Strategisches Wettrennen
Mit dem Rückzug des Polareises wird die Arktis geopolitisch immer interessanter und die Liste der Länder, die Gebietsansprüche anmelden, länger. Andere möchten zumindest als Partner mit an Bord sein, wenn die Anrainerstaaten eines Tages tatsächlich mit dem - aus ökologischer Sicht höchst umstrittenen - Abbau von Rohstoffen in der Region beginnen.
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Die Strategien in dem Wettlauf sind unterschiedlich: Sie reichen von militärischen Muskelspielen bis zur stillen Diplomatie. Auf der einen Seite steht dabei Russland, das sich als „Führungsnation“ in der Region sieht und diesen Anspruch regelmäßig auch militärisch untermauert, auf der anderen etwa Südkorea mit dem Versuch, gezielt Allianzen zu schmieden, um wirtschaftlich vom erhofften Boom zu profitieren.
Erst kürzlich unterzeichneten Südkoreas Staatspräsident Lee Myung Bak und Norwegens Regierungschef Jens Stoltenberg zwei Grundsatzvereinbarungen. Dabei standen hinter dem Etikett des Treffens, dem Schutz der Arktis, Kooperationsabkommen im Schiffsbau bzw. in der Schifffahrt im Polarmeer. Südkorea ist mit Konzernen wie Hyundai Heavy und Daewoo Shipbuilding führend beim Bau von eismeertauglichen (Tank-)Schiffen, Norwegen in der Offshore-Bohrtechnik.
Schifffahrtsrouten und „Entwicklung der Arktis“
Beide Länder zeigen offenbar konkretes Interesse an einer gemeinsamen Förderung von Methanhydrat. Methaneis, wie das Gaskondensat auch genannt wird, wird als Energierohstoff der Zukunft gehandelt. Bei einer Pressekonferenz erklärte Stoltenberg, er begrüße „Südkoreas Interesse an der Entwicklung der Arktisregion“, hieß es kürzlich in einem Artikel der US-Foreign Policy Association (FPA), die das Treffen als deutliches Zusammenrücken der beiden Länder wertete.
Norwegen und Südkorea wollen nicht nur bei der Suche und Erschließung von Rohstoffvorkommen kooperieren, sondern auch bei der Frachtschifffahrt im Eismeer. Für diese wird die Region immer interessanter, weil zumindest im Sommer das Polarmeer immer öfter und länger eisfrei ist. Damit ist in dieser Zeit auch ein Befahren der Nordostpassage zwischen Asien und Nordeuropa ohne den Einsatz teurer Eisbrecher möglich.
Die Route spart Reedern laut FPA auf der Strecke rund 40 Prozent Zeit im Vergleich zur Route durch den Sueskanal. Vor allem deshalb ist die Passage für asiatische Länder von großem strategischen Interesse. Sie könnten Waren über diese Strecke weitaus schneller und billiger auf dem Seeweg nach Europa verschiffen.
Stiller Akteur im Hintergrund
Norwegen ist allerdings nicht das erste Land, bei dem Südkorea in Sachen Arktis anklopft. Auch Russland kaufte Eisklasse-Tankschiffe in Südkorea ein. Im Mai meldete die südkoreanische Nachrichtenagentur YONHAP von einer Vereinbarung mit Kanada, laut der ein südkoreanischer Eisbrecher die Erlaubnis erhielt, im kanadischen Teil der Beaufortsee vor Alaska nach Erdöl und Methaneis zu suchen.
Alles in allem habe Südkorea „im hohen Norden still große Schritte gemacht ohne viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen wie etwa China“, das in der Region auch geostrategische Interessen verfolgt, so die FPA. China sei bereits in Lauerposition für eine eisfreie Arktis und sieht sich laut dem Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) neuerdings sogar als „arktisnaher Staat“. Peking beansprucht außerdem einen Beobachterstatus im Arktischen Rat.
Diesem Forum, das ursprünglich zum Schutz der Region und ihrer indigenen Bevölkerung ins Leben gerufen worden war, gehören als ordentliche Mitglieder außer den Arktis-Anrainerländern USA, Kanada, Russland, Norwegen und Dänemark noch Schweden, Island und Finnland und sechs Dachorganisationen der indigenen Einwohner der Region an.
Russland forscht und droht
Am lautesten meldet allerdings Russland regelmäßig seine Ansprüche an der Region an. Moskau beansprucht laut seinem Sonderbotschafter im Arktischen Rat, Anton Wassiliew, rund die Hälfte der Region für sich. Russland sei eine „Führungsnation“ in der Arktis, betonte Wassiliew letzten Herbst gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Interfax, die Arktis „unsere Zukunft“. Schon im kommenden Jahr will der russische Energiekonzern Gasprom - als erster - mit der Förderung von Erdöl in der Region beginnen. Russland spielt regelmäßig die militärische Karte, bemüht sich aber auch, seine Ansprüche durch wissenschaftliche Daten zu untermauern.
Moskaus Standpunkt: Der Meeresboden unter einem Großteil der Arktis sei eine Verlängerung des russischen Festlands. In einer Expertise des Moskauer Instituts für Meeresgeologie hieß es dazu schon vor einigen Jahren, der von Russland beanspruchte unterseeische Lomonosow-Rücken gehöre tatsächlich zum sibirischen Festland. Der Gebirgskamm sei eine „strukturelle Verlängerung der sibirischen Kontinentalplatte“ und „keinesfalls“ von Russland getrennt. Russische Forscher hatten dort 2007 mit Hilfe von zwei Mini-U-Booten in 4.000 Meter Tiefe eine russische Flagge aus Titan aufgestellt.
Auch sonst tut Moskau alles, um seinen Anspruch zu untermauern: Mehr Grenzsoldaten werden in das Gebiet verlegt, neue Brigaden gebildet, Militärstützpunkte ausgebaut. Ein neuer Hafen ist in Planung. Gleichzeitig macht Moskau klar, dass es keine Einmischung in seiner „Vorratskammer“ duldet: NATO-Kräfte in der Polarregion sind definitiv unerwünscht, mehrfach hatte der Kreml erklärt, seine Interessen in der Region notfalls auch militärisch zu verteidigen.
Gefährlicher „Goldrausch“ in sensibler Region
Vor allem Erdöl und Erdgas, nach Schätzungen bis zu 25 Prozent der weltweiten Vorräte, aber auch Diamanten und Kohle werden in gewaltigen Mengen unter dem Eismeer vermutet. Der Rückgang der Eisdecke erleichtert den Zugang und beschleunigt den Wettlauf darum.
Ein zentraler Punkt tritt dabei kontinuierlich in der Hintergrund: der Schutz der sensiblen Region bzw. auch der Kampf gegen den Klimawandel selbst. Internationale Naturschutzorganisationen wie der World Wildlife Fund for Nature (WWF) und Greenpeace warnen eindringlich vor den Gefahren, die ein „Goldrausch“ in der Arktis für die ökologisch äußerst sensible Region nach sich ziehen würde.
Greenpeace protestierte erst kürzlich gegen die Gasprom-Pläne im hohen Norden. Bereits jetzt setzt der Klimawandel der Arktis stark zu. In diesem Sommer schmolz das Eis so schnell ab wie in keinem Jahr zuvor seit dem Beginn zuverlässiger Messungen. Die Eisdecke ist laut aktuellen Schätzungen in den letzten 30 Jahren um die Hälfte kleiner geworden.
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