Weißes Haus schweigt
Ein Bericht aus erster Hand über die Mission der US-Navy, bei der Al-Kaida-Chef Osama bin Laden getötet wurde, stellt die bisherige Darstellung des Verlaufs des Einsatzes im pakistanischen Versteckt Bin Ladens in einem zentralen Punkt infrage.
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Die US-Regierung hatte nach dem aus US-Sicht erfolgreichen Abschluss der nächtlichen Mission durch eine Einheit der Navy SEALs am 2. Mai 2011 betont, Bin Laden sei erst getötet worden, nachdem er offensichtlich zu einer Waffe habe greifen wollen. Doch eines der Mitglieder der Spezialeinheit hat nun ein Buch über die Operation „Neptune Spear“ verfasst und widerspricht darin der bisherigen offiziellen Darstellung. Wegen der enormen Nachfrage erscheint das Buch in den USA nun nicht am 11. September, sondern bereits eine Woche früher.

Reuters
Aufnahmen vom Feuergefecht während des Sondereinsatzes in Pakistan
Kopfschuss bei Blick auf Gang
Laut dem Buch schoss einer der Soldaten Bin Laden in den Kopf, als dieser die Schlafzimmertür im Obergeschoß seines von einer Mauer umgebenen Verstecks öffnete - genau, als die Navy SEALs eine enge Stiege hinauf in seine Richtung stürmten. Der Autor mit dem Pseudonym Mark Owen war nach eigenen Angaben der zweite Soldat, der die Stiege hinauflief. „Weniger als fünf Stufen“ vom Stiegenende entfernt habe er gedämpfte Schüsse gehört. Mittlerweile hat der TV-Sender Fox News den Autor enttarnt. Es handelt sich um den Ex-SEAL Matt Bissonnette, seine Identität wurde auch gegenüber der Nachrichtenagentur AP bestätigt.
„No Easy Day“
„No Easy Day: The Firsthand Account of the Mission That Killed Osama bin Laden“ (deutsch: Kein leichter Tag: Ein Bericht aus erster Hand über den Einsatz, bei dem Osama bin Laden getötet wurde) erscheint unter dem Pseudonym Mark Owen.
Der Mann vor ihm habe „einen Mann aus der Tür spähen gesehen“, zitierte die AP aus dem Buch. Bin Laden habe sich daraufhin in das Zimmer zurückgezogen, und die Soldaten seien nachgerannt. Dort hätten sie den Terroristenchef auf dem Boden gekrümmt in einer Blutlacke liegend gefunden. Man habe ein Einschussloch auf der rechten Seite gesehen und zwei Frauen, über Bin Ladens Körper gebeugt weinend. Sein Vordermann habe die Frauen zur Seite gezogen, und er selbst und andere Soldaten hätten mehrmals auf Bin Laden geschossen, bis er regungslos auf dem Boden gelegen sei, so Bissonnette. Die Einsatzkräfte hätten später zwei unberührte Waffen neben der Tür gefunden.
Weißes Haus schweigt
Tommy Vietor, Sprecher des Weißen Hauses, wollte die Auszüge aus dem Buch und insbesondere den Widerspruch zur bisherigen offiziellen Darstellung, wonach die Soldaten de facto in Notwehr gehandelt hätten, nicht kommentieren. Bin Laden habe die gerechte Strafe bekommen, wiederholte Vietor die Aussagen von US-Präsident Barack Obama am Tag nach dem Sondereinsatz.

AP/Anjum Naveed
Pakistan - Obama hatte das Land über die Attacke im Dunkeln gelassen - riegelte Bin Ladens Versteck ab
Laut der Nachrichtenagentur AP gibt es eine weitere, für die USA möglicherweise unangenehme Enthüllung: Offiziell wurde stets betont, Bin Ladens Leichnam sei mit der gebührenden Würde behandelt und in einer islamischen Begräbniszeremonie auf hoher See bestattet worden. Doch in dem Buch schildert der Autor, dass in dem überfüllten Helikopter, in dem die Einsatztruppe mit dem Leichnam Bin Ladens ausgeflogen wurde, einer der Soldaten auf der Brust des Terrorchefs gesessen sei. Laut dem Autor lag die Leiche in der Mitte des Laderaums, und die anderen Soldaten saßen rundherum.

Reuters/White House/Pete Souza
Obama, Clinton und Co. verfolgen angespannt den Einsatz der Navy SEALs
Keine Obama-Fans
Bissonnette erwähnt in seinem Buch auch, dass keiner der SEALs ein Fan Obamas gewesen sei und dass allen klar gewesen sei, dass Obamas Regierung den Erfolg für sich verbuchen werde. Einer der Soldaten habe gesagt, damit hätten sie Obama die Wiederwahl gesichert. Doch die SEALs hätten Obama dafür, dass er als Oberbefehlshaber grünes Licht für die Mission gegeben habe, respektiert.
Vertreter der US-Regierung befürchten, dass das Buch bisher unter Verschluss gehaltene Informationen öffentlich machen könnte. Anders als im Fall von Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums wurde dieses Buch nicht vorab von der Zensurbehörde im Pentagon geprüft. Sollten CIA oder Pentagon darin aber Belege für die Verletzung der Geheimhaltungspflicht finden, so könnte der Autor geklagt werden. Bissonette selbst betonte gegenüber AP, dass sein Buch keinerlei vertrauliche oder sensible Daten enthalte, die die nationale Sicherheit in irgendeiner Form gefährden würden.
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