Familien werden schikaniert
Ein vietnamesisches Gericht hat am Montag drei prominente Blogger zu Haftstrafen von vier bis zwölf Jahren verurteilt. Sie hatten in Internetartikeln auf Korruption aufmerksam gemacht. Die kommunistische Regierung wirft ihnen „Propaganda gegen den Staat“ vor. Dahinter steht jedoch die tiefe Angst vor einem schleichenden Machtverlust.
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Hunderte Polizisten umstellten am Montag das Gerichtsgebäude in Ho-Chi-Minh-Stadt (ehemals Saigon). Nach monatelangem Prozess wurde der Blogger Nguyen Van Hai alias „Dieu Cay“ zu zwölf Jahren, die frühere Polizistin Ta Phong Tan zu zehn Jahren und der Anwalt Phan Thanh Hai alias „Anhbasg“ zu vier Jahren Haft verurteilt.
Richter Nguyen Phi Long warf den Angeklagten vor, „Führungspersönlichkeiten angeschwärzt, die Kommunistische Partei kritisiert und das Vertrauen in den Staat zerstört“ zu haben. Alle drei müssen nach den Haftstrafen weitere drei bis fünf Jahre unter Hausarrest bleiben, sagte einer ihrer Anwälte nach dem Urteil in Ho-Chi-Minh-Stadt.
Internationale Empörung
„Diese schweren Haftstrafen sind absolut empörend und zeigen, wie tief die Intoleranz der vietnamesischen Regierung gegen Andersdenkende sitzt“, sagte Phil Robertson von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). HRW und Amnesty International (AI) haben die vietnamesische Führung wiederholt aufgefordert, die Anklage fallenzulassen und die drei Blogger auf freien Fuß zu setzen. Im Mai sprach sich auch US-Präsident Barack Obama gegen die Unterdrückung des „Bürgerjournalismus“ in Vietnam aus und erwähnte „Dieu Cay“ dabei auch namentlich.
Von der „Diktatur enttäuscht“
Der 50-jährige Nguyen Van Hai hatte sich unter anderem für demokratische Reformen eingesetzt. Er gehört zu den Gründern des inzwischen verbotenen „Clubs freier Journalisten“. 2008 wurde er angeblich wegen Steuerhinterziehung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. „Ich war nie gegen den Staat, mich haben nur die Ungerechtigkeit, die Bestechlichkeit, die Diktatur enttäuscht, die nicht für den ganzen Staat stehen, sondern nur für einzelne Personen“, sagte „Dieu Cay“ während der Verhandlung, bevor der Ton der Übertragung für Journalisten in einem Nebenraum abbrach.
Mutter zündete sich vor Prozess selbst an
Neben ihm auf der Anklagebank saß die Polizistin Ta Phong Tan. Die 43-Jährige deckte in ihrem Blog „Gerechtigkeit und Wahrheit“ Korruption innerhalb der Polizei auf. Ihre Verurteilung ist besonders tragisch, da sich ihre Mutter aus Protest gegen die Behandlung ihrer Tochter im August vor einem öffentlichen Gebäude selbst verbrannt hatte.
„Meine Mutter sagte, sie hätten sie überallhin verfolgt, egal, wohin sie ging“, sagte eine andere Tochter gegenüber ausländischen Medien. Ihre Mutter habe die Schikanen nicht mehr ertragen können, denen sie täglich ausgesetzt gewesen sei. „Wenn der Druck nicht gewesen wäre, hätte sie sich nie in Brand gesteckt“, so die Tochter. „Die Tricks, die heute angewendet werden, zum Beispiel Druck auf die Familien auszuüben, sind nicht neu“, sagte auch Le Quoc Quan, ein prominenter katholischer Anwalt und Menschenrechtler.
Schikanen und Drangsalierungen
Auch die Frau Nguyen Van Hais berichtete laut der deutschen Nachrichtenagentur dpa immer wieder von Drangsalierung, seit ihr Mann 2008 erstmals festgenommen wurde. Einmal seien ihre Kinder nicht aus dem Haus gelassen worden, als eine wichtige Prüfung in der Schule anstand. Sie hätten das Jahr wiederholen müssen, berichtet sie.
Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. So berichtete AI, die Polizei habe vor dem Haus von Ta Phong Tans verstorbener Mutter einen Mopedunfall fingiert und ihre Schwester und Nguyen Van Hais Frau sowie zwei weitere Personen festgenommen. Alle seien in Polizeigewahrsam geschlagen worden.
Die Angst des Staates vor dem Internet
„Aktivisten treten heute mehr aus dem Schatten, so werden auch mehr verhaftet“, sagt Le Quoc Quan, und die Familien seien damit automatisch mehr im Blickpunkt. Das Internet beflügle die, die nicht mehr schweigen wollen, sagen Beobachter. Ein Drittel der 90 Millionen Vietnamesen haben Internetzugang, und immer öfter werden in Blogs und Sozialen Netzwerken Themen angefasst, die keinen Eingang in die staatlich kontrollierten Medien finden. Der kommunistische Einparteienstaat versucht, die Oberhand zu behalten, durch Schließen von Seiten zum Beispiel und Einschüchterung.
Dissidenten werden mundtot gemacht
Doch während das boomende Schwellenland mit rasanten Wachstumsraten bei der Wirtschafts- und Finanzwelt für leuchtende Augen sorgt, berichten Menschenrechtsorganisationen von „erheblichen Einschränkungen“ des Rechts auf freie Meinungsäußerung sowie der Presse-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Auch mit der Religionsfreiheit stehe es nicht zum Besten, selbst wenn es Verfolgungen wie in den ersten zehn Jahren nach der Wiedervereinigung 1976 nicht mehr gibt.
Friedliche Dissidenten würden aber „brutal“ unterdrückt oder inhaftiert. In einem Amnesty-Bericht für 2010 war auch von Todesurteilen die Rede, wobei von einer möglichen Vollstreckung nichts bekannt sei. Seitens der Organisation werden aber auch Bestimmungen zur Überwachung des Internets bemängelt. Regimekritische Blogger wurden derart weitgehend mundtot gemacht.
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