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Die 6. Armee im Kessel eingeschlossen

Der Name Stalingrad löst in Russland genauso wie in Europa Schaudern aus. 70 Jahre nach der blutigen Kesselschlacht an der Wolga sind die Russen immer noch stolz auf ihren Sieg. Er bedeutete den Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs, den Anfang vom Ende des „Dritten Reichs“.

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Doch erst seit dem Ende der Sowjetunion wagen russische Historiker, die Frage zu stellen, zu welch hohem Preis der Sieg erkauft wurde. Die Diktatoren Adolf Hitler und Josef Stalin opferten dem Wahnsinn von Stalingrad Hunderttausende Menschenleben.

Die sowjetische Propaganda stellte Stalingrad stets als reines Ruhmesblatt dar. Tote und Verwundete kamen in sowjetischen Lexika nicht vor. Aufgelistet wurde vielmehr, dass 707.000 Rotarmisten die Medaille „Für die Verteidigung Stalingrads“ erhalten und sich mehr als 100 den Ehrentitel „Held der Sowjetunion“ verdient hätten.

Der „Fall Blau“ und das Symbol Stalingrad

Nach dem Angriff des Deutschen Reiches auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 und der Gegenoffensive der Roten Armee im Winter desselben Jahres wurde für den Sommer 1942 eine neue Offensive geplant. Dies mit dem Ziel, die sowjetischen Ölfelder im Kaukasus einzunehmen - das Vorhaben bekam den Namen „Fall Blau“. Die Stadt Stalingrad selbst wurde einerseits aufgrund ihrer industriellen und geografischen Bedeutung und andererseits wegen ihres Symbolwerts aufgrund ihrer Benennung nach Stalin als bedeutendes Operationsziel eingestuft.

Deutsche Soldaten in der Schlacht von Stalingrad

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Soldaten der deutschen Wehrmacht im völlig zerstörten Stalingrad

„Keinen Schritt zurück!“

Der Angriff der Wehrmacht auf die Stadt bildete den Höhepunkt der Schlacht von Stalingrad. Einige Armeekorps der Wehrmacht und ihnen unterstellte Divisionen, zusammengefasst zur 6. Armee, versuchten in einer ersten Phase vergeblich, die Stadt in einer großangelegten Materialschlacht gegen die verteidigende 62. Armee der Roten Armee einzunehmen. Im Zuge dessen warf die deutsche Luftwaffe insgesamt etwa eine Million Bomben mit einem Gesamtgewicht von 100.000 Tonnen auf die Stadt ab. Die deutsche Offensivphase begann am 13. September 1942.

Der von Stalin am 28. Juli 1942 ausgegebene Befehl unter der Parole „Keinen Schritt zurück!“ führte zur Bildung von Strafbataillonen und Erschießungskommandos zur Bestrafung von Rotarmisten, denen mangelnde Kampfbereitschaft oder Feigheit vorgeworfen wurde. Die Verteidiger verwandelten jedes Schützenloch, jedes Haus und jede Kreuzung in eine Festung.

Am 25. August 1942 verhängte Stalin den Belagerungszustand über die umkämpfte Stadt. Je weiter die deutsche Wehrmacht in die Stadt vordrang, desto heftiger fiel der sowjetische Widerstand aus. Erst im November gelang es den deutschen Einheiten im Rahmen der Operation Hubertus, die fast komplett zerstörte Stadt fast vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen.

Hunderttausende Opfer auf beiden Seiten

Generalstabschef Georgi Schukow und sein Oberbefehlshaber Stalin hatten allein in der ersten Phase der Schlacht, bei der Verteidigung Stalingrads gegen den deutschen Angriff, etwa 320.000 Soldaten verloren. Doch trotz des enormen Einsatzes sollte sich das Blatt schnell wenden: Die deutschen Streitkräfte wurden am 19. November 1942 durch die Operation Uranus von sowjetischen Streitkräften innerhalb von fünf Tagen durch eine Zangenbewegung eingeschlossen. Als sich die beiden Speerspitzen der Zangenbewegung trafen, war der Ring um Stalingrad endgültig geschlossen.

Russische Soldaten in der Schlacht von Stalingrad

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Ende 1942: Die Rote Armee startet eine Gegenoffensive

Versorgung des Kessels brach zusammen

Ab dem 22. November war die 6. Armee völlig von sowjetischen Truppen eingekesselt. Schon zu diesem Zeitpunkt mangelte es aber an der notwendigen Ausrüstung für ein Durchbrechen des Kessels. Am 24. November entschloss sich Hitler schließlich, den Kessel aus der Luft zu versorgen.

Doch dieses Vorhaben konnte nicht regelmäßig umgesetzt werden, an manchen Tagen konnten wegen des schlechten Wetters keine Versorgungsflüge durchgeführt werden - über mehr als zwei Wintermonate hindurch konnten im Durchschnitt täglich anstatt der geplanten 550 nur 94 Tonnen eingeflogen werden. Eine große Anzahl der eingekesselten Soldaten starb deshalb auch nicht infolge von Kampfhandlungen, sondern an Unterernährung und Unterkühlung.

Weihnachten 1942: 6. Armee eingekesselt

Zu Weihnachten 1942 hungerte und fror die in Stalingrad eingekesselte 6. Armee von General Friedrich Paulus. Auf sowjetischer Seite wuchs dagegen die Siegeszuversicht. Tage zuvor war der Entlastungsangriff der deutschen Heeresgruppe Don unter Feldmarschall Erich von Manstein gescheitert. „Das war für unsere Soldaten die beste Lehrstunde des Sieges“, schrieb der sowjetische General und spätere Marschall Schukow. Die Lage der deutschen Soldaten und ihrer Verbündeten wurde damit immer aussichtsloser.

Die zweite Phase der Schlacht, die Einkesselung und Vernichtung der 6. Armee, kostete noch einmal etwa 180.000 Rotarmisten das Leben, hielten Historiker fest. Erbarmungslos und ohne Rücksicht auf Verluste trieben Kommissare des Geheimdienstes NKWD Welle auf Welle der Soldaten zum Angriff. Wer zurückwich, wurde erschossen. „In der Sowjetarmee braucht es mehr Mut, sich zurückzuziehen als anzugreifen“, so Stalin zynisch. Etwa 12.000 Rotarmisten, fast eine ganze Division, fielen bei Stalingrad den Schergen aus der zweiten Frontlinie zum Opfer.

Schlacht um den Kessel

Nach dem Abschluss der Operation Uranus begann die Rote Armee am 10. Jänner 1943 die Operation Kolzo (dt. Ring, Anm.). Sie hatte zum Ziel, den geschlossenen Kessel von Stalingrad zu erobern.

Trotz der aussichtslosen Lage lehnte der deutsche General Paulus am 8. Jänner 1943 die Aufforderung der sowjetischen Seite zur Kapitulation ab. Am 10. Jänner begann daraufhin die letzte Großoffensive der Sowjets gegen die Reste der 6. Armee, die am 25. Jänner mit der Aufspaltung der Kräfte der Wehrmacht in einen Süd- und einen Nordkessel endeten. Schon einige Tage zuvor konnte Versorgungsmaterial nur noch abgeworfen werden, da sich bereits alle Landeplätze in sowjetischer Hand befanden. Der Nordkessel kapitulierte am 2. Februar 1943, der Südkessel geriet bereits zuvor vollständig unter Kontrolle der Roten Armee.

Am 3. Februar ließ das Oberkommando der Wehrmacht im Großdeutschen Rundfunk eine Sondermeldung verlesen, wonach die 6. Armee „unter der vorbildlichen Führung von Paulus bis zum letzten Atemzug“ gekämpft habe, sie aber einer „Übermacht“ und „ungünstigen Verhältnissen erlegen“ sei.

Deutsche Soldaten in der Schlacht von Stalingrad

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26. März 1943: Ein langer Marsch deutscher Kriegsgefangener

108.000 Soldaten in Kriegsgefangenschaft

Die deutsche 6. Armee verlor in der Schlacht und später in der Gefangenschaft über 250.000 Mann. Rund 108.000 gerieten nach der Kapitulation des Deutschen Reichs in sowjetische Kriegsgefangenschaft, aus der nur 6.000 Überlebende über lange Jahre nach Kriegsende bis 1956 in ihre Heimatländer zurückkehrten. Insgesamt wird der unfassbare Verlust mit rund 840.000 Mann angegeben.

Auf sowjetischer Seite rechnen Historiker alle getöteten Soldaten und Zivilisten in der Region, später gestorbene Verwundete, die Opfer von Gefangenenlagern und Vermisste zusammen zu der erschreckenden Zahl von 2,6 Millionen Toten.

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