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Rüsten für die zweite Instanz

In Pressekommentaren ist am Tag nach den Birnbacher-Urteilen von „drakonischen“ Strafen und einer „Zäsur“ in der heimischen Strafrechtspflege die Rede. Tatsache ist, dass auch Experten über die Strenge des Richterspruchs am Klagenfurter Landesgericht erstaunt sind. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Urteile in der zweiten Instanz nicht halten könnten.

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Der Innsbrucker Strafrechtler Klaus Schweighofer etwa sagte am Dienstag im Ö1-Mittagsjournal, die fünfeinhalbjährige unbedingte Haftstrafe für Kärntens Ex-ÖVP-Chef Josef Martinz scheine ihm „außerordentlich hoch“. Angesichts der bisherigen Unbescholtenheit und des ordentlichen Lebenswandels von Martinz wären vier Jahre Freiheitsstrafe für ihn „das höchste der Gefühle“. Noch kritischer sieht Schweighofer die unbedingten Haftstrafen für die Ex-Landesholding-Vorstände Hans-Jörg Megymorez und Gert Xander.

Birnbacher als „klassischer“ Fußfesselkandidat

Schweighofer sieht den „massiven Milderungsgrund“, dass die - noch am Montagabend entlassenen - Ex-Vorstände „fast marionettenhaft“ Anordnungen aus der Politik umgesetzt hätten. Ähnlich argumentiert der Linzer Strafrechtler Alois Pirklbauer, der aber Martinz’ Strafhöhe für angemessen hält - unter Verweis darauf, dass das Strafgesetzbuch (StGB) ab einer Schadenshöhe von 50.000 Euro zehnjährige Haft zulässt. Im konkreten Fall lag die Summe bei sechs Millionen Euro.

Einig sind sich beide Experten auch, dass der verurteilte Steuerberater Dietrich Birnbacher ein „klassischer Kandidat“ für eine elektronische Fußfessel und damit Strafverbüßung in überwachtem Hausarrest sei. Außerdem finden beide die Urteilsbegründung von Richter Manfred Herrnhofer stellenweise gewagt, Schweighofer im Hinblick auf die eingestandene Absicht des Richters, mit den Urteilen eine bewusst abschreckende Wirkung zu erzielen; Pirklbauer im Hinblick auf die Härte der Strafen für Megymorez und Xander - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Anwälte setzten schon „Anker“ für zweiten Prozess

Die abschreckende Wirkung von Urteilen hat unter dem juristischen Fachbegriff Generalprävention zwar ihre Berechtigung. Schweighofer meint jedoch, dass das auch durch geringere Mittel zu erreichen gewesen wäre. Pirklbauer wiederum stößt sich daran, dass die Härte der Strafe für Megymorez und Xander mit deren Eigenschaft als hoch bezahlte Manager begründet wurde: Das klinge nach „Spezialstrafrecht für Manager“, was vom Gesetz nicht gedeckt sei.

Diese Einwände der Experten sind für das Urteil Herrnhofers bedeutsamer als bloße Kritik an der Strafhöhe. Diese könnte allenfalls per Berufung gemildert werden. Wenn aber die Urteilsbegründung an sich als fehlerhaft erkannt werden sollte, könnte das ganze Verfahren per Nichtigkeitsbeschwerde gekippt werden. Die Anwälte von Martinz, Megymorez und Xander haben dafür schon vorgebaut und bewusst im Prozess „Anker“ gesetzt, um ihre Chancen in der zweiten Instanz zu erhöhen.

Der Sinn der Aktenverlesungen

Die im Prozess beantragten Aktenverlesungen hatten demgemäß wohl auch den Zweck, massenweise „Beweismaterial“ für den Prozess zu schaffen - mit entsprechend vielen Chancen, Fehler in der Beweisaufnahme zu finden oder danach deren mangelnde Würdigung durch das Gericht einwenden zu können. Dass Herrnhofer schließlich einen Strich darunter zog und keine weiteren Aktenverlesungen mehr zuließ, können die Anwälte nun ebenso als Argument nützen.

Meinungsforscher sehen „Signalwirkung“

Dass die Urteile Österreich noch lange beschäftigen werden, glauben auch Meinungsforscher. Das „konsequente Urteil“ Herrnhofers habe „Signalwirkung für die Zukunft“, sagte etwa OGM-Chef Wolfgang Bachmayer gegenüber der APA: „In einigen Jahren wird man möglicherweise sagen: 2012 war ein wichtiges Jahr in Österreich. 2012 ist das Ende der politischen Korruption eingeläutet worden“, sagte Bachmayer.

Dass wegen der Urteile weitere Affären aus der Vergangenheit ans Tageslicht treten, kann sich der OGM-Chef allerdings nicht vorstellen: „Ich glaube nicht, dass weitere Leichen exhumiert werden.“ Durch die Härte der Urteile sei es zu einer Art Paradigmenwechsel gekommen. „Bisher hat die Meinung vorgeherrscht, dass es sich Politiker letztlich immer richten können. Darunter ist jetzt ein deutlicher Schlusspunkt gesetzt.“ Während das Vertrauen in die Politik weiter beschädigt worden sei, sei das Vertrauen in die Justiz nun wieder gestärkt.

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