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Putins Heldenstatus erblasst

Der Sonntag steht in Russland ganz im Zeichen des 60. Geburtstags von Präsident Wladimir Putin - egal ob man zu den Anhängern oder Gegnern des Präsidenten zählt. Während Putin laut „Moscow Times“ den Tag mit seiner Familie verbringen möchte, feiern seine Anhänger mit Konzerten und Straßenaufmärschen vor allem in Putins Heimatstadt St. Petersburg. Tausende werden erwartet.

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Allerdings will auch die Opposition den Tag nicht ungeschehen vorbeiziehen lassen. In Moskau soll eine Kundgebung in der Nähe des Kremls stattfinden - unter dem Motto „Hilf dem alten Mann in die Pension“. Immerhin ist 60 das allgemeine Pensionsalter für Männer in Russland. Daran scheint Putin, der mittlerweile seit 13 Jahren an der Macht ist, nicht zu denken.

Anführer im „Flug der Hoffnung“

Nach seinem Neustart für eine - erstmals - sechsjährige Amtszeit im Kreml im Mai, ermöglicht durch einen umstrittenen Ämtertausch mit Dimitri Medwedew und manipulierten Wahlen, könnte er in seinem Land noch bis 2024 an der Spitze stehen. Denn laut Verfassung ist für ihn noch eine weitere Amtszeit möglich.

Putin auf einem Segelflieger

AP/RIA-Novosti, Alexei Druzhinin, Presidential Press Service

Im Drachenflieger wies Putin Kranichen den Weg in Richtung Süden

Seine Inszenierungen als starker Mann brachte ihm bisher breite Zustimmung ein. Er präsentierte sich öffentlichkeitswirksam mit schwarzem Judo-Gürtel, bei einem Ritt durch die Taiga mit freiem Oberkörper, fuhr mit einem Formel-1-Auto und posierte mit Raubtieren. Erst Anfang September zeigte er trotz einer Sportverletzung als „Leitvogel“ in einem Drachenflieger Kranichen den Weg in Richtung Süden in ihr Winterquartier. „Flug der Hoffnung“ hieß der Flug. Ein Putin-kritischer Blogger mokierte sich sofort darüber: „Wir haben alle die Hoffnung schon lange verloren.“

Als Clown und Superman

Putins Heldenstatus ist angekratzt, die Proteste gegen ihn stehen mittlerweile an der Tagesordnung. Seine Popularität brach einer unabhängigen Umfrage des Lewada-Zentrums zufolge allein seit Mai um zwölf Prozent auf eine Zustimmung von 48 Prozent ein. 25 Prozent sprachen sich sogar entschieden gegen ihn aus.

Putins Vita

Wladimir Putin wurde am 7. Oktober 1952 in Leningrad (heute: St. Petersburg) geboren. Er studierte Jus und trat 1975 in den Auslandsgeheimdienst, Teil des KGB, ein. Als Agent in der DDR lernte er fließend Deutsch. 1998 wurde er Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB. 1999 holte ihn Boris Jelzin in die Politik.

Und je näher Putins Geburtstag rückte, desto zahlreicher wurden die Satiren auf sein Macho-Image vor allem im Internet - Putin als Clown, Putin im Superman-Kostüm. Eine Karikatur zeigt den Präsidenten inmitten einer Gruppe verwunderter Vögel, und Putin sagte in diese Runde: „Lasst uns schnell die Rollenverteilung klarstellen. Ich bin der Alpha-Kranich.“

Putin reagierte belustigt und bezeichnete seine Gegner als „Vögel, die nicht in einer Herde fliegen wollen und stattdessen bevorzugen, ihr Nest individuell zu bauen“. Kritik der Opposition, dass ihm nicht alle Vögel gefolgt waren, beantwortete er ebenfalls mit einem Gleichnis - bei Vögeln sei es wie bei den Menschen: „Selbst wenn sie nicht Mitglieder des Schwarms sind, so sind sie doch Teile unserer Population und benötigen unsere Fürsorge.“ Solche Reaktionen Putins rufen allerdings nur immer weitere, zum Teil hämische Witze hervor.

Stagnation wie unter Breschnew?

Auch den - bildlichen - Vergleich mit Leonid Breschnew muss sich Putin mittlerweile gefallen lassen. Denn absolviert er zumindest noch die weiteren sechs Jahre im Kreml, kommt er an die Amtszeit Breschnews heran. Breschnews Ära wird mit Stagnation assoziiert, eine Sorge, die auch einige bei Putins Amtszeit hegen.

