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„Den Menschen reicht es“

In der iranischen Hauptstadt Teheran ist es am Mittwoch zu Tumulten gekommen. Als die Polizei gegen private Wechselstuben vorging und Devisenschwarzhändler festnahm, kam es laut Augenzeugenberichten zu Zusammenstößen. Dabei wurden Sicherheitskräfte mit Steinen beworfen. Im Iran hatte sich die Währungskrise in den letzten Tagen gefährlich zugespitzt.

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Mehrere voneinander unabhängige Augenzeugen berichtetenam Mittwoch, dass es auch Tote und Dutzende Verletzte bei den Protesten gegeben habe. Vor allem betroffen war der Stadtteil um den großen Basar von Teheran. Geht es nach der Einschätzung eines Händlers, könnte es sich erst um den Beginn einer großen Protestwelle handeln. „Den Menschen reicht es. Sie wollen und können nicht mehr, und es beginnt ihnen auch egal zu sein, ob sie verhaftet werden, wenn sie protestieren“, klagte er.

Rial regelrecht kollabiert

Gegenüber Ende 2011 ist der Rial gegenüber dem Dollar nur noch rund ein Viertel wert, zuletzt brach der Kurs binnen Tagen um 25 Prozent ein. Die wirtschaftliche Gesamtsituation der Islamischen Republik allgemein verschlechtert sich, Inflation und Arbeitslosenzahlen sind hoch. Schon in den letzten Tagen war deshalb spekuliert worden, dass erste Unruhen nur noch eine Frage der Zeit sein dürften.

Al-Jazeera berichtete nun am Mittwoch vom „ersten Zeichen“ von Unruhen wegen des Währungsverfalls. Die Polizei setzte laut dem Nachrichtensender mit Sitz in Katar Tränengas ein, um die Tumulte unter Kontrolle zu halten. Es gab Festnahmen, in der Nähe der britischen Botschaft sollen Müllcontainer in Brand gesteckt worden sein. Allein im Finanzbezirk Ferdosi sollen Hunderte Bereitschaftspolizisten eingesetzt worden sein.

Großer Basar vorübergehend geschlossen

Der Große Basar blieb geschlossen, weil Händler nicht wussten, wie sie mit den stark schwankenden Wechselkursen umgehen sollten. Auf dem Großen Basar werden die täglichen Preise für die kleineren Basare und Handelszentren in der Hauptstadt festgelegt. „Wir haben geschlossen, weil wir nicht wissen, was (mit dem Dollar) passiert“, wurde ein Händler zitiert. Die Regierung macht die internationalen Sanktionen wegen des Atomstreits und „Spekulanten“ für die Situation verantwortlich.

Tatsächlich ist die Abwertung des Rial allerdings kein isoliertes Problem. Im Iran hat sich die wirtschaftliche Gesamtsituation in den letzten Monaten verschlechtert. Lebensmittel und Treibstoffe werden rapide teurer, gleichzeitig steigt die Inflation und die Zahl der Arbeitslosen. Gegenmaßnahmen der Regierung unter Präsident Mahmud Ahmadinedschad greifen bisher nicht wirklich.

Wie groß ist die Unzufriedenheit?

Angesichts der tristen Lage hatte Israels Außenminister, Avigdor Lieberman, in der Tageszeitung „Haaretz“ am Wochenende Ahmadinedschad bereits ein Schicksal wie dem im Zuge des „arabischen Frühlings“ im Vorjahr gestürzten ägyptischen Staatspräsidenten Hosni Mubarak prophezeit.

Der Iran ist der Erzfeind Israels, Lieberman in der Frage deshalb nicht ganz unbefangen - allerdings: Auch in Ägypten hatte die Verknappung von subventioniertem Brot zu Unruhen geführt, Tunesiens Ex-Präsident Zine bel Abidine Ben Ali hatte knapp vor seinem Sturz ebenfalls im Vorjahr noch vergeblich versucht, durch Preissenkungen bei Lebensmitteln die Massenproteste im Land zu entschärfen.

Israel sieht Iran am Rande des „Kollaps“

Mit der Veröffentlichung von Wirtschaftsdaten ist der Iran zurückhaltend. Welchen Schaden die jahrelangen internationalen Sanktionen wegen des Atomstreits hinterlassen haben, lässt sich ebenfalls schwer einschätzen. In einem vergangene Woche an die Öffentlichkeit durchgesickerten Dokument des israelischen Außenministeriums hieß es, der Schaden sei viel größer als bisher angenommen - und „gewöhnliche Iraner“ würden finanziell kaum noch über die Runden kommen.

„Die Iraner sind in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten“, sagte der israelische Finanzminister, Yuval Steinitz, am Wochenende. „Der Iran bricht nicht zusammen, aber er befindet sich am Rande des Kollaps.“

Wiederum abgesehen von der Befangenheit Israels, das dem Iran mehrfach militärisch eindeutig gedroht hatte (und umgekehrt), sprechen auch die Zahlen eine deutliche Sprache: Der Kurs des Rial brach binnen wenigen Tagen um rund 25 Prozent ein, auf dem historischen Tiefpunkt kostete ein Dollar zuletzt bereits über 35.000 Rial.

Sanktionen setzen Wirtschaft massiv zu

Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters glauben viele Iraner nicht daran, dass ihre Regierung den Wertverfall bremsen kann und wechseln ihre Rial in ausländische Währungen wie Dollar und Euro. Grundlegende, strukturelle Probleme der iranischen Wirtschaft werden damit allerdings nicht gelöst und sind derzeit auch schwierig zu lösen.

Wegen der politischen Isolation des Landes fehlt es an ausländischen Investoren (zumindest aus der westlichen Welt), die im Sommer erneut verschärften Sanktionen ließen die Exporterlöse aus dem Erdölgeschäft stark zurückgehen - nach unterschiedlichen Schätzungen um 30 bis 40 Prozent und mehr.

Laut israelischen Schätzungen dürften dem Iran wegen der Sanktionen bis Jahresende zwischen 45 und 50 Mrd. Dollar aus dem Erdölgeschäft entgehen. Die Exportmenge (von rund 2,3 Mio. Barrel) sank nach unterschiedlichen Schätzungen um 700.000 bis eine Mio. Barrel pro Tag. Laut aktuellen Zahlen der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) exportierte der Iran bisher Erdöl im Wert von 113 (IWF) bis 115 Mrd. Dollar (OPEC) pro Jahr. Der IWF rechnet mit einem Rückgang auf 75 Mrd. Euro bis 2014.

Inflation steigt stark

Ein massives Problem - und eines, über das die Regierung nicht gerne spricht - ist die hohe Teuerungsrate. Die lag Anfang September laut Angaben der Finanznachrichtenagentur Bloomberg bei 23,5 Prozent. Die Preise für Lebensmittel, etwa für Hühnerfleisch, haben sich inzwischen verdoppelt und liegen teils auf US-Niveau. Im Juli war bereits von einer „Hühnerkrise“ die Rede - die wiederum die Nervosität des Regimes zeigte.

Polizeichef Esmail Ahmadi Moghaddam ersuchte damals laut der halbamtlichen iranischen Nachrichtenagentur Mehr News Agency (MNA) TV-Stationen, möglichst keine Bilder von Hühnerfleisch essenden Menschen zu senden. „Bestimmte Menschen, die diesen Klassenunterschied zwischen den Reichen und den Armen sehen, könnten ein Messer nehmen und denken, sie holen sich ihren Anteil von den Wohlhabenden.“

Binnen eines Jahres hatte sich der Preis von Huhn bis zum Sommer etwa verdreifacht - auf einen Kilopreis von knapp vier Euro. Laut Daten der Weltbank lag das Monatseinkommen im Jahr 2009 bei nicht einmal 300 Euro. Die Arbeitslosenrate liegt derzeit laut IWF bei 15 und dürfte bis 2014 auf knapp 20 Prozent steigen.

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