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Weiterhin Einfluss von Al-Schabab-Miliz

Seit Jahren führt Somalia das Ranking der „Failed States“ (gescheiterte Staaten) des US-Magazins „Foreign Policy“. 20 Jahre Bürgerkrieg gingen nicht spurlos an dem Land vorbei: in der Hand der islamistischen Al-Schabab-Miliz, geprägt von Piratenüberfällen und Hungersnot. Nun gibt es Anzeichen, dass sich das ändern könnte.

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In wenigen Monaten soll Somalia eine eigene Börse bekommen - allerdings mit Sitz im benachbarten Kenia. Laut Weltbank flossen zuletzt „bedeutende Summen“ von aus dem Land geflohenen Somaliern in den Aufbau privater Unternehmen. Tausende Exilsomalier kehrten in den vergangenen Monaten in ihre Heimat zurück. Vor allem die Hauptstadt Mogadischu scheint die neue Ruhephase zu nützen.

Es herrscht fast Normalität. Immobilienpreise steigen, Kaffeehäuser und Hotels öffnen wieder. Die geplante Präsidentschaftswahl bezeichnete die UNO als beispiellose Chance auf mehr Frieden und Stabilität. Schließlich hat das Land seit dem Sturz des Diktators Siad Barre 1991 keine Zentralregierung mehr. Militärisch scheint auch weitgehend Stabilität hergestellt zu sein. Mit Unterstützung der Afrikanischen Union gelang es der somalischen Armee, die mit Al-Kaida verbündeten Al-Schabab-Milizen aus ihren Hochburgen und auch aus Mogadischu weitgehend zurückzudrängen.

Landkarte zeigt Somalia und seine Nachbarstaaten

APA/ORF.at

Ein Land geplagt von Hungersnöten und politischer Instabilität

Volk soll über Verfassung entscheiden

Vor wenigen Tagen wurde eine vorläufige Verfassung angenommen, die eine föderale Republik, das islamische Recht (Scharia), aber auch die Gleichheit von Mann und Frau vorsieht. Über die endgültige Verfassung soll nun das Volk entscheiden. Experten rechnen aber damit, dass es noch fünf Jahre dauern könnte, bis das Volk tatsächlich abstimmt, da sich viele Gebiete noch immer in der Kontrolle der radikalislamischen Miliz befinden.

Ob sich das Land tatsächlich auch langfristig stabilisieren kann, ist fraglich. Die islamistischen Milizen kontrollieren noch weite Teile des Zentrum und des Südens des Landes. Präsidentschaftskandidaten werden mit dem Tod bedroht. Die Milizen agieren mit Bombenanschlägen auch weiterhin in Mogadischu.

Die allgegenwärtige Korruption ist nach wie vor tief im mit Hilfe der UNO gestarteten politischen Prozess verankert. Eigentlich hätte bereits am Montag von der parlamentarischen Versammlung ein neuer Präsident gewählt werden sollen. Das Mandat der Übergangsregierung, das zweimal verlängert worden war, lief am Montag ab.

Einschüchterung, Morddrohungen, Bestechung

135 traditionelle Clanchefs sollten das neue Parlament mit insgesamt 275 Mitgliedern bestimmen, die dann wiederum den Präsidenten wählen. Die Ernennung durch die Stammesältesten wurde von einem Auswahlkomitee geprüft, 70 Kandidaten erfüllten die Bedingungen nicht. Doch der Prozess verzögerte sich, denn es waren nicht genug Abgeordnete aufgestellt, um den Präsidenten aus rund einem Dutzend Kandidaten zu wählen. Es war von Einschüchterung, Morddrohungen und Bestechung die Rede. Einem BBC-Bericht zufolge „kostet“ ein Abgeordnetensitz 50.000 Dollar (rund 40.450 Euro).

Neue Parlamentarier werden auf dem Flughafen von Mogadischu vereidigt

Reuters/Stuart Price/AU-UN IST PHOTO

Die erste Parlamentssitzung fand auf dem Flughafen von Mogadischu statt

Angehende Abgeordnete sollen Mitgliedern des Auswahlkomitees per SMS unmissverständlich dazu aufgefordert haben, „ihr Testament zu machen“, falls bestimmte Namen nicht auf der Liste stehen. Auch bei der ersten Sitzung der bereits ausgewählten Abgeordneten gab es offenbar Sicherheitsbedenken. Die erste Parlamentssitzung fand auf dem Flughafen von Mogadischu statt, einer der wenigen Regionen in der Hauptstadt, die als sicher gelten. Das Parlamentsgebäude wäre zu unsicher gewesen. Der weitere Prozess für die Wahl des Präsidenten könne nun Tage oder Wochen in Anspruch nehmen, hieß es vonseiten der bisherigen Regierung.

Neue Kämpfe befürchtet

Die Hoffnung, dass einige korrupte Politiker die Bühne verlassen und Platz für eine besser arbeitende Regierung machen, habe sich zerschlagen, sagt EJ Hogendoorn von der Expertengruppe International Crisis Group (ICG) gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. „Das wird wahrscheinlich nicht passieren, da eine kleine Gruppe von Politikern den Übergangsprozess in ihre Gewalt gebracht hat.“ Hogendoorn befürchtet, dass die Milizen die „Clan-Karte“ spielen werden, um die Verlierer des politischen Prozesses zu unterstützen und anzuziehen.

Auch Vertreter der Friedensmission der Afrikanischen Union (AMISOM) fürchten, dass enttäuschte Warlords wieder zu den Waffen greifen und neue Kämpfe auslösen könnten. „Wenn die Dinge nicht glattlaufen, dann wird das Land sehr wahrscheinlich wieder ins Chaos abdriften“, warnte AMISOM-Vizechef Wafula Wamunyinyi.

Fast 70 Prozent der Staatseinnahmen fehlen

Bestechungsvorwürfe gibt es bis an die Spitze des Staates. Die UNO, die Somalia mit einer „Road-Map“ seit September vergangenen Jahres auf das Ende der Übergangsregierung vorbereitet, wirft dem bisher amtierenden Präsidenten Scharif Scheich Ahmed und dem Parlamentspräsidenten Scharif Hassan Scheich Adan Korruption vor. Fast 70 Prozent der Staatseinkünfte sollen abgezweigt oder verprasst worden sein.

Auch für die Bevölkerung außerhalb Mogadischus in von religiösen Gruppen und Milizen kontrollierten Regionen dürfte sich kaum etwas ändern. Denn es sei unwahrscheinlich, dass eine neu gewählte Regierung ihre Macht rasch auf außerhalb der Hauptstadt ausweiten kann, so Mary Harper, Somalia-Expertin der BBC.

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