Jedem sein Pilotversuch
Wer außer Kampfpiloten braucht eine Brille für Kampfpiloten? Niemand. Ungefähr das muss sich die US-Firma Bausch & Lomb, damals eine eher kleine Spezialfirma für optische Linsen, gedacht haben, als sie im Jahr 1937 mit gehöriger Verspätung eine Spezialsonnenbrille zum Patent anmeldete - den „Strahlenblocker“ (Ray-Ban).
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Die US-Luftwaffe war damals mindestens schon ein Jahr lang mit den Vorläufern des heutigen „Aviator“-Modells beliefert worden. Mit der Patentanmeldung hatte es die Firma nicht sonderlich eilig: Schließlich ging es bei der Brille ja nur um das Spezialglas, für dessen Herstellung damals in den USA ohnehin nur Bausch & Lomb das nötige Know-how hatte - das Geschäft war also auch so abgesichert. Und sonst würde die nachgerade hässliche Schutzausrüstung für Piloten ohnehin keinen Absatz finden.
Ein General, der Kampfflieger spielt
Die Geschichte der „Strahlenblocker“ reicht sogar noch weiter zurück. Schon Ende der 1920er Jahre wurden erste Spezialbrillen mit der Bezeichnung „Anti-Glare“ („Anti-Grell“) gefertigt - auch sie bereits, zum Rostschutz, vergoldet, leicht, mit großen Gläsern und stabilem Sitz. Die Anregung dazu kam angeblich vom US-Flugpionier und Testpiloten John Arthur Macready. Er soll zu den Optikexperten gemeint haben, er brauche Schutz für seine Augen, sonst werde er bei seinen ständig neuen Höhenflugrekorden noch erblinden.

AP
General Douglas MacArthur auf den Philippinen 1945
Bis zum Zweiten Weltkrieg waren die Spezialbrillen allenfalls ein Geheimtipp für Flieger und andere, die langer Sonnenstrahlung ausgesetzt sind - denn schön waren sie ja nicht wirklich. Dann allerdings kam der ungewollte PR-Turbo: Die Pressefotos der „Boys“ in ihren Kampfflugzeugen mit den eigentümlichen Brillen sickerten ins US-Bewusstsein - und als General Douglas MacArthur bei der Philippinen-Offensive 1945 seine Ray-Ban kaum je ablegte, war sie endgültig „cool“ geworden. Auch wenn weit und breit kein Flugzeug in der Nähe war.
Noch ein Coup per Zufall
Der nächste Coup folgte 1956: Das Modell „Wayfarer“, wiederum ein Klassiker per Zufall: Eigentlich ging es nur darum, die „Strahlenblocker“-Gläser auch in Form einer „normalen“ Sonnenbrille anbieten zu können, wenn auch im Vergleich zu anderen Designs von damals in einer äußerst schmucklosen Variante. Genau das machte aber den ruppigen Charme der Brille aus und ließ sie zum Pflichtaccessoire für Stilikonen wie James Dean und Marilyn Monroe werden.
Die Nachfrage explodierte, und schon bald zogen andere Hersteller mit vergleichbaren Designs nach. Oft angeführte „Wayfarer“-Ikonen waren deshalb gar keine - von Audrey Hebpurn in „Frühstück bei Tiffany“ über Sänger Roy Orbison und Künstler Andy Warhol bis hin zu US-Präsident John F. Kennedy: Sie alle trugen nicht das Original, sondern davon inspirierte Fabrikate anderer Hersteller. Für den Hersteller des Originals blieb immer noch genug Profit übrig - doch dann kamen die 70er.
Durch die schwarze Brille gesehen
Dass die Design-Flaggschiffe „Aviator“ und „Wayfarer“ als „zeitlose Designklassiker“ zu gelten haben, hatte sich in den 70ern noch nicht herumgesprochen. Und so sah man sie als das, was sie eigentlich bis heute geblieben sind - eine Fliegerbrille aus den 30ern und eine Touristensonnenbrille aus den 50ern, in anderen Worten: hoffnungslos veraltet. Die Umsätze brachen ein, und - aus heutiger Sicht kaum vorstellbar - zu Beginn der 80er war Bausch & Lomb beinahe so weit, die Produktion der „Wayfarer“ einzustellen.
Dass der Look der damaligen „Blues Brothers“ John Belushi und Dan Akroyd zuerst in der TV-Show „Saturday Night Live“ und vor allem im gleichnamigen Film zum populärkulturellen Code wurde - „Reservoir Dogs“, „Men in Black“ und viele mehr -, ist ein aus heutiger Sicht verfälschtes Bild. Die beiden Komiker konzipierten die Kunstfiguren im Gegenteil bewusst altmodisch als Hommage an vergangene Zeiten: schmale Krawatten, Anzüge, Stetson-Filzhüte und eben „Wayfarer“.

Corbis/CinemaPhoto
Lockere Geschäfte mit der „Wayfarer“
1982 kurz vor dem Aus
1982 stand Bausch & Lomb vor der Entscheidung, das Geschäft mit den Sonnenbrillen sein zu lassen oder es doch noch einmal mit einer Wiederbelebung zu versuchen. Weil man nichts zu verlieren hatte, gab man einer kalifornischen Firma 50.000 Dollar. Die hatte versprochen, dass sie mit einem recht wunderlichen Konzept um vergleichbar wenig Geld wahre Wunderdinge in Sachen Werbewirksamkeit vollbringen könne. Das Konzept hieß Product-Placement.
Tatsächlich tauchten in den folgenden Jahren an allen Ecken und Enden von Kinoleinwänden und TV-Schirmen Ray-Bans auf: In „Lockere Geschäfte“ trug Tom Cruise „Wayfarer“, in „Top Gun“ eine „Aviator“. Bruce Willis und Don Johnson („Das Model und der Schnüffler“, „Miami Vice“) wurden mit „Wayfarer“ ausgestattet. Die Absatzzahlen verhundertfachten sich beinahe, und Product-Placement wurde nicht zuletzt durch den Ray-Ban-Deal zum goldenen Kalb von PR-Strategen weltweit.
Haarreifen mit dunklen Gläsern
Doch Konsumenten tun manchmal doch nicht das, was Marketinggurus von ihnen wollen: In den 90ern brachen die Absatzzahlen trotz munter fortgesetzten Product-Placements wieder ein, und zumindest einigen dämmerte, dass der Boom vielleicht mehr mit der stilistischen Querverbindung der 80er zu den 50er Jahren zu tun hatte als mit jederzeit „erkaufbaren“ Absatzzahlen. Bausch & Lomb hatte zu dem Zeitpunkt jedenfalls endgültig die Nase voll und verkaufte 1999 an die Luxoticca-Gruppe.
Der italienische Konzern hatte daraufhin nichts Eiligeres zu tun, als die „Wayfarer“ zu verschlimmbessern: Das Design der Brille, die einst nur wegen ihrer Spezialgläser punkten wollte, wurde so geändert, dass sie vor allem gut als sinnentleerter Haarreif mit dunklen Gläsern getragen werden konnte. Doch wieder zeigten sich die Kunden störrisch und verlangten so beharrlich nach dem Original, dass sechs Jahre später zumindest wieder die Produktion im halbwegs originalen Design aufgenommen wurde.
Lukas Zimmer, ORF.at
Links: