„Trägt nicht jeder von uns eine Wand?“
Eine Frau, die in einer Jagdhütte übernachtet hat, macht in der Früh eine unfassbare Entdeckung: Über Nacht ist mitten in der Landschaft eine unsichtbare Wand entstanden, die sie vom Rest der Welt trennt. In Marlen Haushofers Roman „Die Wand“ beginnt für die Protagonistin damit ein Überlebenskampf als weiblicher Robinson Crusoe, bei dem sie nur einen Hund, eine Katze und eine Kuh zur Seite hat.
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Bisher gab es mehrere Versuche, den Monolog einer hinter einer unsichtbaren Wand gefangenen Frau auf die Leinwand zu bringen, die alle aus unterschiedlichen Gründen scheiterten. Im Februar feierte schließlich Julian Pölslers Verfilmung auf der Berlinale ihre Uraufführung, nun kommt „Die Wand“ auch in heimische Kinos.
„Ich wollte mit der Verfilmung eine Plattform schaffen für diesen großartigen Text, den ich für einen der eindrucksvollsten der deutschsprachigen Literatur halte“, sagte der Regisseur im Interview. Wie das Buch ist auch der vom ORF koproduzierte Film eine Folge von Rückblenden, die von den aus dem Off gesprochenen Notizen der Frau (Martina Gedeck) ausgehen, und wie bei Haushofer steht der sich ständig wiederholende bäuerliche Alltag der Frau, die sich mit einem Hund, einer Katze und einer Kuh in ihrem Einsiedlerdasein einrichtet, im Mittelpunkt.

Thimfilm
Nur der Blick darf wandern: Martina Gedeck als unfreiwillige Einsiedlerin auf der Alm
Schnelles Einfinden in der neuen Wirklichkeit
Gedeck kommt damit als nahezu wortlose Protagonistin hervorragend zurecht - fast zu gut. Herkunft und Lebenssituation dieser Frau, die in städtischer Kleidung und mit großer Scheu vor Mensch und Tier mit einem befreundeten Ehepaar zu einer Jagdhütte gefahren war, lassen sich nur wenige Minuten zu Beginn des Filmes studieren. Schnell, allzu schnell findet sie sich mit den neuen Überlebensanforderungen zurecht.
Gerade zehn Tage ist Gedeck hinter der Wand gefangen, scheint sie sich schon mit ihrer Situation abgefunden zu haben, und damit, dass sie vermutlich so schnell nicht mehr aus ihrem Glasgefängnis kommen wird. Sie legt einen Kartoffelacker an und wird in Rekordzeit zur Bäuerin, die sich auch nicht scheut, sich ihr Essen selbst zu erjagen.
Knapp dreißig Tage nach dem Verschwinden ihrer Mitreisenden entdeckt sie ein Holzfällercamp - doch statt sich über potenzielles Entdecken von anderen Überlebenden zu freuen, nimmt sie die menschlichen Spuren als zutiefst bedrohlich wahr. Grundlos, wie sich herausstellt, wieder einmal ist die Wand im Weg. Zu sehen ist die Barriere zwischen der Außenwelt und dem Almgefängnis nicht. Sie wird zwar einige Male von Gedeck mit einer berühmten Pantomime-Übungen dargestellt, einmal mit einem frontalen Autocrash ins Nichts überdeutlich, bleibt aber sonst (völlig ausreichend) Behauptung.

Thimfilm
Nicht Verzweiflung, sondern Versteinerung ist das Resultat der Gefangenschaft
Versteinerung statt Emotionen
Auch Depression, Verzweiflung, Entsetzen, Panik, Schmerz, Aufbegehren und andere Emotionen bleiben Mangelware. Stattdessen wird Verwunderung zu Verhärtung und Versteinerung. Damit scheint Pölsler mit seiner Interpretation die Intention Haushofers zu treffen, denn genau wie das Buch wirft der Film mehr Fragen auf als er Antworten bietet. „Jene Wand, die ich meine, ist eigentlich ein seelischer Zustand, der nach außen plötzlich sichtbar wird. Haben wir nicht überall Wände aufgerichtet? Trägt nicht jeder von uns eine Wand, zusammengesetzt aus Vorurteilen, vor sich her?“
1968 erhielt Haushofer den Österreichischen Staatspreis für Literatur. Zwei Jahre später, am 21. März 1970, starb sie kurz vor ihrem 50. Geburtstag an Knochenkrebs. Ein erstes Verfilmungsprojekt des Romans scheiterte 1992: Die Regisseurin Karin Brandauer starb kurz vor Drehstart. Jahre später konnte Pölsler die Filmrechte erwerben. „Für mich war es wie die Übernahme des Staffelholzes“, sagt Pölsler, der sieben Jahre lang am Drehbuch arbeitete. Nur durch Striche verändern, nichts hinzufügen und so nahe an der Buchvorlage zu bleiben wie möglich, war die Maxime des Regisseurs.
Die Kulisse als Rampensau
Ursprünglich wollte Pölsler auch auf dem „Originalschauplatz“ drehen, in jener Hütte im oberösterreichischen Alpenvorland, die Haushofer für ihren Roman als Vorbild gedient hatte. „Das war leider nicht möglich, denn dort hat der Zahn der Zeit zugeschlagen.“ Drei Jahre war man auf Motivsuche. „Dann habe ich mich für das Schöne entschieden. Und wenn schon für das Schöne, dann gleich für das Schönste!“ Den Zuschlag bekam die traumhafte Gegend um den Hinteren Gosausee, gelegen in Oberösterreich, der Heimat der Autorin. Tatsächlich ist die Kulisse das wahre Highlight des Films. In langen Einstellungen, Schwenks über Bergpanoramen und berückende Aufnahmen des Sternenhimmels spielt das Seelendrama im Naturidyll.
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