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Die Therapie beim Lederhosenteufel

Das Burgtheater zeigt diese Saison einen Schwerpunkt österreichischer Dramatik. Den Auftakt dazu machte am Samstag die Premiere von Ferdinand Raimunds „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ in der Regie von Michael Schachermaier, der die Gratwanderung zwischen Klamauk und Psychodrama mit Bravour meistert.

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Die Seele ist bekanntlich ein weites Land und war noch ein recht unbekanntes, unerforschtes dazu, als Raimund den Menschenfeind Rappelkopf (Cornelius Obonya) von Alpenkönig Astragalus (Johannes Krisch) 1828 zwangstherapieren ließ. Weil Ersterer durch Gutgläubigkeit an den Rand des Ruins gerät, tyrannisiert er Familie und Hausangestellte und will die Verlobung seiner Tochter mit dem unbedarften Maler August Dorn verhindern. Astragalus greift ein, hält dem notorischen Grantscherm den Spiegel vor und will ihm durch die schmerzliche Selbsterkenntnis zur Läuterung zwingen.

Cornelius Obonya (Herr von Rappelkopf), Johannes Krisch (Astragalus, der Alpenkönig)

Burgtheater/Reinhard Werner

Selbsterkenntnis kann ganz schön wehtun, lernt Rappelkopf (Obonya) von Astragalus (Krisch)

Zeitlose Generalüberholung für Raimund

Schachermaier hat dem Zaubermärchen eine zeitlose Generalüberholung verpasst und vergisst dennoch nicht auf das Ausloten der psychologischen Tiefen und auf die komischen Seiten. Im Text haben Regisseur und Dramaturg Florian Hirsch ordentlich geholzt, ohne dabei Wesentliches zu streichen oder Fragen offenzulassen.

Zusätzlich zu Raimunds Originaltexten hat Elektropopkünstlerin Eva Jantschitsch alias Gustav neue absurd-komische Texte für die Couplets geschrieben, für deren Vertonung sie ebenfalls verantwortlich zeichnet. Dargebracht von Liveband und Ensemble erinnert die Musik an eine sehr eigene Mischung aus originalen Couplets, Kurt Weill, Chansons und Tom Waits.

Zusammentreffen unter dem Mond

Neben der Musik setzt die Inszenierung auf große Bilder: ein Mond, vor dem sich Alpenkönig Astragalus mit Menschenfeind Rappelkopf zum ersten Mal begegnen und ihren Pakt beschließen, ein Wasserfall als reißender Strom und Rappelkopfs Anwesen als Chalet mit Spiegelwänden und Jagdtrophäe.

Im Bühnenbild von Damian Hitz sind die Alpen zwar allgegenwärtig, doch mit rein fragmentarischen Versatzstücken nur angedeutet und jenseits jeglicher rustikaler Romantik. Eine „reizende Gegend am Fuße einer Alpe“ gibt es ebenso wenig zu sehen wie „Gebüsche von Alpenrosen“: Was sich Raimund in seinen dem Text vorangestellten Anweisungen vorgestellt hat, lässt das Burgteam außen vor.

Eine gute Entscheidung, wird die modern-düstere Ästhetik doch zu einer wichtigen Hülle, in der man den oft klamaukigen Text dennoch immer in seiner Abgründigkeit zu verorten mag.

Verwandlung auf offener Bühne

Auch die Kostüme von Su Bühler passen in ihrer zeitloser Märchenhaftigkeit, mit Trachtenzitaten, etwa in Amalies Kleid und Astragalus’ Lederhose. Auf offener Bühne verwandelt sich die Rappelkopf-Familie mittels Kostümfragmenten und Perücken in das Köhlerhütten-Völkchen, der Alpenkönig erscheint dem Menschenfeind als Geist der verstorbenen Ehefrauen - Szenen, die man grundsätzlich schwer über die Bühne bringt, werden mit diesem einfachen Kunstgriff zu großen Momenten.

In den für das Stück zentralen Verwandlungsszenen, in denen Astragalus als Rappelkopf diesem den Spiegel vorhält, bleibt die Inszenierung ebenfalls zurückhaltend und verzichtet auf große Klamotte: Überhöhung verdankt sich hier der schauspielerischen Leistung.

Cornelius Obonya (r.) als "Rappelkopf" und Johannes Krisch (l.) als "Kohlenbrenner"

APA/Herbert Pfarrhofer

In der Köhlerhütte darf sich das Ensemble richtig grindig geben

Rumpelstilzchen vs. Mephisto-Waldschrat

Den Rappelkopf sieht man in der Burgtheater-Inszenierung jünger als in der klassischen Aufführungstradition; das cholerische Rumpelstilzchen nimmt man ihm aber zweifellos ab. Verglichen mit Krisch als Astragalus ist Obonya dennoch reichlich zurückhaltend im Aufspüren einer neuen, moderneren Rolleninterpretation - Gesten, Mimik und Sprache erinnern immer wieder auffällig an zu Klassikern gewordene Inszenierungen.

Ganz anders der Alpenkönig, der hier als im wahrsten Sinne des Wortes unfassbarer Geist zur Jagd bläst und von Krisch als eine Mischung zwischen archaischem Waldschrat und blitzgescheitem Teufel mit bitterbösem Humor gespielt wird. In dreckiger Lederhose schält er sich aus dem Orchestergraben, tänzelt mit Hirschblut verschmiert über die Bühne und ist akustisch für das ganze Alpenuniversum mitverantwortlich, vom Vogelgeschrei bis zum Hufschlag.

Johannes Krisch (Astragalus, der Alpenkönig)

Burgtheater/Reinhard Werner

Krisch gibt den Alpenkönig als Lederhosenmephisto

Hinweis

„Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ ist im Burgtheater am 30. September und am 10., 11., 15., 20. Oktober jeweils um 19.30 Uhr, sowie am 21. Oktober um 19.00 Uhr zu sehen.

TV-Hinweis

„Kultur.montag“ berichtet am Montag um 22.30 Uhr in ORF2 über „Rappelkopf“ Cornelius Obonya - mehr dazu in tv.ORF.at.

Habakuks Geheimnis der Selbstachtung

Die Besetzung der Nebenrollen ist prägnant und mit Johann Adam Oest als Diener Habakuk, der bekanntlich „zwei Jahre in Paris war“, eine sichere Bank. Regina Fritsch versucht als Rappelkopfs vierte Ehefrau Sophie krampfhaft die Ordnung im Hause aufrechtzuerhalten und die jeder Demütigung trotzende Liebe zu ihrem Mann zu beweisen. Die unschuldige Bravheit stellt Fritsch dann aber so herrlich ironisch zur Schau, dass man meinen möchte, die Gute würde ihrem tobenden Mann manchmal gern doch mit einem Tritt verabschieden.

Liliane Amuat darf als Tochter Amalie einmal mehr die jugendliche Lebenslust versprühen, Stefanie Dvorak ist als Kammermädel Lischen bauernschlau-schlagfertig, und der von Rappelkopf verhasste Verlobte August ist in der Interpretation von Peter Miklusz von bemerkenswerter Naivität.

Am Scheitern gescheitert

Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann zelebriert gerne die Pose, sich Projekte vorzunehmen, an denen man nur scheitern könne. Umso schöner für ihn, wenn er am Scheitern scheitert. Sein Experiment, einen jungen Regisseur mit einem Traditionsstück auf die Reise zu schicken, ist voll aufgegangen. Mit viel Applaus und Jubel, für Darsteller ebenso wie für das Team um Schachermaier, endete der „Alpenkönig“ am Premierenabend als Publikumserfolg.

Sophia Felbermair, ORF.at

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