Spannungen verstärken sich wieder
Der Konflikt in Syrien nimmt zunehmend konfessionelle Züge an. Die schiitischen Alawiten, die das Regime von Baschar al-Assad unterstützen, stehen den mehrheitlich sunnitischen Rebellen gegenüber. Am benachbarten Libanon geht diese Entwicklung nicht unbemerkt vorüber. Auch hier verschärfen sich die Auseinandersetzungen der Konfessionen, Erinnerungen an den 15-jährigen Bürgerkrieg werden wach.
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10.452 Quadratkilometer ist der Libanon groß und damit sogar etwas kleiner als Oberösterreich. Doch die religiöse Vielfalt ist enorm. 18 Religionsgemeinschaften sind im Libanon anerkannt. Die Mehrheit stellen maronitische Christen, schiitische und sunnitische Muslime. Lange unterdrückte Spannungen insbesondere zwischen Schiiten und Sunniten kommen im Zuge des Syrien-Konflikts wieder sichtbar an die Oberfläche.

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In der nördlichen Stadt Tripoli etwa gab es in den vergangenen Tagen heftige Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Alawiten, einer Religionsgruppe zu der auch Assad gehört. Bei Kämpfen gab es bisher 15 Tote und über 100 Verletzte. Der libanesische Ministerpräsident Nadschib Mikati, ein Sunnit, forderte beide Seiten auf, die Kämpfe zu beenden. Unklar ist, ob die Situation weiter eskaliert. „Kanonen wurden eingesetzt. Das bedeutet, dass beide Seiten aufrüsten und sich auf noch mehr Kämpfe vorbereiten“, sagte ein Bewohner von Tripoli gegenüber der dpa. Die Sunniten sammeln eigenen Angaben zufolge bereits weitere Waffen ein.
Interesse an unruhigem Libanon
Immer wieder wird vor Instabilität in der Region gewarnt, sollte das syrische Regime fallen. Das kommt nicht zuletzt Assad zugute. Schon seit einigen Wochen mehren sich die Anzeichen, dass der syrische Präsident seinen Einfluss nutzt, um eine neue Frontlinie im Libanon zu eröffnen. Das zeigte sich durch intensiveren Beschuss aus Syrien und Schüsse auf Syrer, die in den Libanon flüchteten.
Vor allem Assad hat an einem instabilen Nachbarstaat größtes Interesse. Mit Chaos und Blutvergießen im Libanon zielt Syrien offenbar darauf ab, die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft von Syrien abzulenken und den Einsatz im Fall eines Zusammenbruchs seines Regimes zu erhöhen. „Assad versucht der Welt zu sagen: Wenn Syrien destabilisiert wird, wird es die Region auch sein“, wird Butros Harb, Parlamentsmitglied der prowestlichen 14.-März-Koalition im Libanon, von der „New York Times“ („NYT“) zitiert. Assad bringt sich vor dem Hintergrund der internationalen Rücktrittsaufforderungen als Stabilitätsgarant in Stellung.

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Sunnitische Kämpfer in der nordlibanesischen Hafenstadt Tripoli
Morde an sunnitischen Führern geplant?
Für viele Beobachter zeigt der Fall des Anfang August verhafteten libanesischen Ex-Ministers Michel Samaha, dass Syrien offenbar eine größere Rolle spielen möchte. Der christliche Samaha verfügt über enge Verbindungen zu Assad. Samaha wird vorgeworfen, eine Bombenserie und Morde insbesondere an sunnitischen Führern, die die Freie Syrische Armee (FSA) unterstützen, geplant zu haben.
Samaha gestand zunächst diese Vorhaben, widerrief kurz darauf aber wieder. Doch gibt es laut „NYT“ offenbar Beweise. So wurden Videos gefunden, in denen Samaha seinen Plan beschreibt und wie er sich mit einem Informanten trifft und über 90 Kilogramm Sprengstoff in dessen Wagen transportierte.
Welle von Entführungen
Auch wenn es in der Region des libanesischen Bekaa-Tals nicht ungewöhnlich ist, lösten die Entführungen von über 40 Syrern und einem Türken durch den mächtigen schiitischen Mekdad-Clan doch Spannungen aus. Sie gaben den Auftakt zu einer Welle weiterer ähnlicher Entführungen. Dass es sich bei den Entführten um Mitglieder der FSA handelte, wiesen die syrischen Rebellen zurück. Es seien syrische Zivilisten gewesen, die in den Libanon geflohen seien.
Der Mekdad-Clan wollte eigenen Angaben zufolge die Entführung seines Mitglieds Hassan Selim Mekdad rächen. Der libanesische Schiit war von der FSA in Syrien entführt worden. Die syrischen Aufständischen hatten Mekdad erst vorgeworfen, er sei ein Mitglied der libanesischen Schiitenbewegung Hisbollah. Später hieß es, der Libanese sei eine Art Doppelagent, der Informationen über die Armee der Deserteure an das syrische Regime weitergegeben habe.
Balanceakt der Hisbollah
Die Hisbollah distanzierte sich offiziell von den Entführungen und dementierte auch eine Mitgliedschaft Hassan Selims. Die Schiitenbewegung, gemeinsam mit dem Iran die wichtigste ausländische Stütze für das Assad-Regime, versucht angesichts der konfessionellen Spannungen einen Balanceakt. Bei einem internen Sunniten-Schiiten-Konflikt würde die Hisbollah ihre Rolle im Widerstand gegen Israel und dessen Verbündete verlieren, sagte der politische Analyst Talal Atrissi gegenüber der „NYT“. Sie würde in einen internen Krieg gezogen und ihre bisherige Position verlieren.
Die Hisbollah
Die schiitische Hisbollah wurde 1992 nach dem Einmarsch Israels in den Libanon auf Betreiben des iranischen Revolutionsregimes gegründet. Als „nationaler Widerstand“ gegen Israel hat die von Generalsekretär Hassan Nasrallah geführte Bewegung über die Grenzen des Libanon hinaus Einfluss.
Völlig untätig bleibt die Hisbollah aber nicht. Auch wenn es beide Seiten bestreiten, dürfte es doch enge Verbindungen zwischen dem Mekdad-Clan und der Hisbollah geben. Der Experte Bilal Saab vom Monterey Institute of International Studies ist laut dem Magazin „Foreign Policy“ überzeugt, dass Entführungen in dieser Gegend nicht ohne Zustimmung der schiitischen Bewegung gemacht werden könnten.
Zudem wurden die Entführten nach Dahija, einem südlichen Vorort von Beirut, gebracht, einer Hochburg der Hisbollah. Saab: „Niemand hält Geiseln in Dahija ohne das Wissen und die Zustimmung der Hisbollah. Ich glaube, das ist der Versuch der Hisbollah, das syrische Regime innerhalb des Libanon zu unterstützen.“ Timor Goksel, Ex-Berater der UNO-Mission im Libanon, ist anderer Meinung. Er glaubt nicht, dass die Unterstützung der Hisbollah für Assad so weit reicht, dass dafür Syrer entführt werden. Allerdings wäre durch ein Ende des Assad-Regimes die Hisbollah ebenfalls stark betroffen. Die schiitische Bewegung würde damit einen Geldgeber und auch Waffenlieferanten verlieren.
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