Unklar ist der Einfluss, den diese Onlinesatire hat. Zwar haben Statistiken zufolge mehr als 40 Prozent der Russen einen Internetzugang, der Großteil ist aber jünger als 55 Jahre alt. Dieser jungen Zielgruppe präsentiert sich Putin eben mit einem aktiven Lebensstil, als sportlicher, kräftiger Mann. Putins PR-Bemühungen schlagen allerdings zunehmend fehl, ist der frühere Kreml-Spindoctor Gleb Pawlowsky im Reuters-Interview überzeugt. Für ihn ähnelt Putin mittlerweile einem „Zar ohne Substanz“. Er brauche dringend eine neue Strategie: „Die Russen mögen Witze, und die Witze über Putin wurden gemein. Viele Leute haben genug von ihm.“

Wirtschaft entscheidet über Ära Putin

Einige Experten prognostizierten bereits ein vorzeitiges Ende Putins, sollte sich die Konjunktur weiter verschlechtern und vor allem die Ölpreise sinken. Die Wirtschaft könnte sich zu Putins Achillesferse entwickeln. Im vergangenen Jahr erreichten die Kapitalabflüsse eine Höhe von 80 Milliarden Dollar, die Proteste zeigen die Unzufriedenheit der Mittelschicht.

Die lahmende Konjunktur schränkt den Spielraum Putins ein, bietet sich aber gleichzeitig als Front in der Innenpolitik an. Erst vor kurzem kritisierte er seinen loyalen Zögling Medwedew mit Tadel für die Fiskalpläne der Regierung. Er beschuldigte das Kabinett, Anordnungen seit seiner Rückkehr in den Kreml nicht befolgt zu haben. Dass Putin noch das Sagen hat, bestätigt auch eine hochrangige westliche Führungskraft in Moskau im Reuters-Interview: „Putin ist der Mann, zu dem man für die Zustimmung zu jeder größeren Geschäftsentscheidung gehen muss.“

„Erlösung“ von Putin

Mit eigenen Kritikern geht Putin nicht zimperlich um. Der frühere Ölmagnat Michail Chodorkowski sitzt bis heute im Gefängnis. Drei Pussy-Riot-Musikerinnen wurden zu je zwei Jahren Straflager verurteilt, nachdem sie in einem „Punkgebet“ in einer Moskauer Kathedrale die Gottesmutter Maria gebeten hatten, sie von Putin zu „erlösen“. Eine der Konsequenzen: Wer Gläubige in Russland beleidigt, soll in Zukunft leichter mit Gefängnis bestraft werden können. Das Berufungsverfahren im Fall Pussy Riot wurde überraschend auf nächsten Mittwoch vertagt.

Pussy Riot Performance in einer Kirche

AP/ Sergey Ponomarev

Das Pussy-Riot-„Punkgebet“ in der Kathedrale in Moskau vergangenen Februar

Auf die Massenproteste im Zuge des Ämtertauschs und des Vorwurfs manipulierter Wahlen reagierte Putin mit aller Härte. Das Demonstrationsrecht wurde verschärft, die Meinungsfreiheit eingeschränkt, Befugnisse des Geheimdienstes erweitert. NGOs, die Geld aus dem Ausland erhalten, müssen ab Ende November den Titel „ausländischer Agent“ tragen und sich einer speziellen Registrierung unterziehen. Verstöße sollen mit hohen Geldstrafen oder Gefängnis geahndet werden.

„Mittelschicht schon abgeschrieben“

Getragen wird Putin vor allem von der Bevölkerung in der Provinz, die Mittelschicht in den größeren Städten wendet sich zusehends ab. Auch in den vergangenen Wochen hatte die russische Opposition begonnen, für ihre Herbstoffensive gegen Putin zu trommeln. Sogar die Kommunisten gingen auf die Straße. „Ich glaube, er hat die Moskauer Mittelschicht schon abgeschrieben. Aber auch die allgemeine Öffentlichkeit außerhalb Moskaus verliert die Geduld“, sagte der Ökonom Sergej Guriew, Rektor der New Economic School in Moskau.

Wenn er sich darüber keine Gedanken machen würde, gäbe es auch nicht diese Repression, ist er überzeugt. Für ihn ist die Korruptionsbekämpfung Putins der entscheidende Punkt, mit dem die Opposition geschwächt werden könnte. „Wenn Putin die Korruption nicht bekämpft, ist er weg.“

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