Um bis zu 80 Prozent höhere Preise
Ab 21. Dezember dürfen Versicherungen EU-weit nur noch geschlechtsunabhängige Preise anbieten. Diese Entscheidung beruht auf einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der angerufen worden war, die bestehende Diskriminierung des Geschlechts in der Tarifgestaltung zu überprüfen. Entsprechend werden damit für Neukunden völlig andere Preise gelten.
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Die unterschiedlichen Tarife für Männer und Frauen liegen traditionell in unterschiedlichem Risikoverhalten bzw. abweichender Lebenserwartung begründet. Dahingehend führen Versicherungen auf Basis ihrer Kunden Statistiken und gestalten nach bestehender Gesetzeslage auch die Preise entsprechend.
Frage der Wahrscheinlichkeit
Versicherungen rechnen traditionell die Wahrscheinlichkeit einer zu leistenden Zahlung an den Kunden in ihre Preise mit ein. Daraus ergibt sich für Versicherer die Antwort auf die Frage: Wie viel wird wie lange an den Kunden zu zahlen sein?
Unterschiede in der Preisgestaltung
Beispielsweise ist eine Lebensversicherung für Frauen teurer, weil sie eine längere Lebenserwartung (statistisch gesehen vier bis fünf Jahre, Anm.) haben. Begünstigt sind Frauen hingegen bei Risikolebens- und Unfallversicherungen: Schließlich stufen Anbieter ihren Lebenswandel unter Verweis auf die Statistik als weniger risikofreudig ein als den von Männern.
Weil aber Männer eine geringere Lebenserwartung haben, sind für sie etwa Pensionsversicherungen günstiger. Einfacher Grund: Die Versicherung muss nicht so lange zahlen, weil Männer früher sterben. Bei der Krankenversicherung zahlen Frauen wiederum tendenziell mehr als Männer, weil davon ausgegangen wird, dass ein höheres Risiko besteht. Und vielfach gewährten Versicherer weiblichen Führerscheinneulingen beim Abschluss einer Haftpflichtversicherung Rabatte, weil sie im Gegensatz zu jungen Männern tendenziell nicht als übermütige Risikofahrer gelten.
Für Frauen in Summe teurer
Diese Rechenspiele gehören mit 21. Dezember jedenfalls der Vergangenheit an - die Angebote müssen per Gesetz geschlechtsneutral sein. Doch das birgt drastische Preisänderungen für die Konsumenten. So müssen sich vor allem Frauen auf markant höhere Preise einstellen: Sie werden über alle Sparten hinweg künftig um 340 Millionen Euro mehr zahlen als Männer, wie Wolfram Littich, Chef der Allianz Österreich und Präsident des Österreichischen Versicherungsverbandes (VVO), die zu erwartenden Veränderungen vorrechnete.
Für Frauen werden aufgrund des Wegfalls der bisher gewährten geschlechterspezifischen Begünstigungen vor allem Risikolebens- und Unfallversicherungen empfindlich teurer, laut Branchenzahlen um ganze 35 bis 40 Prozent. In Deutschland ist laut der September-Ausgabe der Zeitschrift „Finanztest“, einer Marke der Stiftung Warentest, gar von bis zu 55 Prozent die Rede. Für Männer wird es hingegen in Deutschland - unter Einrechnung des gesamten Spektrums an Versicherungen - um bis zu 22 Prozent günstiger.
80 Prozent Teuerung bei Ablebensversicherungen
Auch heimische Konsumentenschützer zeichnen ein alarmierendes Bild: Unabhängig von der Wahl der Versicherung drohen etwa Ablebensversicherungen für Frauen um bis zu 80 Prozent teurer zu werden, wie das Verbraucherportal Durchblicker.at zuletzt meldete. Doch einzelne Versicherungen werden auch für männliche Kunden empfindlich teurer: So müssen Männer künftig in Österreich um bis zu 20 Prozent mehr für die private Krankenversicherung berappen, ähnlich bei lebenslangen Pensionsversicherungen - bei denen einen Teuerung von zehn Prozent ins Haus steht.
