Geschichten sind von den Erzählungen der Bauern in seinem chinesischen Heimatdorf inspiriert
Keine Schwierigkeiten mit der Zensur
Mit der Zensur habe er keine Schwierigkeiten, sagte Mo Yan einmal dem Magazin „Time“: „Es gibt in jedem Land gewisse Beschränkungen.“ Statt politische Literatur zu schaffen, sollte ein Schriftsteller „seine Gedanken tief vergraben und sie über die Charaktere vermitteln“. 2009 war Mo Yan Mitglied der offiziellen Delegation des Ehrengastlandes China auf der Frankfurter Buchmesse. Dass er sich dabei am Auszug der Delegation von einem Literatursymposium, an dem auch Dissidenten teilnahmen, beteiligte, trug ihm heftige Vorwürfe ein.
Mo Yan versteht Kritik aus China nicht
In einem Interview mit „China Newsweek“ meinte er dazu: „Sehr viele sagen jetzt über mich: Mo Yan ist ein Staatsschriftsteller. Daran stimmt, dass ich ebenso wie die Autoren Yu Hua und Su Tong ein Gehalt vom Künstlerforschungsinstitut des Kulturministeriums beziehe und darüber sozial- und krankenversichert bin. Das ist die Realität in China. (...) Ich kann verstehen, wenn Ausländer mich kritisieren. Wenn die Kritik aber von meinen chinesischen Landsleuten kommt, dann ist das unverschämt.“
„Kein politischer Preis“
Nach Erhalt der Auszeichnung wies Mo Yan Kritik der Staatsnähe abermals zurück. Der Preis sei eine literarische Auszeichnung und „nicht ein politischer Preis“, sagte er am Freitag in seinem Geburtsort Gaomi. Zugleich erklärte er, einige Äußerungen des chinesischen Revolutionsführers Mao Zedong zur Kunst seien „sinnvoll“ gewesen. Mao hatte im Zuge der Kulturrevolution eine strenge Überwachung der Kunst in der Volksrepublik etabliert.
Romane über gesellschaftspolitische Themen
Auf Deutsch übersetzt wurden unter anderem seine Bücher „Die Schnapsstadt“, „Die Sandelholzstrafe“, „Die Knoblauchrevolte“ und „Der Überdruss“. Diesen Roman stellte er 2009 auch in der Aula des Campus der Universität Wien vor. Mit seinem Roman „Frosch“ (in China ein traditionelles Symboltier für Geburten) griff er das aktuelle Thema der gesellschaftlichen Auswirkungen der chinesischen Einkindpolitik auf und sorgte für Diskussionen.
Thema ist das Schicksal einer Kinderärztin auf dem Land, die in heftigen Gewissenskonflikt zwischen der strikten staatlichen Geburtenkontrolle und dem Wert jedes einzelnen Lebens geriet. Als Vorbild für die Figur soll Mo Yan seine Tante gedient haben, die selbst seit Anfang der 80er Jahre bei Geburten als Ärztin tätig war. Für das Buch gewann er 2011 den Mao-Dun-Preis.
Bekanntgabe bis zuletzt mit Spannung erwartet
Die Bekanntgabe wurde wie jedes Jahr mit Spannung erwartet. Bis kurz vor Verkündung war der japanische Autor Haruki Murakami (63) souverän an der Spitze der Wettlisten gelegen. Im letzten Moment steil nach oben geklettert waren die Einsätze auf die Kanadierin Alice Munro (81) und Peter Nadas (69) aus Ungarn. Beobachter hatten auch die Chancen der Algerierin Assia Djebar (76) hoch eingeschätzt.
Der Folkmusiker Bob Dylan lag wie bereits seit einigen Jahren im vorderen Feld der Wettlisten. Zu den bereits traditionell als aussichtsreich eingestuften Kandidaten gehörten auch heuer wieder die US-Autoren Thomas Pynchon, Philip Roth, Cormac McCarthy und Joyce Carol Oates.
Im vergangenen Jahr erhielt der schwedische Lyriker Tomas Tranströmer den begehrtesten Literaturpreis der Welt. Die Wetteinsätze auf ihn waren unmittelbar vor der Verkündung dramatisch gestiegen.
Auswahl nach strenger Tradition
Der Nobelpreis für Literatur wird seit 1901 von der Schwedischen Akademie in Stockholm vergeben. Die Auswahl der Preisträger läuft streng nach Tradition. Denn Zusammensetzung und Arbeitsweise der Sprachakademie richten sich nach Regeln, die auf die Gründung des Gremiums 1786 zurückgehen. Die Akademie hat in der Regel 18 Mitglieder. Sie werden von der Akademie selbst auf Lebenszeit gewählt.
Bis zur endgültigen Abstimmung über einen Preisträger liegt die Hauptarbeit beim Nobelkomitee mit fünf Mitgliedern. Es wird für drei Jahre gewählt. Zurzeit gehören dazu: Per Wästberg (78) als Vorsitzender, die Schriftsteller Horace Engdahl (63), Kjell Espmark (81), Katarina Frostenson (58) und Kristina Lugn (52). Über die Beratungen für den Nobelpreis muss 50 Jahre lang Stillschweigen bewahrt werden.
Vorschläge von einem großen Personenkreis
Die Auswahl der Kandidaten verläuft schrittweise. Zuerst lädt das Nobelkomitee 600 bis 700 Personen und Organisationen per Brief dazu ein, geeignete Literaten für das kommende Jahr vorzuschlagen. Empfehlungen können aber auch ehemalige Preisträger, Sprach- und Literaturwissenschaftler, wissenschaftliche Einrichtungen und Autorenorganisationen abgeben. Niemand darf sich selbst benennen.
Spätestens bis zum 31. Jänner müssen die Vorschläge in Stockholm vorliegen. Das Nobelkomitee erstellt Namenslisten, die in der Akademie schließlich auf fünf Kandidaten reduziert werden. Jedes Akademiemitglied beschäftigt sich dann mit dem Werk der Nominierten und erstellt Berichte. Anfang Oktober wird der Preisträger durch Wahl bestimmt. Er muss mehr als die Hälfte der Stimmen aller Akademiemitglieder bekommen. Das Geld für die Nobelpreise stiftete der Chemiker, Erfinder und Multimillionär Alfred Nobel (1833 bis 1896).
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