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„Strafe“ für aufmüpfige Glaubensbrüder

Die US-Justiz beschäftigt seit letzten Herbst ein nicht ganz alltäglicher Fall. Fünf Mitglieder einer Gemeinde der Amischen, einer relativ abgeschottet lebenden Religionsgemeinschaft, beschuldigen 16 andere, ihnen in überfallsartigen Aktionen Haare bzw. Bärte abrasiert zu haben. Den Beschuldigten droht in dem Prozess, der am Montag beginnt, im äußersten Fall lebenslange Haft.

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Angeklagt sind der Anführer der kleinen, sektiererischen Amischen-Splittergruppe im Bundesstaat Ohio, „Bischof“ Samuel Mullett Sr., der als Anstifter und Drahtzieher der Aktion gilt, mehrere seiner Söhne, ein Schwiegersohn und weitere Mitglieder seines Clans. Sie sind seit November in Haft, beteuern allerdings ihre Unschuld.

Die Staatsanwaltschaft wirft den Männern und Frauen vor, die Attacken im Rahmen „fortwährender religiöser Streitigkeiten“ zwischen rivalisierenden Gemeindegruppen ausgeführt zu haben. Sie sollen zwischen letzten September und November in fünf Fällen ihren männlichen Opfern die Bärte und den weiblichen die Haare abgeschnitten haben.

Sam Mullet

AP/Amy Sancetta

„Bischof“ Mullet führt Splittergruppe

Für die Betroffenen ist das weniger amüsant, als es für Außenstehende klingen mag. „Der Bart ist das Schlüsselsymbol der männlichen Amischen-Identität“, so der Soziologe Donald B. Kraybill vom Elizabethtown College in Pennsylvania. In der christlichen Religionsbewegung, die ihre Wurzeln in der Täuferbewegung des 16. Jahrhunderts hat, stehen die Haare auch für den Familienstand. Mit dem Zeitpunkt der Heirat dürfen Männer ihre Bärte - ausgenommen davon ist der Oberlippenbart - und Frauen ihr Kopfhaar nicht mehr schneiden.

Sektiererische Gruppe im Osten Ohios

Der 67-jährige Mullet lebt seit 1995 mit seinen Anhängern in der abgelegenen Siedlung Bergholz im Osten Ohios. Seit 2003 soll er „Bischof“ sein. Allerdings eilt ihm ein alles andere als frommer Ruf voraus. US-Medienberichten zufolge herrschte er bis zu seiner Inhaftierung in der Gemeinde über knapp 20 Familien wie ein Sektenführer. Nachdem einige wegen seines autoritären Stils in Streit mit ihm geraten waren, habe er sie kurzerhand exkommuniziert. Zwar wurde die Entscheidung später wieder revidiert, doch Mullet soll sich mit seiner Strafaktion dafür „bedankt“ haben.

Überfall mit Schere und Rasierapparat

Die Ermittlungen gegen Mullet brachten unter anderen Myron Miller und seine Ehefrau Arlene ins Rollen, die Opfer eines Überfalls mit Schere und Rasierapparat geworden waren. Sie sagten aus, eines Nachts seien plötzlich fünf bis sechs Männer in ihrem Haus gestanden und hätten sie attackiert, wie die „New York Times“ im Oktober berichtete.

Polizeibild der drei Angeklagten

AP/Jefferson County Sheriffs Department

Insgesamt gibt es in dem Fall 16 Beschuldigte

Die Angriffe schockierten die bibeltreue und strikt pazifistische Gemeinschaft, der jede Form von Rache verboten ist, zutiefst. Die Amischen sind Angehörige einer Täufergemeinschaft, die im 18. und 19. Jahrhundert aus Europa in die USA auswanderte. Die Gemeinschaft zählt inzwischen rund 260.000 Mitglieder, die meisten von ihnen leben in Pennsylvania und Ohio. Am bekanntesten sind sie für ihre dunklen Hüte und Pferdekutschen, aber auch dafür, dass die meisten von ihnen Dinge des modernen Lebens ablehnen, darunter auch Elektrizität und Telefone.

Terror gegen Gemeindemitglieder

Mullet ist für die US-Bundespolizei FBI allerdings auch aus einem anderen Grund kein unbeschriebenes Blatt. Er soll Unfolgsame geschlagen und tagelang in Hühnerkäfige gesperrt haben, um sie von „sündigen Gedanken zu befreien“. Die „Denver Post“ zitierte am Wochenende aus einer eidesstattlichen Zeugenerklärung, Mullet habe Sex mit verheirateten Frauen gehabt, um sie „vom Teufel zu reinigen“. Wer ihm widersprach, soll exkommuniziert worden sein.

Angeklagten drohen harte Strafen

Die Öffentlichkeit meiden die Amischen eher, so weit es geht. Streitigkeiten regeln sie lieber intern. Doch diesmal ist es anders. „Wir wollen diese Täter hinter Gittern sehen“, erklärte Myron Miller der „New York Times“. Es gehe nicht um Religion, sondern um „pure Rache“, sagte Arlene Miller. Laut „Denver Post“ umfasst die Anklage die Vorwürfe des Hassverbrechens aus religiösen Motiven, Verschwörung, Entführung und die Vernichtung von Beweismitteln. Den Beschuldigten drohen im äußersten Fall lebenslange Haftstrafen.

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