Anbieter „schichten um“
Die österreichischen Versicherungen rüsten sich bereits für die verordneten Preisänderungen - geben sich aber zugeknöpft, wenn es um das Ausmaß der anstehenden Preissteigerungen geht. Bei der Generali Versicherung findet nach Angaben des Pressesprechers Josef Hlinka eine komplette Überarbeitung der Produktpalette statt, über die Gestaltung der Preispolitik und die zu erwartenden Preisverschiebungen war im Interview im ORF.at keine Einschätzung einzuholen.
Konkreter wurde da schon die Wiener Städtische: So rät der Anbieter Frauen, Risikolebensversicherungen, bei denen die Teuerung bis zu 40 Prozent ausmachen wird, vor dem Stichtag abzuschließen - ein Indiz für markant höhere Preisgestaltung in Zukunft. Die Produktgruppen Risikolebensversicherung, Berufsunfähigkeits- und Krankenversicherung würden komplett überarbeitet, heißt es. Jedoch sei davon auszugehen, dass die Prämien der privaten Krankenversicherung für Frauen „zwischen 20 und 45 Prozent“ günstiger, für Männer jedoch „etwas teurer“ würden.
„Wird noch im Detail berechnet“
Auch bei der Uniqa wird noch an der neuen Produktpalette gearbeitet, auch hier werden Risiko- und Ablebensversicherungen für Frauen empfindlich teurer. Auch bei Erlebensversicherungen sowie bei Unfallversicherungen zahlen Frauen künftig mehr - um wie viel mehr, gibt die Uniqa nicht an. Betroffen sich wiederum Männer bei Pensionsversicherungen: Während es für Frauen mit Pensionsantrittsalter 60 laut Uniqa um etwa zwei bis drei Prozent billiger wird, zahlen Männer für die Produkte aufgrund des höheren Pensionsantrittsalters mehr, nämlich um etwa fünf bis sechs Prozent, prognostiziert die Uniqa.
Im Falle von Krankenversicherungen - wo Männer derzeit deutlich weniger zahlen, bringt die Gleichstellung tendenziell niedrigere Preise für Frauen bzw. höhere Tarife für Männer. „Die genaue Höhe der Unisex-Prämien hängt auch davon ab, ob sich in einer Sparte künftig mehr Frauen oder mehr Männer versichern lassen und ob sich dieses Verhältnis künftig durch die Preisänderungen verschiebt. Um wie viel sich die Unisex-Tarife ändern, wird noch im Detail berechnet“, so Uniqa-Vorstand Peter Eichler gegenüber ORF.at.
Versicherer versprechen „Abfederung“
Auch bei der Grazer Wechselseitigen (GRAWE) heißt es, dass sich Frauen besonders bei Ablebensversicherungen auf Teuerungen einstellen müssen. „Derzeit zahlen Männer um 70 Prozent mehr als Frauen“, erklärt Vorstandsdirektor Günther Puchtler im Interview mit ORF.at. Die neue EU-Vorgabe bringe eine markante Verschiebung mit sich - Frauen blühen so Preissteigerungen von mindestens 20 Prozent - der Rest würde „abgefedert“, verspricht Puchtler. Bei Männern würden sich deutliche Reduktionen ergeben - der GRAWE-Vorstand spricht von 30 bis 40 Prozent.
Nutzen zu „ihren Gunsten“
Zumindest den deutschen Versicherungen - deren Preisgestaltung mit jener in Österreich durchaus zu vergleichen ist - stellte die Zeitschrift „Finanztest“ bei der Überarbeitung des Angebots ein schlechtes Zeugnis aus: Die Versicherungskonzerne würden die Aufhebung der Geschlechterdiskriminierung zu ihren Gunsten nutzen, so der Tenor: „Die Preise gehen deutlich nach oben, dort, wo es billiger werden muss, aber nur mäßig nach unten“, heißt es in dem Bericht. Zudem könnten Versicherungen ihre neuen Preise bereits vor dem Stichtag im Dezember anbieten - Verbraucherschützer raten jenen, die von Teuerungen betroffen sind, aber sich versichern wollen, zu raschen Abschlüssen.
Valentin Simettinger, ORF.at
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